Christkönigsonntag
Wenn ein spannender Krimi zu Ende geht, dann wollen wir am Schluss endlich wissen: Wer war es denn nun? Bevor wir das nicht wissen, können wir das Buch nicht weglegen oder den Fernseher ausschalten. Erst, wenn wir den Täter kennen, legt sich die Spannung wieder.
Heute ist es ganz ähnlich. Zwar geht kein Krimi zu Ende, aber doch auch etwas Spannendes. Unser Kirchenjahr endet heute. Mit dem kommenden Adventssonntag beginnt ein neues. Im Laufe des Kirchenjahres spielen im Gottesdienst und in den Texten der Bibel verschiedene Begegnungen und Verwicklungen eine Rolle, verschiedene Personen traten ins Spiel und verschwanden wieder. Der heutige Sonntag ist dabei ein Höhe- und Wendepunkt. Denn heute tritt die Person, die die ganze Zeit zwar verdeckt, aber offensichtlich die Hauptrolle spielte, noch einmal in einem ganz anderen Licht auf. Heute ist das große Finale. Heute wird „Christkönig" gefeiert.
Heute noch mal König sein
Wo Königinnen und Könige auftreten, erwecken sie noch immer ein lebhaftes Interesse. Wo sie auftreten, strömen die Massen zusammen. Keine Woche vergeht, in der nicht in irgendwelchen Illustrierten deren neueste Skandälchen und Familienereignisse zu lesen sind. Auch wenn diese gekrönten Häupter auf der politischen Bühne wenig zu sagen haben und man im alltäglichen Leben ganz gut ohne sie auskommt, stehen sie ab und zu doch im Mittelpunkt des Interesses. Irgendwie ist es eine eigenartige Faszination, die von dem Begriff „König“ ausgeht.
Vor einigen Jahren schrieb die ostdeutsche Popgruppe „Karat“ ein Lied mit dem Titel „König der Welt“. In diesem Lied wird ein ganz anderes Bild vom König sein beschrieben. Dort heißt es: „Rollt aus den Teppich, dass das Herz auf Samt geht. Stille und Kerzen stellt an den Weg. König der Welt, ist das Herz, das liebt. Und jeder Herzschlag ist ein Ritterschlag, wenn er gilt, dem andern."
Musik: Karat – König der Welt – CD: 14 Karat
Wir alle tragen Bilder vom König in uns. Geben Sie mal einem Kind im Vor- oder Grundschulalter ein großes Blatt Papier und Wachsmalstifte und bitten Sie es, einen König zu malen. Sie werden märchenhafte Bilder zu sehen bekommen. Von einem schönen Mann mit wertvoller Krone und einer graziösen Königin an seiner Seite, in ihrem Schloss mit Park und goldener Kutsche. Jugendliche haben andere Königsbilder. Sie sehen vielleicht Aragorn vor sich, den König, der im letzten Teil der Trilogie von Der Herr der Ringe durch seine Rückkehr seinen großen Auftritt hat. Oder manche Mädchen beneiden die bürgerliche Maxima, die mit ihrem Wilhelm nun Königin der Niederlande ist.
Der Musiker Rio Reiser thematisierte satirisch als Politikkritiker sein Bild vom König: „Jede Nacht um halb eins, wenn das Fernsehen rauscht / Leg ich mich aufs Bett, und mal mir aus / Wie es wäre, wenn ich nicht der wäre, der ich bin / Sondern Kanzler, Kaiser, König oder Königin.“ Das satirische Lied über den König von Deutschland und seine BRD entstand in den 80er-Jahren. Und wir sehen: Unsere Königbilder sind geprägt von vielen Vorbildern, Eindrücken und Erfahrungen. Auch im religiösen Kontext hat das Königtum eine besondere Bedeutung.
