Jeder Mensch ein Original – „Du bist einzigartig“
Die Gesichtserkennung ist bei vielen Smartphones bereits Standard: einfach das Handy vors Gesicht halten. Die Kamera macht ein Bild. Blitzschnell wird dieses mit dem im Speicher hinterlegten dreidimensionalen Bild abgeglichen. Schon ist das Handy „entsperrt“. Ich wurde erkannt und autorisiert! Du darfst mich benutzen, sagt mir mein Handy!
Mir fällt dazu der liebevoll ironische, vor allem aber so lebenskluge Satz von Albert Schweitzer ein: Demnach hat mit zwanzig Jahren jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat. Mit vierzig Jahren hat man das Gesicht, das einem das Leben gegeben hat, und mit sechzig habe ich schließlich das Gesicht, das ich verdient habe.
Ob die Ingenieure der Smartphone-Hersteller das einberechnen werden? Mein Gesicht verändert sich ja nicht nur über die Jahrzehnte. Mein Gesicht zeigt sehr oft und sehr unmittelbar meine aktuelle Stimmung - leider oder zum Glück? Das ist die Frage. Und wenn ich mich besonders verknautscht und hässlich finde, muss ich mir auch noch eingestehen: Das ist jetzt Dein Gesicht, so hast Du es dir vermutlich verdient! Aber mit welchem Gesicht will ich eigentlich erkannt werden? Nicht von meinem Handy, sondern von meinem ganz menschlichen Gegenüber? Mit dem Gesicht, wie es mir Gott gegeben hat, oder mit meinem Gesicht, wie es vom Leben gezeichnet ist: Von den vielen hellen, aber auch von reichlich dunklen Stunden? Und warum nicht auch erkannt werden mit dem Gesicht, das ich mir verdient habe, so wie ich eben bin.
Der Mensch als Abbild Gottes
Die Tatsache, dass mein Gesicht so ist, wie es ist und ich der bin, der ich bin, ist für mich kein Zufall. Der Mensch ist geschaffen nach dem Abbild Gottes, so steht es ganz am Anfang in der Bibel. Das Leben jedes Menschen ist in den Augen Gottes kostbar und unendlich wertvoll. Denn jeder Mensch ist ein Original, geschaffen von Gott. Einmalig und vom anderen völlig verschieden ist das Gesicht, die Lebensgeschichte, sind die Gefühle, der Geist und die Gedankenwelt eines Menschen. Bis in jede einzelne Zelle hinein ist der ganze Mensch einmalig und unverwechselbar. Das heißt: Sie und ich – wir alle sind Originale! Einmalig kostbar und unersetzlich!
Niemals war Gott so einfallslos bequem, dass er Kopien machte oder gar von einem besonders gut gelungenen Original eine ganze Serie. Nein: Gott war und ist schöpferisch. Er war und ist kreativ. Daher ist auch in seiner Schöpfung alles einzigartig und einmalig. Gott kopiert nicht. Vielmehr erschafft er alles neu, einmalig und originell. In dieser Originalität berühren wir ein Geheimnis: Das tiefe Geheimnis unseres Lebens.
Musik: Johannes Brahms – Lerchengesang – Mischa Maisky
Gott kopiert nicht, Gott erschafft jeden neu
Jeder Mensch ist ein Original. Wie kann ich diese Einmaligkeit erkennen und erfahren? Ich habe für mich drei Zugänge zur Beantwortung dieser Frage entdeckt. Ein erster: Als Mensch entdecke ich in der Begegnung mit anderen Menschen, dass ich einmalig bin.
Von Rainer Maria Rilke ist uns ein Erlebnis bekannt, das uns näher an das Geheimnis unserer menschlichen Würde heranführen kann:
„Täglich ging Rainer Maria Rilke während seines Pariser Aufenthaltes um die Mittagszeit in Begleitung einer jungen Französin an einer alten Bettlerin vorbei. Stumm und unbeweglich sass die alte Frau da und nahm die Gaben der Vorübergehenden ohne jedes Anzeichen von Dankbarkeit entgegen. Zur Verwunderung seiner Begleiterin, die selbst immer eine Münze bereit hatte, gab ihr der Dichter aber nichts. Auf die Frage, warum er nichts gebe, sagte er: „Man müsste ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand.“ Am nächsten Tag erschien Rilke mit einer wundervollen, halb erblühten Rose. „Ah“, dachte die Begleiterin, „eine Blume für mich, wie schön!“ Aber Rilke legte die Rose in die Hand der Bettlerin.
