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Wie umgehen mit Ängsten
Bild: Pixabay

Wie umgehen mit Ängsten

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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Ängste allerorten

„Tschüss, Papa, bis heute Abend!“ So verabschiedet sich mein Sohn jeden Morgen von mir. Dann geht er zur Garage, schwingt sich auf sein Fahrrad und radelt zur Schule. Meist schaue ich ihm kurz hinterher. Und jedes Mal ertappe ich mich kurz bei dem Gedanken: „Hoffentlich kommt er gesund wieder nach Hause.“ Sein Schulweg ist knapp fünf Kilometer lang, meist sind es Radwege, aber über die ein oder andere viel befahrene Straße muss er dann doch. Und morgens zwischen sieben und acht Uhr sind die Straßen voll mit Autos. Jetzt, in der dunklen Jahreszeit, wird er natürlich noch schlechter gesehen. Trotz gutem Licht und reflektierenden Streifen an der Jacke. Bis jetzt ist er immer wieder heil nach Hause gekommen. Klar, er ist mal auf feuchtem Laub ausgerutscht, aber bis auf ein paar Kratzer und eine Prellung ist es glimpflich ausgegangen. 

Gleichzeitig weiß ich: Alle zwanzig Minuten wird in Deutschland ein Kind bei einem Verkehrsunfall verletzt oder getötet. Zugegeben: Das macht mir manchmal Angst. Aber Angst und Sorge um seine Kinder zu haben: Das ist für Eltern wahrscheinlich ganz normal. Natürlich ist mir bewusst: Ich kann meine Kinder nicht vor allem beschützen. Ich muss sie gehen lassen in die Welt – auch dort, wo es gefährlich ist. Auch wenn ich Angst um mein Kind habe. 

So mancher wird da sicher sagen: „Mensch, mach dir doch nicht so viele Gedanken. Deine Probleme möchte ich mal haben.“ Schließlich gibt es Menschen, die viel existentiellere Ängste haben. Da sind Menschen schwer erkrankt – sie haben Angst und wissen nicht, ob sie es überleben werden. Da sind Menschen, die Angst um ihre Partnerschaft haben und nicht wissen, ob diese noch eine Zukunft hat. Und dann kann es einem schon angst und bange werden, wenn man die täglichen Nachrichten hört: Krieg und Terror im Nahen Osten und in der Ukraine, die Auswirkungen des Klimawandels, die Sorge um die Demokratien in Europa und in den USA. 

Ängste allerorten also. Wie gehe ich als Christ mit diesen Ängsten um? Davon will ich in der heutigen Morgenfeier sprechen. Vielleicht denkt jetzt der eine oder die andere: Bitte nicht so ein schweres Thema schon so früh am Sonntagmorgen. Aber ich finde es wichtig, auch darüber zu sprechen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Ängste werden kleiner, wenn ich darüber spreche. Wenn ich weiß, wie ich mit ihnen umgehen kann. 

Jetzt aber erstmal einmal Musik. Ich starte mit Musik von Heinrich Schütz. Schon diese 400 Jahre alte Musik ruft dazu, keine Angst zu haben: „Fürchte dich nicht!“

Musik 1: Schütz: Kleine geistliche Konzerte I, Op. 8 - No. 14, Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, SWV 296 (CD: Heinrich Schütz, Kleine Geistliche Konzerte, Solisten des Tölzer Knabenchors unter der Leitung von Gerhard Schmidt-Gaden; Capriccio, CD 1, Track 15, 0:00-2:33)

