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Vom Esel lerner
Bild: medio.tv / Schauderna

Vom Esel lerner

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Pfarrer, Marburg
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Bei uns werden die Esel immer mehr. Zum Beispiel als Hobby für Familien: Kinder sind meist sofort verliebt in das Mehlmaul und die langen Ohren. Sie werden auch zur Therapie eingesetzt oder in der Pädagogik. Mit ihrer Aura von Wärme, Geduld und Ruhe lassen sie sich gut anfassen. Esel kennen ihre Leute, sind also gar nicht so dumm, wie man es immer sagt.

Esel genießen viel Sympathie-das war nicht immer so

Und jetzt, wo wieder Wölfe in unseren Wäldern sind, werden sie manchmal zu den Schafen auf die Weide gestellt. Denn wenn‘s gilt, sind sie nicht nur sprichwörtlich stur. Sie sind auch standhaft und wissen ihre starken Hufe zu gebrauchen zum Schutz einer Herde. Das alles zusammen hat sie im Barometer für tierische Sympathie bei uns kräftig steigen lassen.

Das war einmal anders. Esel waren vor allem Lasttiere, mussten Säcke schleppen, Karren ziehen, wurden in Mühlen gespannt. Sie waren die Knechte der Knechte. Das Allerletzte, was beim Auszählen in der Runde übrigblieb: „Müllers Esel, das bist du!“

Esel haben in Bibel prominente Rolle

In der Bibel dagegen haben sie eine prominente Rolle. Jesus reitet zu seinem letzten Passahfest auf einem Esel in Jerusalem ein. Die Volksmasse jubelt ihm zu. Sie erwarten großes von ihm als einem neuen religiösen Anführer. Und sind dann sehr enttäuscht. Als er die Erwartungen nicht erfüllt, rufen sie: Kreuzige Ihn! Später zeichnet ein Römer Jesus in einer Karikatur als Esel am Kreuz. Darunter steht sinngemäß: die Christen beten einen Esel als Gott an. Manche folgern sogar: Die Christen sind selbst Esel – und die Kirche ein Eselsverein.

Warum Christen Eseln ähneln

Was als Spott gemeint ist, kann ich auch anders verstehen. Als eine gute Charakterisierung. Ich finde, es ist stimmig, wenn wir Christen ein Eselsverein sind. Lasten tragen mit und für andere, Geduld haben. Ruhe verbreiten. Nicht Leine ziehen, wenn es hektisch wird. Dabei stark bleiben.

Worin sie anderen Tieren überlegen sind

Den Wölfen die Kante zeigen. Also wenn sich die Krisen übereinanderstapeln, so wie wir es gerade erleben, nicht durchdrehen und auskeilen wie Rennpferde. Sich nicht wie die Hamster ihre Beutel vollstopfen, oder wie Pfauen sich mit Schmuck und Kleidern vor dem Spiegel drehen. Sich nicht in den dunklen Höhlen verkriechen wie die Dachse. Sondern auf dem Eselspfad bleiben. Esel tragen, was zu tragen ist. Sie setzen einen Fuß vor den anderen, auch bergauf und durch steiniges Gelände. Esel kommen an ihr Ziel, wo Kutschen und Sänften am Weg liegenbleiben und die Schlachtrösser ausbücksen.

Vom Esel lernen, heißt menschlich werden.

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