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Mein Körper und mein Glaube
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Mein Körper und mein Glaube

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Sportliche Körper waren diesen Sommer viel zu sehen im Fernsehen: bei den Olympischen Spielen in Paris in den letzten gut zwei Wochen, davor bei der Fußball-Europameisterschaft oder auch bei der Tour der France. Viele Menschen, die richtig durchtrainiert aussahen, reichlich Muskeln, wenig Bauch, jung, gesund und mobil. Ich gestehe: Ich war manchmal etwas neidisch. Denn mein Körper macht ausgerechnet in diesem Sport-Sommer Probleme. Erst war’s die linke Schulter, dann, als die gerade besser wurde, kam die rechte dazu. Ich hatte ziemliche Schmerzen, leider sind sie noch immer nicht ganz weg. Ich hab in den letzten Wochen auch von anderen Menschen mitbekommen, die unter Schmerzen leiden. Rücken, Schulter, Knie, Hüfte. Das hat natürlich auch mit dem Älterwerden zu tun. Ich bin jetzt Mitte 50. Womöglich ist das die Zeit, in der mein Körper auch vorsichtig Verschleiß anmeldet. 

Vernachlässigter Leib

Mein Körper hat mich also beschäftigt in letzter Zeit. Und ich hab auch mehr darüber nachgedacht, was meine Religion zum Thema „Körper“ sagt. Und wie mein Glaube meinen Körper womöglich beeinflussen könnte, im besten Falle: positiv. Darum soll’s heute in dieser Morgenfeier gehen: um meinen Körper und meinen Glauben. 

Musik 1: Johann Sebastian Bach, „Allegro assai“ aus Brandenburg Concerto No. 2 in F-Dur (CD: Brandenburg Concertos Nos. 1.2.4, Concentus musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt, Track 3, 2.57 min). 

In der Geschichte des Christentums ist der Körper oft sträflich vernachlässigt worden. Der Schwerpunkt lag oft auf Seele und Geist. Immerhin: Allzu leibfeindliche Strömungen wurden auch immer wieder verurteilt und aus der Kirche ausgeschlossen. Die so genannte Gnosis zum Beispiel, schon im 2. Jahrhundert. Sie macht einen Gegensatz auf zwischen geistiger, spiritueller Welt und körperlicher, materieller. Die Welt der Körper ist die schlechte, böse Welt. Auch Jesus Christus wird in diesen gnostischen Vorstellungen nicht körperlich und menschlich verstanden, sondern vor allem göttlich und geistig. Die Kirche der ersten Jahrhunderte hat sich von solchen Vorstellungen distanziert. Im Glaubensbekenntnis der ersten großen Konzilien heißt es: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Er hatte einen Körper, er ist geboren worden, er hatte Schmerzen, er litt den Tod. 

Hadern mit dem schmerzenden Leib

Ich bin froh, dass meine christliche Religion in ihrer Geschichte so immer wieder klargestellt hat: Wir sind keine rein geistige Religion. Unser Gott hat auch unsere Körper geschaffen, gut geschaffen, wie es in der Bibel im Buch Genesis heißt. Und Gott hat diese körperliche Welt so ernst und wichtig genommen, so sehr geliebt, dass er seinen Sohn Jesus Christus in einem Körper in diese Welt geschickt hat. Gott hat selbst Fleisch angenommen, incarnatus est, heißt es im Glaubensbekenntnis. 

Obwohl, ich gestehe: Wenn mein Körper mir Kummer macht, denke auch ich manchmal: dieser nervige Leib! Warum, lieber Gott, hast du mich mit so einem Körper ausgestattet, der Schmerzen hat? Vielleicht wäre manchmal ein gnostisches Geistwesen doch besser? Aber nein, ich glaube: Gott hat auch mich mit Fleisch und Blut und Knochen und Muskeln geschaffen, gut geschaffen – und ich darf und soll diesen Körper mit all seinen Stärken und Schwächen annehmen. 

Den Leib hegen und pflegen

Musik 2: Johann Sebastian Bach, „Et incarnatus est“ aus der h-Moll-Messe (CD: Messe in H-Moll, Gächinger Kantorei / Freiburger Barockorchester / Hans-Christoph Rademann, Carus / SWR 2, CD 2, Track 4, 3.23 min) 

Incarnatus est, Gott selbst hat in Jesus Christus Fleisch, einen Körper angenommen, so heißt es im Credo, Johann Sebastian Bach hat das in seiner h-Moll-Messe ganz wunderbar vertont. Auch, wenn es im Laufe der Christentums-Geschichte etliche leibfeindliche Strömungen und Zeiten gab: Für mich ist das eine ganz wichtige Idee meines christlichen Glaubens: Der Körper, der Leib ist gut und gott-gewollt. Ich soll ihn deswegen hegen und pflegen. Der Apostel Paulus sagt einmal in einem seiner Briefe: Der Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Und er folgert daraus: Verherrlicht also Gott in eurem Leib! (1 Kor 6,19-20). 

Wieviel Ruhe muss ich ihm gönnen?

