Brot und Spiele
Liebe Hörerinnen und Hörer,
vorgestern sind die Olympischen Spiele in Paris eröffnet worden. Mir sind die Bilder von der Eröffnungsfeier noch vor Augen. Über 10.000 Sportlerinnen und Sportler waren unterwegs, die nationalen Delegationen sind auf Booten die Seine entlanggefahren, einmal quer durch die Stadt von Ost nach West. Zigtausende Menschen haben sie über die 6 Kilometer lange Flussstrecke begleitet, sie beklatscht und bejubelt. Um diese tolle Eröffnung möglich zu machen, war eine riesige Logistik notwendig. Sicherheitschecks, Krankenwagen, Getränke- und Essensausgaben und alles, was Menschen sonst in der Zeit vor, während und nach den Spielen so brauchen.
Brot und Spiele, so ist es mir manchmal schmunzelnd durch den Kopf gegangen, und das meine ich überhaupt nicht negativ. Das Bedürfnis nach Brot und das Bedürfnis nach Spaß sind berechtigt, sie gehören zum Leben dazu. Und da muss ich auch an das 2. große Sportevent in diesem Sommer denken: die Fußball-Europameisterschaft. Auch ich habe sehr gerne die Spiele geschaut. In meiner aktiven Zeit als Spieler stand ich immer im Tor, und so verstehe ich die Begeisterung für den Fußball gut. Ich freue mich, wenn Menschen friedlich zusammenkommen, die gemeinsam etwas tun, die die gleichen Interessen und Ziele haben.
Die gleichen Interessen und Ziele hatten auch die Menschen damals, von denen das Evangelium des heutigen Sonntags berichtet. Johannes sagt dazu: Danach ging Jesus an das andere Ufer des Sees in Galiläa, der auch See von Tiberias heißt. Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder.
Public Viewing schon zu Zeiten Jesu
Schon in Galiläa sind Jesus Wundertaten seinem Ruf vorausgeeilt. Ich denke an die Hochzeit zu Kana oder die Heilung des Gelähmten am Sabbat. All das bringt Jesus ins Gerede. Die Leute haben sich gefragt, wer das wohl ist, dieser Sohn eines Zimmermannes aus Nazareth. Das sind doch eigentlich ganz unauffällige Leute. Wie kann ihr Sohn Wunder wirken? Wer ist er? Das alles macht die Menschen neugierig, und sie folgen ihm in Scharen nach. Sie möchten einfach mehr wissen von diesem Jesus, möchten ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, ihn hören, erspüren. Vielleicht erhoffen sie sich von ihm auch die Lösung ihrer eigenen Sorgen, ganz im Stillen sogar auch auf ein Wunder. Sie sind wohl fasziniert von Jesus, lassen alles liegen und stehen und machen sich auf den Weg. Noch nicht einmal Proviant haben sie dabei, und das, obwohl sie wissen, dass es am Ufer des Sees von Genezareth nichts zu kaufen gibt. Aber all das hält die Menge nicht ab. Jesus steigt auf eine Anhöhe, setzt sich und mit ihm setzt sich auch die große Menschenmenge. Seine sitzende Haltung deutet auf die antike Lehrhaltung hin, die Haltung eines Rabbis oder eines anderen Gelehrten, dem die Menschen zu Füßen sitzen und gebannt zuhören.
So heißt es weiter im Evangelium: Das Passa, das Fest der Juden, war nahe. Als Jesus aufblickte und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen, fragte er Philippus: „Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?“ Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er selbst wusste, was er tun wollte.
Musik: Johann Ludwig Krebs - Fatasia „Freu dich sehr, o meine Seele“
Das Passafest steht bevor und erinnert die gläubigen Juden an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Weil bei dem hastigen Aufbruch aus dem Exil nicht genügend Zeit war, den sonst üblichen Sauerteig anzusetzen, wird es auch das Fest der ungesäuerten Brote genannt. Ganz schnell musste Brot damals als Reiseproviant gebacken werden, um rechtzeitig aus der Sklaverei herauszukommen. Vielleicht war es so, dass Jesus hier ganz bewusst den Bezug zum Paschafest herstellen möchte, bei dem es damals auch darum ging, viele Menschen schnell satt zu machen. Denn er fragt seinen Jünger Philippus: „Wie sollen wir diese ganzen Leute satt kriegen?“ Auch wenn er schon wusste, was er tun wird. In diesem „wusste“ -blitzt schon ein Zeichen der Göttlichkeit Jesu auf. Er weiß über alles Bescheid, kennt Anfang und Ende, seine göttliche Allmacht kennt keine Überraschungen oder Ungelöstes.
Wer Jesus folgt wird nie mehr hungern
Philippus denkt ganz menschlich, versucht sich irgendwie als Krisenmanager. Selbst wenn für 200 Denare Brot gekauft würde – eine Summe, die 200-mal mehr war als das, was ein Tagelöhner verdient hat – es würde hinten und vorne für die Vielen nicht reichen. Fast ein bisschen hilflos bringt Andreas den kleinen Jungen ins Spiel, der fünf Brot und zwei Fische bei sich hat. Eine Portion, die für 5000 Hungrige natürlich nicht ausreicht. Aber immerhin, denkt sich Andreas. Immerhin ein bisschen was. Und so wird aus dem kleinen Jungen ein Hauptdarsteller.
Zurück zum Evangelium: Jesus sagte: „Lass die Leute sich setzen!“ Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa 5000 Männer. Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen.