Der Sturm auf dem See

Klar, natürlich gibt es auch in der Bibel einige Geschichten über die Angst. Eine davon steht im Markus-Evangelium (Markus-Evangelium 4,35-41). Sie erzählt davon, wie Jesus mit seinen Jüngern raus auf den See Genezareth fährt. Der See ist still, es ist ruhig und Jesus legt sich schlafen. Dann aber bricht plötzlich ein heftiger Wirbelsturm los. Die Wellen sind hoch, das Boot fängt an zu wanken. Und weil Wasser ins Boot läuft, droht es zu sinken. Da geraten die Jünger in Panik, sie haben richtig Angst. Deshalb packen sie Jesus an, sie schütteln und wecken ihn. Sie fragen ihn vorwurfsvoll: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Da steht Jesus auf und sagt zu dem Sturm: „Schweig, sei still!“ Und tatsächlich legt sich der Sturm. Das Boot kommt wieder zu Ruhe. Dann aber geschieht etwas Unerwartetes. Jesus tröstet seine Jünger nicht. Er nimmt sie nicht in die Arme und beruhigt sie. Nein, er fragt sie vorwurfsvoll: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ 

Diese Geschichte ist eine richtige Krisengeschichte. Und Menschen erleben Krisen: Krankheiten, Verluste, Veränderungen. Und diese Krisen machen Angst. Immer wieder werden Menschen durchgeschüttelt, sie fühlen sich allein. Sie fühlen sich im wahrsten Sinne des Wortes „gottverlassen“. Und diese Geschichte stellt die Frage: Wo ist denn in diesen Momenten dein Glaube? Was gibt dir Halt? Was gibt dir trotz Angst und Krisen Hoffnung? Letztlich stellt sie die Frage: Worauf vertraust du jetzt eigentlich? 

Natürlich: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ich weiß: Gott nimmt mir meine Krisen nicht weg. Gott löst meine Ängste und Probleme nicht einfach in Luft auf. So naiv bin ich nicht – wäre ja auch zu schön. Aber ich bin davon überzeugt: Gott gibt mir die innere Kraft, meine Krisen durchzuhalten. Er gibt mir die innere Kraft, mich meiner Angst zu stellen. Und er gibt mir die innere Kraft, meine Ängste zu akzeptieren. Denn wenn ich meine Ängste annehmen kann, dann verlieren sie die Macht, die sie über mich haben können. 

Ich glaube: Gott ist mit dabei in den Stürmen und Krisen meines Lebens. Darauf kann ich vertrauen und das gibt mir Sicherheit. Neulich habe ich ein Gebet gelesen, das diese Gedanken aufgreift. Es lautet: „Der Herr ist in unserem Schiff. Im Schiff dieser Zeit, das beladen ist mit Angst, Not und Sorge um die Zukunft. Im Schiff der Kirche, die von Stürmen umhergeworfen wird. Im Schiff unseres Lebens, dessen Segel zerrissen sind. Habt also keine Angst, der Herr ist doch in unserem Schiff.“ 

Gott bleibt dabei. „Bleib bei uns“ – so heißt dieses wunderbare Chorstück von Joseph Rheinberger. 

Musik 2: Joseph Rheinberger „Abendlied“ (CD „Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901) – Cantus Missae“, Kammerchor Stuttgart unter Leitung von Frieder Bernius, Carus, Track 14, 0:00-1:10) 

Angst ist menschlich

Angst – das ist übrigens etwas sehr Menschliches. Für Menschen, die viele Jahrhunderte vor mir gelebt haben, war sie überlebenswichtig. Denn Angst ist eine natürliche Reaktion unseres Körpers. Sie ist ein Ur-Instinkt. Sie schützt uns in Gefahr: Adrenalin wird ausgeschüttet, der Puls steigt: Angst will unsere Sinne schärfen und unsere Körperkraft aktivieren. 

Heute machen viele ganz andere Erfahrungen: Angst lähmt Menschen. Lässt sie verzweifeln. Ich denke da jetzt an eine ganz besondere Angst. Eine Angst, die zu unserem Menschsein dazu gehört: die Angst vor Sterben und Tod. Die Angst vor dem Moment, wenn das irdische Leben unwiderruflich endet. Auch der Gottessohn Jesus hat diese Angst gekannt: Am Ölberg, am Tag vor seiner Kreuzigung, hat er zu Gott gebetet und gesagt: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!“ Und wenig später, in seiner Todesstunde am Kreuz, ruft Jesus „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus-Evangelium 27,46). Das sind Worte voller Angst. Jesus muss sich in diesen letzten Stunden verzweifelt alleine gefühlt haben. 