Für mich heißt das: Es ist durchaus eine religiöse Tugend, mich um meinen Leib zu kümmern. Ein gutes Verhältnis zu meinem Körper zu haben. Mir hat das in den letzten Wochen, in denen ich mit den Schulterschmerzen zu kämpfen hatte, manchmal geholfen. Ich hab versucht, meinen schmerzenden Leib eben nicht zu verfluchen. Und ich wollte ihn auch nicht einfach nur mit Schmerzmitteln betäuben. Ich habe versucht, herauszubekommen: Was braucht mein Körper? Was kann ich ihm Gutes tun? Wieviel Ruhe muss ich ihm gönnen? Wie viel Gymnastik und Übungen sind jetzt wichtig? Das war immerhin eine Konsequenz aus den Schmerzen der letzten Wochen: Ich hab wieder genauer und freundlicher nach den Bedürfnissen meines Körpers gefragt. 

Mein Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes

Dabei ist es nicht so, als hätte ich mich nicht schon vorher um meinen Leib gekümmert. Ich versuche schon seit langem, mich gesund zu ernähren, mit viel Gemüse und Obst. Und Bewegung ist mir auch wichtig; ich geh regelmäßig joggen und bin möglichst viel zu Fuß unterwegs. Seit längerem weiß ich: Schlaf ist ganz wichtig für meine körperliche und auch seelische Gesundheit. All das hat tatsächlich schon lange für mich etwas mit meinem Glauben zu tun. Auch eben mit diesem Gedanken des Apostels Paulus: Mein Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes. 

Schenk mir Gesundheit des Leibes

Es gibt auch einige Heilige, die zum Thema Körper Kluges gesagt haben. Berühmt ist der Satz der heiligen Theresa von Avila: Tu deinem Leib Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen! Von der heiligen Hildegard von Bingen ist bekannt: Sie hat sich viel Wissen um Kräuter und Ernährung angeeignet, die gut für den Leib ist. Auch für sie war klar: Es gehört zu ihrem frommen Klosterleben, sich um die Gesundheit des Körpers zu kümmern. Und vom heiligen Thomas Morus ist ein Gebet überliefert, das so beginnt: „Schenk mir eine gute Verdauung, Herr, und auch etwas zum Verdauen. Schenk mir Gesundheit des Leibes, mit dem nötigen Sinn dafür, ihn möglichst gut zu erhalten.“ 

Musik 3: Johann Sebastian Bach, „Polonaise – Double“ aus Overture (Suite) No. 2 in h-Moll (CD: Brandenburg Concertos Nos. 1.2.4, Concentus musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt, Track 15, 3.02 min). 

Der Leib gehört zur Auferstehung

Der Körper, der Leib ist in der christlichen Religion etwas überaus Wichtiges und Gutes. Das zeigt sich auch an einem für manchen vielleicht etwas merkwürdigen Punkt: Auch der Leib wird auferstehen. So ist es christlicher Glaube. Der ganze Mensch mit Leib und Seele wird am Ende von Gott auferweckt und zum ewigen Leben kommen. Nicht nur allein die Seele lebt weiter. Die Vorstellung einer unsterblichen Seele stammt aus der griechischen Antike und von Platon. Für den christlichen Glauben, der aus dem jüdischen kommt, gehört aber der Leib zur Auferstehung dazu. Das ist auch der Grund, weswegen es lange als unchristlich galt, sich einäschern zu lassen. Den Körper brauchte man ja noch, für die Auferstehung. So denkt man heute nicht mehr, so einfach oder naiv. Mein Körper wird nicht einfach wiederhergestellt bei der leiblichen Auferstehung. Und doch: Meine leibhaftige Existenz wird am Ende meiner Tage oder am Anfang meiner Ewigkeit eine Rolle spielen. 

Tausendfache Umarmungen mit diesem Körper

Und das find ich, ehrlich gesagt, nachvollziehbar und glaubhaft. Manchmal träume ich davon, Menschen wiederzusehen, die schon gestorben sind und die ich vermisse. Meine Mutter, meinen Vater, eine gute Freundin. Dann sehe ich den Menschen vor mir, in seinem Leib, und ich umarme ihn und weine und freue mich, ihn wieder zu sehen und zu spüren. Meine Erinnerung und meine Sehnsucht gehen über den Körper. Obwohl ich natürlich weiß: Dieser Körper ist gestorben, zerfallen, beerdigt worden. Meinen Vater durfte ich vor eineinhalb Jahren beim Sterben begleiten. Ich habe gesehen, wie sein 90 Jahre alter Körper immer schwächer wurde, wie der Atem sich geändert hat, wie er schließlich seinen letzten Atemzug getan hat. Es ist ein seltsamer und unfassbar einschneidender Moment, in dem ein Körper plötzlich nicht mehr von Leben erfüllt ist. Aber zugleich wird mein Vater für mich für immer mit diesem Körper verbunden sein. Mit den tausendfachen Umarmungen und Händedrücken, die wir ausgetauscht haben. Deswegen ist auch die Freude auf ein Wiedersehen mit diesem Körper verbunden. 

Was heißt "Auferstehung des Leibes"?

