Christus-Epheta – Kirche öffne dich
Wir alle tragen einen Namen. Unseren Namen haben vermutlich die Eltern, Großeltern oder andere Menschen ausgewählt. Manche Namen gelten als modern, andere als veraltet. Die Zeiten ändern sich. Auch Kirchen tragen einen Namen. Dabei gibt es Klassiker. Sie sind Christus, dem Erlöser geweiht oder heißen „Christkönig“. Viele tragen den Namen Mariens: St. Maria, St. Marien, Maria Königin oder etwas Ähnliches. Je nach Region sind manche Heilige und damit Kirchennamen besonders beliebt. Viele Kirchen tragen den Namen des Hl. Bonifatius, der Hl. Elisabeth, des Hl. Petrus.
Es gibt aber auch ungewöhnliche Namen. Eine der Kirchen, für die ich tätig bin, sie steht in Homberg (Efze), trägt einen eher ungewöhnlichen Namen. Sie heißt: Christus-Epheta. 1957 wurde sie geweiht. Der Name der Kirche steht in Verbindung mit einer Schule für hörgeschädigte Kinder und Jugendliche. Seit fast 200 Jahren gibt es diese Schule in der Nähe der Kirche. Ein Schild an der Kirche besagt, dass die Christus-Epheta Kirche in Homberg die „Patenkirche für die Gehörlosen in Deutschland“ ist. Christus-Epheta: ein einmaliger Name. Mir ist keine zweite Kirche bekannt, die diesen besonderen Namen trägt: Christus-Epheta.
Öffne dich – ein täglicher Ansporn für unseren Glauben
Effata! Das heißt übersetzt: Öffne dich! Es ist ein aramäisches Wort, das Jesus selbst gesagt hat.
Im Evangelium des heutigen Sonntags sagt er es einem Taubstummen. Dieser wird von anderen zu Jesus gebracht. Der Evangelist Markus berichtet im siebten Kapitel seines Evangeliums davon. Da heißt es: „Da brachten sie zu Jesus einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, er möge ihm die Hand auflegen. Jesus nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu ihm: Effata! Das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden …“
Effata – Öffne dich. Durch dieses Wort Jesu werden dem Taubstummen Ohren und Mund geöffnet. Er wird geheilt, er konnte wieder richtig reden. Die beschriebene Szene des Evangeliums ist außen an der Homberger Kirche sichtbar und etwas abgewandelt dargestellt. Ein großes Mosaik ist an der Fassade angebracht. Unter dem Schriftzug „Epheta“ zeigt die Hand Gottes auf Jesus. Auf der Höhe seiner rechten Hand ist die Heilig-Geist-Taube dargestellt. Mit der anderen Hand heilt Jesus zwei gehörlose Kinder. Eine thematische Brücke zur Schule für die Hörgeschädigten in der Nähe der Kirche.
Für mich ist dieses Mosaik an der Kirche und der Ausruf „Effata – Öffne dich“ immer wieder eine Einladung und ein Ansporn. Es geht mir dabei um eine Haltung der Offenheit. Wir hören oft nur das, was wir hören wollen. Wir nehmen oft nur das wahr, was wir wahrnehmen wollen. Unsere Wahrnehmung ist selektiv, bedingt durch viele Faktoren, auch durch die eigene Biografie.
Musik: Colin Mawby - O sing to the Lord - Singet Lob! Geistliche Chormusik für Kinder- und Oberstimmenchor
Mir kommen Fragen in den Sinn. Fragen wie: Wo bin ich verschlossen? Wo höre ich nicht richtig hin? Wo bleibt mein Mund stumm, obwohl er reden sollte? Was verstopft meine Ohren? Was blendet meine Augen? Was drängt an meine Sinne? Was belastet mein Herz? Und überhaupt: Wovor verschließe ich meine Sinne? Wo bin ich „sinn-los“ in meinem Leben unterwegs?
Der große Schriftzug „Epheta“ ist dann an mich persönlich gerichtet. Öffne dich. Sei mit wachen Sinnen unterwegs. Unterwegs in dieser Welt und in unserer Zeit. Und das in mehrfachen Bezügen. Öffne dein Herz und deinen Verstand, öffne deine Sinne und öffne dann auch deinen Mund, um Stellung zu nehmen. Effata – öffne dich und sei immer offen für den Glauben, für das Wort Gottes. Was will Gott dir, was will Gott uns heute in dieser Zeit sagen? Was ist sein Auftrag an uns?