Musik: Friedrich Schneider - Ich bin des Lebens Brot (Christus der Meister)
Ganz unspektakulär berichtet der Evangelist Johannes von dem Brotwunder. Jesus nimmt die Brote des Jungen und spricht ein Dankgebet. Die Parallelen zu den Geschehnissen beim letzten Abendmahl sind auffällig. Dort heißt es bei Lukas: „Und er nahm das Brot, sprach das Dankgebet.“ (Lk 22, 19) Schritt für Schritt führt Jesus die Menschen an das heran, was wir heute in den Gottesdiensten Eucharistie nennen, die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi. Später wird Jesus in der so genannten Brotrede sagen: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“
Da war schon eine Ahnung zu spüren, dass es dem Herrn nicht nur um das Sattwerden des Leibes geht. Er gibt die Nahrung, die die Menschen über das Physische hinaus zum Leben brauchen.
Der Dichter Rainer Maria Rilke hat es mit seinen Worten einmal so ausgedrückt: „Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichtiger ist als ein Stück Brot.“ Ihm ist es mit diesen wenigen Worten gelungen, auszudrücken, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Er braucht auch Nahrung für die Seele. Zuneigung, Vertrauen, Freundschaft, Liebe – was wäre der Mensch ohne dies.
Und so heißt es im Evangelium: Als die Menge satt geworden war, sagte er zu seinen Jüngern: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt.“ Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren.
Beim Lesen dieses kurzen Abschnitts des heutigen Sonntagsevangeliums kam mir ein Gedanke, über den ich selbst lachen musste. Ich dachte: Jesus passt genau in die heutige Zeit. Warum? Weil es heute wieder ein neues Bewusstsein für den Wert von Nahrungsmitteln gibt, gerade bei jungen Menschen. Ich finde das toll und freue mich über dieses neue Bewusstsein. Lebensmittel nicht wegzuwerfen, sondern zu verbrauchen oder zu verschenken, eben einfach zu verwerten, ist eine Strömung, die den Kreis zu den Ältesten in unserer Gesellschaft schließt. Die so genannte Kriegsgeneration hat es bitter gelernt in den Jahren des Hungers. Da wurde alles noch verwertet. Die Generation danach wurde lässiger im Umgang mit Lebensmitteln, die es plötzlich nach den schweren Jahren des Krieges im Überfluss gab. Heute ist es Gottlob wieder anders. Kreative Verwertungsrezepte, Vortagsläden oder Lebensmittelrettung per App sind normal geworden.
Jeus als Krisenmanager, Foodsharer, Umweltaktivist
Jesus geht mit gutem Beispiel voran. Er fordert seine Jünger auf, alles, was übrig geblieben ist, aufzusammeln und vor dem Verderben zu retten. Aus fünf Broten und zwei Fischen werden zwölf Körbe gefüllt, die übrig geblieben sind. Aus dem Wenigen, was der kleine Junge eingebracht hat, ist Großes geworden. Die zwölf Körbe stehen für die zwölf Stämme Israels, für das erwählte Volk, das ebenfalls übrig geblieben ist. Es sind diese Stämme, die seit dem Exodus unter der Führung des Propheten Moses als Volk ihrem Gott gefolgt sind. Für diese sorgt der Herr im übertragenen Sinn immer noch. Ein Korb voller Gerstenbrote für einen der zwölf Stämme Israels. Wer dem Herrn folgt, wird satt – an Leib und Seele.
Musik: Cesar Franck - Messe A-Dur: Panis Angelicus
Schließlich endet das Evangelium: Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: „Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen. Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.
Menschen brauchen sichtbare Zeichen. Am Brotwunder erkennen sie die außergewöhnliche Stellung Jesu. Noch reden sie nicht vom Messias, dem Christus, der das Volk erlösen wird. Aber das Jesus nicht einfach der Sohn eines Zimmermanns aus Nazareth ist, haben sie verstanden. Nach dem Brotwunder wird Jesus in Galiläa noch mehr ins Gerede kommen. Natürlich wird darüber berichtet. Stellen Sie sich ein Brotwunder wie damals heute mal vor. Die sozialen Medien würden sich überschlagen, vielleicht gäbe es Sondersendungen im Fernsehen, Reporterteams in Galiläa mit Mikro und Kamera würden versuchen, möglichst viele Augenzeugen zu interviewen. Das alles gibt es zur Zeit Jesu nicht. Aber dennoch. Jesus weiß sofort, dass er keine ruhige Minute mehr haben wird. Sie würden ihn, so heißt es in der Schrift, in ihre Gewalt bringen und ihn zum König machen.
Doch Jesu Königtum ist nicht von dieser Welt. Seine Mission ist anders. Es geht ihm nicht bloß um Brot und Spiele. Jesu Mission geht weit über die irdischen Bedürfnisse hinaus. Klar, er weiß, was Menschen brauchen, aber er schenkt mehr. Jesus steht für das ganz Umfassende: für Leib und Seele, für das Leben hier und für das Leben bei Gott. Er stirbt aus Liebe den Tod am Kreuz, an dem Himmel und Erde sich verbinden. Durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung sättigt er alle und schenkt einen Sinn, der nur von Gott kommen kann. Dafür steht letztlich das Brotwunder. Brot und Rose, das irdische Leben und das künftige. Beides schenkt Gott im Überfluss. Das ist die Botschaft des heutigen Sonntags.
Musik: Johann Sebastian Bach - X. Choral Jesus bleibet meine Freude - Mund und Tat und Leben
Musikauswahl: Regionalkantor Ludwig Zeisberg, Eschwege