„Also bist du doch ein König?“, fragt Pilatus Jesus im Gespräch aus dem Johannesevangelium in der Leidensgeschichte Jesu. Die Szene vergegenwärtigt am Ende des Kirchenjahres die Passionszeit beim Hörer. Jesus antwortet dem kaiserlichen Statthalter in diesem Dialog mit einem großen „Ja, aber“: „Du sagst es, ich bin ein König – aber anders als du denkst.“
Musik: Johann Sebastian Bach – Amandine Beyer - Violin Partita No. 1 in B Minor, BWV 100_ III. Corrente –Album: Bach: Sonates & Partitas, BWV 1001-1006
Dem Tag einen Namen geben
Zwischen den Weltkriegen führt Papst Pius XI. 1925 das Ideenfest Christkönig in den liturgischen Kalender ein. Begründet hat der Papst das neue Fest formal mit dem 1600-jährigen Jubiläum des Konzils von Nizäa (325). Eigentlich hatte er eine andere Intention: Angesichts der nicht mehr zu übersehenden Abwendung vieler Menschen von Macht und Anspruch der Kirche will er Familie, Gesellschaft und Staat wieder auf die Anerkennung der Herrschaft des Christkönigs einschwören. Diese Herrschaft betreffe nämlich nicht nur die Christen, sondern „das gesamte Menschengeschlecht“, sagt Papst Pius XI und erläutert weiter: „alle häuslichen und bürgerlichen Gemeinschaften, weil die in der Gesellschaft verbundenen Menschen um nichts weniger unter der Vollmacht Christi stehen als die einzelnen“, so seine Worte zur Einführung des Festes.
Diese Idee erscheint heute fast hilflos angesichts der Pluralisierung von Religionen und Weltanschauungen. Kurze Zeit später aber entfaltet sie ihr kritisches Potenzial. Zur Zeit des Nationalsozialismus erfahren vor allem katholische Jugendliche die Widerstandskraft, die aus dem Zeugnis für den Christuskönig gegen den Führer Hitler erwächst.
Der Papst hatte das Fest ursprünglich im liturgischen Kalender am Sonntag vor Allerheiligen platziert. So erschienen die Heiligen als erste glorreiche Gefolgsleute des Königs in Welt und Geschichte.
Das Zweite Vatikanische Konzil verschob das Fest auf den letzten Sonntag im Kirchenjahr und veränderte es damit auch inhaltlich sehr pointiert. Dass Christus, der Menschensohn, der König der Welt ist, erweist sich erst am Ende der Zeit, wenn er wiederkommt. (Dan 7,13b) Hoffentlich ist er Ziel und Heil für die Menschen und die ganze Welt. Diese Sicht auf die letzten Dinge wird auch in den Lesungen des heutigen Sonntags sehr deutlich.
Ein Königtum, nicht von dieser Welt
Die gesamte jüdisch-christliche Religions- und Glaubensgeschichte ist vom Motiv des Königtums geprägt. Besonders David begründet die Vorstellung des messianischen Königs, der das Volk Israel führt. Hier ist erstmals vom König als ‚Sohn Gottes‘ (vgl. 2 Sam 7) die Rede. Die schlechten Könige Israels sind dagegen Zielscheibe prophetischer Kritik.
Das neutestamentliche biblische Zeugnis über Jesus knüpft ausdrücklich an David an: „Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben.“ (Lk 1,32) So schreibt der Evangelist Lukas und in der Offenbarung hören wir: Ja, aber dieser Christus – König ist anders: Wo ein Monarch allein herrscht, macht er seine Freunde zu Königen. (Offb 1,6) Wo ein König Stärke zeigt und kämpft, wird er durchbohrt und ausgeliefert. Und Johannes sagt dazu: Könige dieser Welt legen Zeugnis ab für Macht und Reichtum, wenige für das politische Taktieren und die Diplomatie. Sein Königtum ist nicht von hier. (Joh 18,36) Er legt Zeugnis ab für die Wahrheit. Jesus ist ein anderer König. „Ich bin ein König“, aber: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“, sagt er. Verständlich, dass Jesus von den Führern des Volkes angeklagt wird als „König“. Auf der Schuldtafel über seinem Kreuz steht „König der Juden“. Verständlich, dass die Ankläger dagegen protestieren. Sie hätten lieber einen anderen Schuldspruch. Doch das Schild bleibt. Es ist das erste Bekenntnis für uns Christen. „Jesus ist König“.