Da geschah etwas Überraschendes: Die Frau stand auf, griff nach seiner Hand, küsste sie und ging mit der Rose davon. Eine Woche lang blieb sie verschwunden. Dann sass sie wieder auf ihrem Platz, stumm, starr wie zuvor. Da fragte die Begleiterin: „Wovon hat sie die ganze Woche gelebt?“ Rilke antwortete: „Von der Rose!“
Die Rose brachte eine Veränderung in das Leben dieser Bettlerin. Geld brauchte sie, um zu überleben. Doch Leben ist mehr als Überleben. Worin bestand das Geheimnis der Rose, das sie so veränderte?
Die Rose hatte in ihr eine tiefere Dimension angesprochen und berührt. Das Geschenk der Rose zeigte ihr, dass sie als Person gesehen und geachtet wurde. Die Rose ließ diese Frau spüren, dass auch sie Ansehen hat. Durch die Rose spürte die Frau Liebe in ihrem Herzen.
Sie hat erfahren:„Ich bin einzigartig. Ich bin ein wertvoll. Ich habe Würde.“ Diese Erfahrung ließ diese Bettlerin aufleben und innerlich wieder lebendig werden. Durch die liebevolle Begegnung mit einem Menschen hat die Frau etwas von ihrer Einzigartigkeit gespürt und das hat ihr so gutgetan!
Musik: Francoise Hardy - Chanson: Mon amie la rose
Die Menschen ihre Einzigartigkeit spüren lassen
Jeder Mensch ist ein Original und einmalig. Auch in der Natur kann ich Spuren zu diesem Geheimnis entdecken: Kennen Sie den Vogel, der Goldregenpfeifer heißt? Er hat die Größe einer Taube und fliegt ohne Zwischenhalt jeden Herbst von Alaska aus auf die Insel Hawaii. Ohne Pause fliegt er an einem Stück 4.500 km weit. Drei Tage und vier Nächte ist er unterwegs. Bis heute ist es unerklärbar, woher der Vogel das Ziel kennt und warum er auf seinem Flug kein Grad vom Kurs abweicht, was ja tödliche Folgen hätte. Sein Treibstoff, welchen er sich zuvor anfrisst, besteht lediglich aus 70 Gramm Fett. Wer hat dem Goldregenpfeifer diesen inneren Drang gegeben? Wer zeigt ihm in stockfinsterer Nacht und bei Regen den Weg?
Hier entdecke ich ein Geheimnis, das in so vielen Bereichen der Schöpfung gegenwärtig und erfahrbar ist. Ein Geheimnis, das ich im Wechsel der Jahreszeiten, in der Befruchtung der Pflanzen, im Mit- und Ineinander überall in der Natur beobachten kann. Alles steht miteinander in Beziehung. Hinter allen Vorgängen der Natur steckt ein Sinn, ein Geheimnis.
Der Blick in die Zusammenhänge der gewaltigen Schöpfung lädt mich ein, in größeren Dimensionen zu denken – und dies nicht nur von der Schöpfung, nein – auch ganz konkret von mir als Mensch. Jeder Mensch ist ein Original. Neben der Begegnung mit Menschen - im Staunen über die Wunder in der Natur - gibt es für mich eine dritte Dimension, dies zu erkennen: Es ist die Begegnung mit Gott. Dabei hilft mir die Frage: Wie kommt es eigentlich, dass ich lebe?
Niemand von uns hat sich eines Tages hingesetzt und sich überlegt: Es wäre doch schön, wenn ich leben würde, und im Übrigen: So groß möchte ich sein, solche Augen, Beine, Haare möchte ich haben, diese und jene Gefühle sollten in mir sein, so möchte ich denken können. Und niemand hat sich dann hingesetzt, um sich selbst „herzustellen“. Das wäre ja auch gar nicht möglich!
