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Mein Glaube ist in die Jahre gekommen
Pixabay/smellypumpy

Mein Glaube ist in die Jahre gekommen

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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„Mein Glaube ist in die Jahre gekommen. Früher war der viel handfester!“ So erzählt mir ein älterer Mann. Wir bereiten uns auf seine Jubelkonfirmation vor. Dabei feiern Menschen, dass sie vor 50, 60 oder noch mehr Jahren konfirmiert worden sind. Den Mann mir gegenüber nenne ich hier Karl. Karl wurde vor 75 Jahren konfirmiert. Sein Konfirmandenunterricht war damals im selben Raum, in dem wir auch heute sitzen, der sogenannten Pfarrscheuer.

Karls Bilder von Gott veränderten sich im Laufe der Jahre

Karl erzählt mir, wie sehr sich seine Bilder von Gott verändert haben im Lauf der Jahre. Im Konfirmandenunterricht damals lernte er einen klaren, ordnenden Gott kennen. Der sagte in den 10 Geboten genau, wo es langgeht. Was richtig ist, zu befolgen, was zu lassen: „Du sollst nicht töten. Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es Dir lange gut gehe auf Erden.“

Sicherheit durch klare Regeln im Glauben

Karl gab das Sicherheit. Diese Sicherheit hatte er zu Hause nicht. Da gab es mal Schläge. Und mal Zuwendung. Sehr unberechenbar. Und keine stete Begleitung. Deswegen ging er auch gerne zur Konfirmation. Karl erzählt mir heute: „In der Konfirmation habe ich etwas versprochen: ‚Ich halte mich an Dich, Gott‘. Und ich habe ein Versprechen bekommen: Gott gibt mir Halt. Mit den 10 Geboten, mit diesen Regeln, werde ich ein Teil des großen Ganzen. Und auch die anderen halten sich an die Regeln, denn alle haben ein höheres Gesetz über sich. Und darum macht es Sinn, Gutes zu tun.“

"Mir ist im Leben viel passiert, wieso ich vieles nicht mehr glauben kann"

Heute sagt Karl: „Mein Glaube ist in die Jahre gekommen. Mir ist im Leben viel passiert, wieso ich vieles nicht mehr glauben kann.“ Er sieht mich an, traurig und klar. Sein Blick bittet darum, nicht weiter befragt zu werden nach dem, was er erlebt hat. Stattdessen erzählt er: „Dem großen Schöpfergott kann ich nicht mehr glauben. Dass er alles zusammenhält. Und die Welt regiert. Dafür ist diese Welt viel zu absurd.“

Karl glaubt jetzt anders

Doch Karl glaubt an Gott. Nur anders. Er sagt: „Gott ist, glaube ich, weicher. Gegenwärtiger. Eher wie eine Kraft. Etwas, das mich trotz allem morgens aufstehen lässt.“ Wir sitzen schweigend in der Pfarrscheuer und hören dem Klang seiner Worte nach. In die Jahre gekommen ist auch dieser alte Raum um uns herum, benutzt und ein wenig abgewetzt. So ähnlich wie Karls Glaube.

Ein Glaubensraum so luftig wie ein Zelt

Wie gut, dass er nicht zerschlagen wurde wie ein Weinglas. Vielleicht wurde sein Glaube eher viel benutzt und umgebaut. Karl nickt und sagt: „Ja, ich hab‘ da viele Wände rausgerissen, die Vorstellung zum Beispiel, dass Gott alles macht, was in der Welt geschieht. Mein Glaubensraum ist jetzt luftig wie ein Zelt. Ich stelle mir Gott vor wie eine Kraft. Die verbindet mich auch mit denen, die mir fehlen. Als würde Gott mir zuraunen: Such mich in dem, was Dir passiert. In den Alltäglichkeiten. Im Schweigen mit dem Freund. In der Leere, im Summen einer Hummel. Such mich. Ich werde da sein. Das gibt mir Kraft, Krisen durchzustehen.“

Ich sehe Karl an, beeindruckt von dem, was die Jahre mit seinem Glauben gemacht haben. Sein Glaube ist nicht alt und kantig, sondern zart. Luftig. Eine göttliche Kraft, die ruft: Suche mich. Ich werde da sein.

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