Ich bin überzeugt: Angst lässt sich besser aushalten, wenn mir jemand beisteht. So habe ich es bei meiner Oma erlebt. Meine Oma war eine tiefgläubige Frau, eine schwere Krebserkrankung hatte ihre letzten Wochen geprägt. Man könnte denken, dass ihr das Sterben vielleicht leichtgefallen ist. Aber auch sie, die Frau mit einem unerschütterlichen Gottvertrauen, hatte Angst vor dem Sterben und dem Tod. In ihrer Sterbestunde waren meine Mutter und meine Tante an ihrer Seite, haben ihre Hände gehalten. Sie haben sie in diesem Moment nicht alleine gelassen. Und so konnte sie friedlich gehen. 

Es gibt da einen Text des evangelischen Theologen und Dichters Paul Gerhardt. Über 400 Jahre ist er alt und doch tröstet er mich beim Lesen immer wieder aufs Neue. In seinem berühmten Passionsgedicht „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ heißt es in der vorletzten Strophe: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten, kraft deiner Angst und Pein.“ Unzähligen Menschen haben diese Worte geholfen, mit weniger Angst aus dem Leben zu scheiden. Mit Gott, der mir beisteht. Der mich in seine Arme nimmt.

Johann Sebastian Bach hat diesen Choral in seiner Matthäus-Passion vertont.

Musik 3: „Wenn ich einmal soll scheiden“ aus der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach (CD: Johann Sebastian Bach ,Matthäus-Passion‘, Gächinger Kantorei, Bach-Collegium Stuttgart unter der Leitung von Helmuth Rilling; Hänssler, CD 3, Track 8, 0:00-1:26)

Martin und unsere Angst

Morgen ist Martinsfest. Und deswegen ziehen in diesen Tagen auch wieder viele Kinder mit ihren Laternen in Martinszügen durch die Straßen. Bei manchen Zügen reitet sogar noch ein verkleideter Martin auf dem Pferd vorneweg. Und erinnert an den römischen Soldaten Martin, der seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt hat. Der heilige Martin gehört seit Jahrhunderten zu den populärsten Heiligen. Er gilt als ein Vorbild für Barmherzigkeit und Mitgefühl.

Martin hat im vierten Jahrhundert nach Christus gelebt – einer Zeit, die von großen sozialen und religiösen Umwälzungen geprägt war. Damals hat das Christentum immer mehr an Einfluss gewonnen im Römischen Reich, es wurde im Jahr 380 sogar Staatsreligion. In der Folge kam es zu Konflikten mit heidnischen Traditionen. Es gab große soziale Ungleichheit, und das Römische Reich war von internen Konflikten und Angriffen von außen erschüttert. Ich stelle mir vor: Das hat die Menschen damals sicher ziemlich verunsichert und verängstigt.

Ich sehe da Parallelen zu uns heute. Mein Empfinden ist: Auch ich lebe in Zeiten großer Krisen und Veränderungen. Große Fragen bewegen uns. Unser Klima hat sich menschengemacht verändert: Wie wollen wir das wieder in den Griff kriegen? Da gibt es die Krise um den Frieden: Müssen wir in Deutschland tatsächlich wieder kriegstauglich werden? Unsere Wirtschaft steht vor einer Transformation: Die Arbeitswelt wird sich mehr und mehr verändern angesichts von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz. Wie steht es da um meinen Job? Da gibt es die Frage um die Zuwanderung in unser Land. Da gibt es die Frage nach mehr Geschlechtergerechtigkeit. Ich könnte noch Vieles nennen.