Nein, die Wahrheit über meinem Leben lautet: Ich bin geworden, ohne dass ich etwas dazu getan habe. Eines Tages ist mir bewusst geworden, dass ich lebe! Spannend dabei ist die Frage, wie ich geworden bin. Bin ich das Produkt eines Zufalls, einer mehr oder weniger zufälligen Intimbegegnung zweier Menschen? Oder kann ich hinter meinem Leben das Geheimnis einer großen Liebe, nämlich der Liebe Gottes erahnen!
Mein Leben ist Beweis für Gottes Liebe
Der Verfasser der Psalmen drückt diesen Glauben mit wunderbaren Worten aus. Er schreibt:
„Du (Gott) hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoss meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.“ (Ps 139,13–16)
Gilt das, was hier vor über 3000 Jahren in der Bibel aufgeschrieben wurde auch für mich? Stimmt das, dass ich etwas Wunderbares bin? Kann ich mich auch so sehen? Kann ich danken für das Wunder, das ich bin?
Musik: Felix Mendelsohn Bartholdy - Lied ohne Worte“ – Op. 19 No.4 in A Mayor - Daniel Barenboim
“Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast.“ Dieses Psalmwort weckt in mir eine weitere Frage: Warum und wozu hat Gott mich geschaffen?Wenn Gott mich geschaffen hat, dann weiß auch nur Er, aus welchem Grund und zu welchem Ziel Er mich geschaffen hat. Beim besseren Verstehen dieses Geheimnisses meines Lebens hilft mir wieder die Heilige Schrift.
Bereits im ersten Kapitel der Bibel, und zwar im Ersten (Alten) Testament wird eine grundlegende Aussage über das Geheimnis des Menschen gemacht. “Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27). Gott ist der Schöpfer des Menschen. Er hat ihn geplant und gewollt. Das heißt auch für mich: Ich bin einzigartig und einmalig. Das Geheimnis des Menschen besteht darin, als Frau und Mann “Abbild Gottes“zu sein. Jeder Mensch, unabhängig von seinem Alter, seinem Geschlecht, seiner Rasse, seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten, seiner Religion ist ein einmaliges Bild Gottes. Das ist die unzerstörbare Würde des Menschen.
Anders gesagt: Gott will in jedem Menschen seine eigene göttliche Schönheit, seine Weite, seine Liebe, d. h. etwas von ihm selbst abbilden. Genau darum ist jeder Mensch unersetzbar und einmalig wichtig.
Weil ER es will
In meinem Urlaub habe ich eine schöne Karte entdeckt. Auf der Vorderseite halten zwei Hände liebevoll das Köpfchen eines Neugeborenen. Auf der Rückseite sind folgende Gedanken geschrieben: Wie dieses kleine Kind bin auch ich von Gott als sein Bild geschaffen, von ihm gewollt und geliebt. Immer schon war ich im Herzen jenes geheimnisvollen Gottes. Weil ER es will, lebe ich, und darum ist es gut, dass es mich gibt. Ich bin hineingenommen in ein großes Geheimnis, das mich und uns alle umgibt. Ich bin geborgen in einem großen Herzen, im Herzen Gottes. Hier darf ich einfach sein, darf ich einfach “ich“sein. Da hinein darf ich mich fallen lassen. Und dort bin ich angenommen, geliebt und geschätzt. Gott selbst ist es, der zu mir sagt: “Du bist kostbar, überaus kostbar in meinen Augen. Dich habe ich gewollt! An dir habe ich meine Freude. An dir und deinem Leben. Du bist einzigartig. Ein kostbares Original – und Dich liebe ich unendlich.“
Musik: Joseph Hayden - Die Himmel erzählen die Ehre Gottes - Die Schöpfung Hob. XXI:2 / 1. Teil - No. 14 Chor und Terzett
Musikauswahl: Thomas Wiegelmann, Bad Soden-Salmünster