Musik3:Claude Debussy – Jean Martinon - The snow is dancing – Album: Debussy Orchestral music (Emi)
Das Schöne liegt verborgen
Der französische Bildhauer Rodin meißelte in seinen jungen Jahren einen "Mann mit der gebrochenen Nase". Es war die Büste eines hässlichen Menschen. Wegen der gebrochenen Nase macht das Gesicht einen gequälten Eindruck. Mit diesem Werk verabschiedete sich Rodin von der bisher gängigen Kunstauffassung. Als er das Werk in einer Ausstellung geben wollte, wurde es von der Ausstellungsleitung zurückgewiesen. Man könne so etwas dem Publikum nicht zumuten, das für das Schöne schwärmt. Rodin machte sich wieder ans Werk und schuf einen weiblichen Kopf, der der Kunstauffassung entsprach: schön, galant und letztlich ohne Seele. Diese Arbeit konnte er innerhalb kürzester Zeit verkaufen. Der Frauenkopf war gängige Handelsware, der Mann mit der gebrochenen Nase dagegen künstlerische Schau. Die Menschen damals aber griffen lieber nach dem Oberflächlichen. Sie übersahen das Hintergründige.
Die Erfahrung, die Rodin macht, wiederholt sich immer wieder: Die Menschen geben sich mit dem Vordergründigen ab. Sie bleiben ganz bei dem, was zu sehen ist. Die wesentlichen Persönlichkeiten stehen unbeachtet im Abseits, weil sie die Neugierde und das Sensationsbedürfnis unbefriedigt lassen. Erst später spüren die Oberflächlichen, wem sie nachgejagt haben. Und die Personen, die links liegen gelassen wurden, bekommen im Rückblick eine größere Bedeutung.
Ein König ohne Reichtum
Die Szene, in der Leidensgeschichte im Johannesevangelium stellt den Menschen einen König vor. Aber dieser König gleicht eher dem "Mann mit der zerbrochenen Nase" von Rodin - als einem Märchenkönig. Der König Jesus Christus ist ein König, der nicht der strahlende Aufsteiger ist. Der König Jesus Christus kommt nicht in Glanz und Herrlichkeit; er ist ein König, der den Weg nach unten geht.
Jesus hat viele Zeichen und Wunder gewirkt. Er hat sich auf die Seite der Armen, Gefangenen und Zerschlagenen gestellt. Jesus ist nicht der stahlgehärtete Siegertyp, der unberührt an den Menschen und deren Leidensgeschichten vorbeigeht. Er hat sich mit den Pharisäern und Schriftgelehrten auseinandergesetzt, dieser Jesus steht vor Gericht. Die Folge des Prozesses ist das Todesurteil. Die Geschichte mit Jesus ist sozusagen zu Ende. Für mich kommt gerade in dieser Szene die Allmacht Gottes besonders stark zum Tragen. Die Allmacht Gottes ist jene Macht, die sich nicht auf die Ersten bezieht. Gott ist nicht allmächtig, weil er alles tun kann, was er will. Sondern er ist allmächtig, weil er auf seine Macht verzichten kann. "Mein Königtum ist nicht von dieser Welt" (Johannes 18, 36), sagt Jesus im Evangelium und indem er auf seine Macht verzichtet, legt er Zeugnis von einer Wahrheit ab, die die Kraft hat, die Welt zu verändern.
Musik: Claude Debussy - Pascal Rogé - Toccata – Album: Debussy Pianoworks (Decca)
Musikauswahl: Regionalkantor Ulrich Moormann, Fulda