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Satt werden
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Satt werden

Martina Patenge
Ein Beitrag von Martina Patenge, Katholische Referentin für Glaubensvertiefung und Spiritualität, Kardinal-Volk-Haus Bingen
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Ein früherer Kollege ist für mich ein ein absolutes Phänomen: Blitzschnell konnte er Entscheidungen treffen. Auch in schwierigen Situationen. Er hat fast immer sofort gewusst, was er will. Oder wo er eingreifen möchte. Während wir anderen im Team oft noch um unsere Meinungen gerungen haben. Nicht, dass es immer nach seinem Kopf gegangen wäre - in einem Team mit großer Verantwortung für Menschen müssen Entscheidungen von allen mitgetragen werden können. Dieser Kollege hatte aber einen inneren Kompass, der uns sehr geholfen hat. Ich erinnere mich immer noch an eine Szene, wo er das ganze Team vor Überforderung bewahrt hat, indem er spontan und ganz klar sagte: Das geht nicht! Das werden wir nicht schaffen! 

Wie verhalte ich mich in dem Konflikt?

Ich selbst kann mich schon auch schnell entscheiden: Welches Buch will ich lesen?  Was ziehe ich an? So etwas entscheide ich schnell und intuitiv. Aber bei existentiellen Fragen tue ich mich schwer. Wie verhalte ich mich in dem Konflikt? Wie soll ich als Christin leben? Welche Partei wähle ich? Für solche Überlegungen brauche ich Zeit. Und dann kommt meistens irgendwann der Moment, da greife ich mir an die Stirn, weil plötzlich ganz klar ist: So und nicht anders werde ich mich entscheiden. So fühlt es sich für mich sehr richtig an. 

Manchmal ist das anstrengend

Ob jemand sich schnell entscheiden kann oder nur langsam – ein richtig oder falsch gibt es da nicht. Sicher ist nur, dass wir uns x-mal am Tag entscheiden müssen. Manchmal ist das anstrengend. Aber viel mehr noch ist es wirklich wunderbar, dass wir in vielem entscheiden können. Darin zeigt sich unsere menschliche Freiheit. Und die ist sehr kostbar. 

Musik 1: Johann Sebastian Bach, Präludium A-Dur BWV 536/1, v. Thomas Drescher, CD:„Venite, adoremus Ein musikalischer Streifzug durch den Jahreskreis“

Ob schnell oder langsam, entscheiden muss ich mich jeden Tag. Manchmal bringt mich das in Konflikte. Wenn es um meine Werte geht, um meine Überzeugungen. Wie schwer ist es manchmal, mir und meinen Werten treu zu bleiben. Vermutlich treibt das seit jeher viele Menschen um: Wie will ich leben – was ist mir wichtig – wofür steh ich gerade - und wann bin ich bereit, auf etwas zu verzichten? 

 

Stehe ich zu diesem Glauben? 

Die Bibel erzählt sehr oft von solchen Konflikten. Durchgehend gibt es da die Frage: Stehen die Menschen zu Gott oder nicht? Sind sie ihrem Glauben treu? Und wenn ja: Zeigt sich das auch in ihrem Verhalten? 

Auch die heutigen Bibellesungen in den katholischen Gottesdiensten greifen diese Fragen auf: Wird es meinem Leben helfen, wenn ich an Gott glaube? Und stehe ich zu diesem Glauben? Kann ich davon sozusagen satt werden? Jesus hat eine Antwort: „... mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben.“ 

 

„Ich bin das Brot des Lebens"

Himmlisches Brot gibt Leben. Da spitzen seine Zuhörenden die Ohren. Liegt hier die Lösung aller Sorgen um das tägliche Brot? Logisch, dass die Menschen Jesus um dieses Brot bitten. Es ist doch der Urwunsch der Menschen, nicht mehr zu hungern. Doch Jesus verblüfft sie völlig mit seiner Erklärung: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Joh 6,32 -34)  Da werden die Leute wütend. Sie finden ihn anmaßend. Jesus redet sich fast um Kopf und Kragen, als er erklären will, was er gemeint hat. Sie werden bockig: Will der sie zum Narren halten? Wie kann ein Mensch Brot werden, wie kann er Hunger und Durst stillen durch sich selbst? Wie kann ein Mensch Nahrung sein – und das für immer? Das klingt ja wirklich unerhört. 

Nie mehr hungern, nie mehr dürsten... 