Diese Offenheit für Gottes Wirken in der Welt und in uns halte ich für bedeutsam. Wo wirkt Gott in meinem Leben? Wo habe ich Gottes Wirken in den letzten Tagen und Wochen erlebt? Und was will Gott in dieser Zeit von mir konkret?
Effata - Öffne dich. Der Name der Kirche und das Mosaik an der Fassade sind immer auch Anstoß für Fragen: Wo kann ich mich öffnen? Wo möchte und kann ich geheilt werden? Was sollte Jesus bei mir berühren, wo mich anstoßen, damit etwas offen wird, damit ich offen oder offener sein kann.
Öffne dich – das ist Gottes Auftrag an uns
Die Beantwortung der Fragen kann mir niemand anderes abnehmen. Ich kann mich mit anderen austauschen, gemeinsam auf die Suche nach dem Willen Gottes machen. Letztlich aber muss ich die Frage, was Gott von mir heute will, wo ich meinen Auftrag sehe, selbst beantworten. Von der Antwort kann ich dann ins Handeln oder auch ins Lassen kommen. Auch das muss ich verantworten können.
Effata - Öffne dich. Die Bitte um Öffnung und Offenheit ist nicht nur an mich oder einzelne Menschen gerichtet. Sie gilt auch einer Gemeinschaft, der Gemeinde. Die Bitte um Öffnung und Offenheit gilt dann auch für die Kirche als Ganze. Auch sie braucht immer wieder Offenheit für andere Menschen, dass wir sie und ihre Situation wahrnehmen.
Es braucht Offenheit für diese Welt und die Entwicklungen in ihr: politisch, gesellschaftlich. Wo Demokratie und Freiheit bedroht sind, wo Menschen sprachlich unsichtbar gemacht werden, wo Leistung mehr zählt als Sein als solches. Es braucht die Offenheit für Menschen anderer Kulturen und Erfahrungen.
Und die Kirche benötigt die Offenheit für Gottes Wille in unserer Zeit. Was will Gott von der Kirche heute ganz konkret? Die Kirche steht vor vielen Herausforderungen. Um mit diesen gut umzugehen, braucht es zunächst das Hören, dann das Unterscheiden und schließlich das Umsetzen ins Handeln oder ins Lassen.
Musik: Malcom Archer - Listen, to the spirit - Singet Lob! Geistliche Chormusik für Kinder- und Oberstimmenchor
Die Christus-Epheta Gemeinde in meiner Stadt Homberg kann in diesem Jahr ein Jubiläum feiern. „125 Jahre Katholische Kirche nach der Reformation.“ Das ist bedeutend! Hintergrund ist die Tatsache, dass von Homberg die Reformation in der damaligen Landgrafschaft ausging. Auf der Homberger Synode im Oktober 1526 wurde die Reformation im heutigen Hessen eingeleitet. In der Folge wurden die Kirchen nicht mehr für katholische Gottesdienste genutzt.
Dennoch: In Homberg wurde nach über 370 Jahren ohne katholisches Gotteshaus im Juni 1899 eine kleine Kapelle geweiht. Sie wurde für die damals wenigen katholischen Christen in Homberg zu einer Keimzelle des Glaubens und der Gemeinschaft. Später wurde diese Kapelle erweitert. Heute ist sie Teil eines Altenpflegeheimes. Eine neue Kirche wurde 1957 geweiht, die Christus-Epheta Kirche.
Dass vor 125 Jahren diese Kapelle gebaut werden konnte, ist einer besonderen Frau zu verdanken: Theresia Breiding. Sie kam als junge Frau nach Homberg, heiratete einen Bäcker und konnte im Laufe der Zeit immer wieder Geld zur Seite legen. Sie, die als junge katholische Frau in das evangelisch geprägte Homberg kam, hatte eine Vision. Sie war offen für das Wort Gottes. Sie hörte es oft, denn sie ging Sonntag für Sonntag knapp 20 km zu Fuß zur Heiligen Messe. Theresia Breiding erkannte die „Zeichen der Zeit“. Sie überlegte, wie sie ins Handeln kommen konnte. Sie hatte die Ausdauer und die Zielstrebigkeit, ihre Vision von einer kleinen Kapelle in die Tat umzusetzen. Den Erwerb des Grundstücks erlebte Theresia Breiding noch. Die Einweihung der Kapelle im Jahr 1899 nicht mehr. Sie starb wenige Monate zuvor.