Wie genau ich mir diese Auferstehung des Leibes vorstellen kann, weiß ich nicht. Aber dass es sie gibt, daran glaube ich. Der Apostel Paulus beschreibt sie in seinem Brief an die Gemeinde in Rom so: „Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ (Römer 8,10-11) Johann Sebastian Bach hat dies in seiner Motette „Jesu meine Freude“ wunderbar vertont. 

Musik 4: aus: Johann Sebastian Bach, „So nun der Geist“ aus der Motette „Jesu meine Freude“: (CD: J.S. Bach, Motets, La Chapelle Royale, Paris / Collegium Vocale, Gent / Philippe Herreweghe, Track 3, ca. 18.35 – 20.10 min). 

Unsere sterblichen Leiber sind so bedeutsam, dass Gott sie einst auch in der Auferstehung wieder lebendig machen wird. Wir sollen sie deswegen auch im Hier und Jetzt achten und annehmen. Mir fällt das manchmal nicht so leicht, wenn mein Körper mir Beschwerden verursacht, wie in den letzten Wochen mit meinen Schulterschmerzen. Andere Menschen haben Schwierigkeiten, ihren Leib anzunehmen, weil er anders ist, als ihn die Menschen in ihrer Umgebung wahrnehmen, oder anders als eine vermeintliche „Norm“ es vorsieht. 

Körper und Queer-Sein

Ich habe diesen Sommer ein Buch über Erfahrungen von queeren Menschen in der katholischen Kirche gelesen, es hat mich sehr beeindruckt. Schwule und lesbische Menschen erzählen davon, wie schwer es oft war, in der Kirche oder auch an anderen Orten unserer Gesellschaft zu ihrer Homosexualität zu stehen. Auch Trans-Menschen oder nicht-binäre Menschen kommen in dem Buch zu Wort. Ein Mensch schreibt zum Beispiel: „Ich bin nicht das, was alle immer dachten, dass ich sein müsste. Ich bin weder Frau noch Mann. Ich fühle kein Geschlecht. Ich bin einfach ich.“ (Katholisch und queer, S. 83) Etliche in dem Buch sind wegen solcher Erfahrungen in tiefe Löcher gefallen. Manche haben Gott darum gebeten, nicht schwul, intersexuell, trans zu sein. Aber viele haben auch erlebt und sie schreiben es auch so: Gott will mich genau so, wie ich bin. Gott hat mich geschaffen als der Mensch, der ich bin. Gott liebt mich, mit meinem Körper, mit meinem Geschlecht, mit meiner sexuellen Orientierung. Ein Mensch im Buch fasst das mit einem abgewandelten Zitat aus der Bibel, einem Psalmwort so zusammen: „Ich danke dir, Gott, dass du mich so wunderbar queer gestaltet hast!“ (nach Psalm 139,14; Katholisch und queer, S. 86) 

Der Körper als Gabe meines Schöpfers

Auch ich bin davon überzeugt: Gott hat uns Menschen in einer großen Vielfältigkeit geschaffen. So, wie er die ganze Schöpfung nicht nur schwarz-weiß, sondern bunt und vielfältig geschaffen hat. Ich bin froh, dass die katholische Kirche das mittlerweile in Deutschland in weiten Teilen auch so sieht und queere Menschen in ihr immer mehr einen Platz haben. 

Ich lerne von diesen Erfahrungen queerer Menschen noch mal neu: Mein Körper, mein ganzes Dasein ist wirklich von Gott gewollt. Es ist eine Gabe meines Schöpfers. Und ich darf und soll diese Gabe, meinen Leib und meine Leiblichkeit annehmen, hegen und pflegen, genießen. 

Krankheit ist keine Strafe

Gott will, dass ich mich lebendig fühle in meinem Leib. Ich glaube deswegen übrigens auch nicht, dass Gott Krankheiten schickt, als Strafen oder Aufgaben. Jesus selbst hat Menschen immer wieder von ihren Krankheiten geheilt. Er hat ihnen nicht gesagt: Da müsst ihr jetzt durch, oder: Ihr habt da etwas falsch gemacht, deswegen seid ihr krank. Solche Gedanken gab es damals und gibt es ja bis heute. Ich glaube: Gott will unsere Gesundheit. Und klar, ich kann etwas dafür tun, dass ich gesund bleibe oder wieder gesund werde. Ich zum Beispiel werde weiter brav meine Schulterübungen machen, damit die Schulterschmerzen hoffentlich immer weniger werden und irgendwann ganz weg sind. Ich will meinen Leib derzeit noch mehr als sonst hegen und pflegen. Und ich mache das auch, weil ich davon überzeugt bin: Gott hat mich geschaffen mit diesem Leib. Gott liebt mich, nicht nur meinen Geist, sondern auch meinen Körper, von Kopf bis Fuß und mit allem, was diesen Körper ausmacht. 

Musik 5:Johann Sebastian Bach, „Gigue“ aus Overture (Suite) Nr. 3 in D Dur (CD: Brandenburg Concertos Nos. 3.5.6, Concentus musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt, Track 14, 2.36 min).

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