Ich nehme wahr: Vielen Menschen macht das Angst. Diese Angst lähmt sie. Sie schotten sich ab. Sie wählen Parteien, die ihnen einfache Antworten auf die komplizierten Fragen unserer Zeit versprechen. Sie machen ihr Herz hart. Sie schließen die Augen vor der Not anderer. Für mich ist deswegen das Beispiel des heiligen Martin besonders wichtig. In einer Welt voller Unsicherheiten steht Martins Mantel symbolisch dafür, dass wir unsere Ressourcen teilen sollen – sei es Zeit, Liebe oder materielle Dinge. Das können auch mal kleine Gesten sein – ein freundliches Wort oder eine helfende Hand: Sie bringen Licht in das Leben anderer. Ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn ich Mitgefühl habe für andere, helfe ich nicht nur ihnen – sondern auch mir selbst. Denn meine eigene Angst wird dadurch kleiner. Wenn ich mich um andere kümmere, erfahre ich Frieden und Erfüllung. Ich bin mir sicher: Das hilft, eigene Ängste zu bewältigen.

Und gegen die Angst hilft sicher auch dieses Chorstück von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Musik 4: Felix Mendelssohn Bartholdy: „Denn er hat seinen Engeln“ aus dem Oratorium „Elias“ (CD: Felix Mendelssohn Bartholdy ,Geistliches Chorwerk‘, Kammerchor Stuttgart unter der Leitung von Frieder Bernius; Carus, CD 5, Track 15, 0:00-3:30)

Fürchte dich nicht

„Foodprints – Fußabdrücke“. So heißt ein Gedicht von Margaret Fishback Powers. Powers war eine kanadische Kinder- und Jugendbuchautorin. Und in ihrem Gedicht erzählt sie von dem Traum eines Mannes. Er träumt, er würde mit Jesus Christus am Strand spazieren gehen. Am Himmel über ihnen erscheinen Szenen aus dem Leben des Mannes. Und er entdeckt am Strand parallel dazu Fußabdrücke – jeweils zwei Paar. Eines gehört ihm selbst, das andere Jesus. Da bemerkt er: Auf dem Weg ist oft nur ein paar Fußabdrücke zu sehen. Vor allem dann, wenn es ihm im Leben nicht gut ging. Natürlich wundert es den Mann, und er fragt Jesus, warum er ihn gerade in den schweren Zeiten seines Lebens allein gelassen habe. Und Jesus antwortet ihm: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“

Ich hatte dieses Gedicht viele Jahre an meinem Bett hängen. Zugegeben: Es ist vielleicht ein bisschen kitschig. Aber mir gefällt dieses Bild: Gott begleitet mich durch mein Leben, er trägt mich durch schwere Zeiten. Dieses Bild von Gottes Gegenwart gibt mir Trost und Hoffnung. Und es gibt mir große Zuversicht: Ich bin nicht allein – selbst wenn ich mich verloren fühle, wenn ich Angst habe. Denn Ängste können lähmend sein. Sie halten mich davon ab, mein Leben in vollen Zügen zu genießen. Ich bin tief davon überzeugt: Gottes Liebe zu den Menschen vertreibt Angst und Furcht. Gottes Liebe sagt mir: „Fürchte dich nicht.“

Im Alten Testament beim Propheten Jesaja heißt es: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43,1) Diese Worte sagen mir: Gott kennt meinen Namen, er meint mich ganz persönlich. Er nimmt mir Angst und Furcht. Und das ist eine gute Erfahrung. Denn ich weiß: Ich bin geborgen in Gottes Hand.

Musik 5: Johann Sebastian Bach „Motette ,Fürchte Dich nicht‘ BWV 228“ (CD: J.S.Bach „Motets“, La Chapelle Royal, Paris, Collegium Vocale Gent, unter der Leitung von Philippe Herreweghe; harmonia mundi, Track 2, 4:15-8:20).

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