Ich fürchte, ich hätte ähnlich reagiert, wenn ich damals dabeigewesen wäre. Ich hätte das bestimmt erst mal nicht verstanden.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Viele Menschen wenden sich von Jesus ab. Sie fühlen sich veräppelt in ihrer täglichen Mühe, genug zu essen zu haben. Nie mehr hungern, nie mehr dürsten – wenn sie sich für Jesus entscheiden? Kein Wunder, dass viele da nicht mehr mitgehen können. Zu diesem Menschen wollen sie nicht mehr dazugehören, der solche merkwürdigen Sachen von sich sagt. Sie gehen weg. Sie ringen noch mit diesem Gedanken

Sie verstehen noch nicht, was Jesus wirklich sagen will. Dass seine Worte und sein Lebenseinsatz so lebenswichtig sind wie Brot. Dorothee Sölle hat das einmal so ausgedrückt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er stirbt sogar vom Brot allein.“

Auch die engsten Freunde von Jesus ringen noch mit diesen Gedanken: „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ (Joh 6,60) Jesus sieht das und fragt die Freundinnen und Freunde: „Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen. Du hast Worte ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ (Joh 6,68.69) 

 

Musik 2: Melodie: Thomas Nesgen, Arrangement: Thomas Gabriel „Du bist das Brot, das den Hunger stillt“, Jugendchor und –band, Seligenstadt, CD:„Singt Gott den neuen Lobgesang“

In den Bibellesungen der katholischen Gottesdienste geht es heute um „alles oder nichts“. Um Glauben – oder keinen Glauben. Jesus verlangt etwas sehr Großes von seinen Jüngerinnen und Jüngern. Sind sie für ihn oder gegen ihn? Sie müssen sich entscheiden. Ob sie ihm glauben. Ob sie mit ihm alles auf eine Karte setzen. Ob sie die Nahrung nehmen können, die er ihnen anbietet.

Gegenüber Menschen in Not ist Jesus sehr zugewandt. In der Frage des Glaubens aber ist er unbeugsam: Bleibst Du gläubig, glaubst du an mich und die Kraft, die von mir ausgeht – oder nicht? 

 

Sie haben ihre Gründe dafür

Damals bleiben tatsächlich viele bei ihm und teilen weiterhin mit ihm das mühsame Wanderleben. Jesus fasziniert sie. Sie wollen mehr von ihm verstehen. Er verändert ihr Leben. Aber anderen ist dieser Jesus zu viel, sie gehen nach Hause. Sie entscheiden sich gegen Jesus. Und auch das ist in Ordnung. 

Heutzutage verlassen viele Menschen vielleicht nicht unbedingt Jesus, aber die Kirche, vor allem hier in Deutschland. Sie haben ihre Gründe. Manchmal geht es mehr um die Institution, manchmal mehr um den Glauben. Weil sie sich über die Kirche als Institution ärgern oder schwer enttäuscht sind. Oder sie sind nicht mehr bereit, Kirchensteuer zu zahlen. Aber es gehen auch viele, weil sie nicht mehr glauben können. Ob schnell entschlossen oder nach jahrelangem Ringen: Jeder Mensch trifft mit seinem Austritt eine wichtige Entscheidung für sich selbst.

Und so werden die Kirchen immer leerer. 

 

Oder willst du auch gehen?

Das tut all denen weh, die noch bleiben. Weil Glauben Gemeinschaft braucht. Ich möchte spüren, dass auch andere auf diesem Weg sind. Ich brauche Geschwister im Glauben. Ich brauche ihr Zeugnis.

Auf der anderen Seite fordern diese Abbrüche des kirchlichen Lebens auch mich heraus als Theologin, die ihren Glauben und ihren Beruf liebt. Jesus stellt seine Frage auch an mich: Glaubst du, dass du durch mich Nahrung für dein Leben bekommst? Oder willst du auch weggehen? 

 

Musik 3:  Dimitriy Shostakovich, Präludium Nr. 4 e-Moll (aus: 24 Präludien und Fugen op. 87), v. Konstantin Scherbakov, CD: Shostakovich 24 Preludes and Fugues Op. 87 

„Wollt auch ihr weggehen?“  fragt Jesus die Jüngerinnen und Jünger, die bei ihm geblieben sind. Man könnte es ihnen nicht verdenken. Aber Petrus sagt: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,67-69).  

Solche Kraft haben diese Worte

Was will Petrus damit sagen? Zunächst einmal meint Petrus sicherlich die wirklichen Worte von Jesus. Der war ein genialer Redner. Er konnte Menschen fesseln mit seinen Geschichten vom barmherzigen Gott, von der Liebe, von neuem Lebensmut. Und dann sind da seine erlösenden Worte: Einmal sagt Jesus zu dem korrupten Zöllner Zachäus, mit dem niemand was zu tun haben will: „Ich muss heute bei dir zu Gast sein!“  (Luk 19,5). Jesus wird seinen Hunger am Tisch des Zachäus stillen – und Zachäus wird auf andere Weise satt: Er fühlt sich auf einmal wieder gesehen mitsamt seinem wenig schönen Lebenswandel. Und kann neue Würde finden. Solche Kraft haben die Worte von Jesus! 