Öffne dich – und wirke
Den Jahrestag der Einweihung der Kapelle war und ist Anlass, in besonderen Gottesdiensten und Veranstaltungen immer wieder den Ruf „Effata – Öffne dich“ hervorzuheben. Dazu durften und dürfen wir besondere Gäste begrüßen. Die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Sr. Dr. Katharina Ganz, stellte dieses Wort in den Mittelpunkt ihrer Ansprache. Sie zeigte auf, dass dort, wo Menschen offen für Gottes Wort sind, sie vieles bewegen und verändern können. Wo diese Offenheit jedoch fehlt, bleiben Menschen, Organisationen und Strukturen in verkrusteten und verhärteten Bahnen.
Der Fuldaer Bischof Dr. Michael Gerber erinnerte in seiner Festpredigt am Pfarrfest an Theresia Breiding und an ihr Wirken. Er rief ins Gedächtnis, dass die Zukunft unserer Kirche wesentlich von Menschen geprägt sein werde, die ihren Glauben, ihre Vision einbringen und leben. Er rief dazu auf, dass wir in unserer Zeit zu Visionsträgerinnen und -trägern werden.
Heute Nachmittag ist Propst Dr. Volker Mantey, Propst des Sprengels Marburg der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck zu Gast. Er bringt damit die jahrzehntelange ökumenische Geschwisterschaft und Offenheit in unserer Reformationsstadt Homberg zum Ausdruck.
Effata – Lernen aus der Geschichte, offen sein für Neues und gemeinsam den Glauben vor Ort bezeugen und leben – wichtige Hinweise, immer wieder.
Musik: Georg Philipp Telemann – Hoffnung (instrumental)
In unserer Christus-Epheta Kirche steht, wie in katholischen Kirchen üblich, eine Madonna. Sie wurde vor vielen Jahrzehnten vom damaligen Pfarrer erworben. Diese Madonna wurde von Alfons Vogt geschnitzt. Alfons Vogt ist inzwischen 92 Jahre alt und lebt in der badischen Stadt Oberkirch. Alfons Vogt ist hörgeschädigt. In der Sprache des Evangeliums von heute: Er ist taubstumm. Eine Infektionskrankheit, die er als Kind bekam, führte zu dieser Einschränkung.
Mit den Ministrant*innen unserer Gemeinden konnten wir Alfons Vogt vor einigen Wochen besuchen. Die Werkstatt, in der er die Madonna geschnitzt hat, öffnete uns die Türen für einen Besuch, einen Blick ins Atelier und das Gespräch mit dem Künstler.
Es ist faszinierend zu erleben, wie Alfons Vogt sich noch gut an das Schnitzen der Madonna erinnern kann. Er hat mit Freude und Enthusiasmus davon erzählt. Es war ein eindrucksvoller Besuch für alle Beteiligten: für den taubstummen Holzschnitzer und für die Jugendlichen. Ein hörgeschädigter Künstler, der für die Patenkirche der Gehörlosen, die Kirche Christus-Epheta, eine Madonna schnitzt. Ein besonderes Zeichen, eine intensive Verbindung und ein wertvolles Detail der Homberger Kirche, das viele beeindruckt.
Öffne dich - eine ständige Herausforderung
Effata – Öffne dich. Ein Aufruf, eine Einladung, ja eine Aufforderung Jesu. Effata – Öffne dich. In der Christus-Epheta Kirche in Homberg ist er Name und Programm. Offenheit steht uns gut. Und ich bin dankbar für die Offenheit von Menschen. Es ist gut, wenn Menschen offen für ihre Fähigkeiten, ihre Talente sind, die ihnen geschenkt sind. Es ist gut, wenn Menschen sich für Neues und Ungewohntes öffnen.
Kirche, Gemeinde von heute, im Sinne Jesu erlebe ich vor allem dann, wenn alle darin Platz haben und willkommen sind. Menschen, die traditionell im Glauben zu Hause sind; Menschen, die sich nach neuen Formen für die Gottesdienste sehnen. Die Offenheit für Gottes Wort, für andere und für uns selbst ist eine ständige, nicht immer einfache Aufgabe.
Ich darf mir dazu am Evangelium ein Beispiel nehmen. Jesus berührt den Taubstummen. Heute darf ich mich berühren lassen, ich darf mich öffnen lassen. Von seinem Wort, von der Begegnung mit anderen Menschen.
Diese Offenheit wünsche ich Ihnen an diesem Sonntag und in Ihrem Leben, und dass wir uns immer sagen lassen: Effata – Öffne dich.
Musik: Christopher Tambling - Festliches Halleluja - Geistliche ChorwerkeVol. II
Musikauswahl: Regionalkantor Armin Press, Hanau