 

"Schaut doch hin"

Für mich scheint da etwas von neuem Leben durch, wenn Jesus zu denen spricht, die es am meisten brauchen.

Wenn er all denen neue Orientierung anbietet, die sich danach sehnen. Wenn er streitet und kämpft: ‚Schaut doch hin – Gott ist so ganz anders. Wenn ihr auf mich schaut, könnt ihr eine Ahnung davon bekommen.‘ Für all diese mutigen Worte hat Jesus schließlich Verurteilung, Folter und Tod in Kauf genommen. Und doch lebt Jesus nach diesem Ende weiter. 

 

Musik 4: Christophorus, Andrea Gabrieli, „O sacrum convivium“, Ensemble offi-cium, Wilfried Rombach, CD: Music at San Marco, Andrea Gabrieli Sacrae Cantiones, 

Und das soll auch so sein

In einer Gesprächsgruppe haben wir uns kürzlich gefragt: Woran erkennen andere, dass ich gläubige Christin, gläubiger Christ bin?

Äußerliches Zeichen ist die Zugehörigkeit zur Kirche durch die Taufe. Dann das innerliche Angerührtsein von Gott, auch die Freundschaft mit Jesus. Das sind sehr persönliche Erfahrungen, die sich erst entwickeln müssen. Im Idealfall merken andere die Kraft, die davon ausgeht. Und das soll auch so sein.

Schließlich sagte jemand: „Ich versuche auch, mich in meinem Tun an Jesus zu orientieren. Frieden und Gerechtigkeit waren ihm sehr wichtig.“ Wir waren uns einig: Christ sein bedeutet auch, in die Gesellschaft hineinwirken, zumindest da, wo ich lebe. 

 

Das erleben sie durch ihren Glauben

 

Ja, das sind wirklich „christliche Werte“. Zu ihnen gehört ganz elementar: mich mühen um menschlichen Umgang, um soziale und politische Gerechtigkeit. Auch wenn das grundsätzlich allgemein menschliche Aufgaben sind.

Und mir scheint, das alles hat mit einer besonderen Weise des Satt-Seins zu tun. Die Gier nach noch mehr Konsum und Habenwollen frisst alles auf und zerstört unsere Lebensgrundlagen. Dagegen können Hoffnung, Gemeinschaft und Teilen satt machen. Und Sinn geben. Das erleben Menschen durch ihren Glauben.  

 

Abstand zu nehmen von der zerstörerischen Dominanz

Der Soziologe Hartmut Rosa behauptet sogar: „Demokratie braucht Religion.“ Und erklärt, wie er darauf kommt: Religiöse Praxis und Erfahrung trainieren durch die Erfahrung des Göttlichen die Fähigkeit, sich selbst nicht für den Mittelpunkt der Welt zu halten. Nicht nur für sich selbst, sondern immer auch im Blick auf die größere Gemeinschaft zu handeln. Religiös sein bedeutet, sich von Gott verändern zu lassen und übt die Bereitschaft, sich durch den Dialog mit anderen Menschen verwandeln zu lassen. Eine ehrfürchtige Haltung zu Umwelt und Natur zu entwickeln. Von der zerstörerischen Dominanz Abstand zu nehmen. Das alles braucht es, damit demokratische Gemeinwesen existieren können. Gläubiges Leben wirkt so in meine tagtäglichen Entscheidungen, bis hin zum politischen Denken.  

Bei mir findet ihr Nahrung

Deshalb tut es mir immer wieder gut, wenn ich in der Bibel lese, um mich auszurichten. Gerade die Erzählungen von und über Jesus machen mich hoffnungsfroh und mutig. In diesen Worten wirkt Gott. Sie bringen mich zum Nachdenken und helfen mir, mich im Leben zu orientieren. Ich spüre das oft richtig körperlich, wie sich beim Lesen mein Gemüt verändert. Wie ich froh werde. Und dankbar. Wie ich darin meinen Kompass finde, wie ich denken und leben möchte. Und auf eine nicht beschreibbare Weise macht mich das auch satt. 

Das ist es, was Jesus wollte und angeboten hat: Bei mir findet ihr Nahrung – für Geist und Seele. Deshalb entscheide ich mich immer wieder für den Weg mit ihm. Jesus ist der Kompass für die Entscheidungen in meinem Leben.

 

Musik 5: Johann Sebastian Bach, Fuge A-Dur BWV 536/2, v. Thomas Drescher, „Venite, adoremus“, Ein musikalischer Streifzug durch den Jahreskreis 

(Musikauswahl: Thomas Drescher, Mainz)

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