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Jesus wirbt um Geduld
Bild: Mirosław i Joanna Bucholc/Pixabay

Jesus wirbt um Geduld

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
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Zwei Bildworte Jesu aus der Landwirtschaft

Ein Garten ist eine großartige Sache. Ihn zu pflegen macht Arbeit. Er ist aber auch ein Ort der Erholung und des Staunens. Jesus erzählt oft Geschichten aus der Welt der Landwirtschaft und des Gartenbaus.

Die Menschen in Palästina vor 2.000 Jahren haben Jesus nicht nur als charismatischen Menschen wertgeschätzt und als Heiler verehrt. Sie haben ihm auch liebend gerne zugehört. Er muss ein fesselnder Erzähler gewesen sein. Eine Stärke seines Sprechens war dessen Bildhaftigkeit. Die Bilder, die Jesus verwendete, kamen sämtlich aus dem Alltagsleben der Menschen. So konnten sie wirken.

Im Markus-Evangelium sind neben anderen diese beiden überliefert:

»Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. - Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“

Das zweite Bildwort folgt unmittelbar: „Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen, mit welchem Gleichnis sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.“

Eine Welt ohne Krieg, ohne Krankheit und Terror, ohne Unzufriedenheit und Dunkelheit? Jesus spricht oft davon. Er nennt sie „Reich Gottes“. Jesus ist überzeugt: Eine solche Welt ist möglich. Mehr noch: Sie hat schon begonnen. Es gibt sie schon, zumindest in Anfängen.

Ein Blick in die Tageszeitung oder eine Nachrichtensendung scheint heute, im Jahr 2024, diese Vision Jesu mehr als je in den Bereich der Fantasie, der Utopie zu verweisen. Krieg, Terror, politischer Extremismus, immer wieder neue Krankheiten und Seuchen - nein: Diese Welt ist nicht heil. Ich bin allerdings sicher: Das haben die Menschen vor 2000 Jahren auch ohne moderne Nachrichtenübermittlung genauso empfunden.

Jesu bildhafte Rede wirkt über Zeit und Raum hinweg. Sie ist wertvoll und bedenkenswert, auch provokant. In anschaulichen Gesprächen und Reden erklärt er seinen Zuhörern, was er sich da vorstellt unter dem „Reich Gottes“ und worauf es ankommt. Das tut er auch in seinen beiden Gleichnissen vom Wachsen des Samens auf dem Acker und dem Senfkorn.

Mag sein, dass heute kaum jemand Erfahrung mit dem Aussäen hat oder schon einmal ein Senfkorn in der Hand hielt. Jeder Hobbygärtner, jeder, der Balkon- oder Zimmerpflanzen pflegt, versteht trotzdem sehr gut, wovon Jesus spricht: Auf das Aussäen folgt Abwarten. Schlafen und Aufstehen, Tag und Nacht spielen eine Rolle, Wasser und Sonne, Schädlinge und fruchtbare Erde - plötzlich und endlich wächst da etwas Schritt für Schritt. Engagement und Geduld gehören zusammen, bedingen sich gegenseitig - beides ist Voraussetzung, dass etwas wachsen und werden kann.

Musik: Léon Boëllmann - Prière a Notre Dame aus der Suite gothique, op. 25 nr. 4 für Orgel - Andreas Siegel an der Orgel im Berliner Dom

Die Sichel ansetzen: Lohn und Strafe?

„Sobald aber die Frucht reif ist, legt man die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ Eine Sichel: Bei mir im Gartenhaus habe ich vor einiger Zeit eine entdeckt. Ich hatte keine Ahnung, dass es da eine gibt. Ich vermute sie stammt noch von meinem Großvater. Ein scharfes Werkzeug. Man kann damit Pflanzen abschneiden, endgültig. Tatsächlich passt dieses Werkzeug nur bedingt in Jesu Erzählung von Säen und friedvollem Wachsen. Die Theologen sind sich weitgehend einig: Hier haben christliche Redakteure ergänzt. Ihnen war der Gedanke an das Ende so wichtig, dass sie die bildhafte Geschichte Jesu in ihrer ursprünglichen Gestalt kaum aushalten konnten: „Es muss doch Lohn und Strafe geben, ein Ziel, das den ganzen Aufwand lohnt. Jesus muss doch wiederkommen, bald! Ungeduld. Lohn und Strafe!“ Wie menschlich!

In der Schule, in der ich schon lange als Lehrer arbeite, haben wir vor etlichen Jahren das Verfahren der Mediation eingeführt. Streitschlichtung übersetzt man das im Deutschen vereinfacht. Streit, so lautet der Grundgedanke der Mediation, ist zunächst nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Streit kann klären und Fortschritt bewirken. Wichtig ist aber, richtig zu streiten. Wie das geht? Auf Augenhöhe miteinander, das Gegenüber ausreden lassen und ihm zuhören, ihn oder sie nicht beschimpfen. Im Verfahren gilt es dabei zunächst abwechselnd eigene Streitanteile zu benennen - und sich darauf zu beschränken. Und dann - das ist das Schwierigste - in den „Schuhen des anderen zu gehen“. Das bedeutet: mich in die Rolle des anderen versetzen, mutig dessen Sichtweise übernehmen, selbst aussprechen, was er oder sie erlebt hat. Ich habe oft erfahren: Wenn junge Leute - und nicht nur sie - sich darauf einlassen, dann verfliegt Streit auf wundersame Weise. Da entstehen Verständnis für das Gegenüber, Distanz zum eigenen Verhalten und Empfinden. Es braucht einige Zeit und Geduld dafür. Zeit, die einzelnen Schritte zu trainieren, miteinander zu üben. Aber es lohnt sich sehr!

Ich hatte zu Beginn des Projekts zusammen mit der Schülervertretung in einer Konferenz unser Mediationsmodell vorgestellt und dafür geworben. Ich erinnere mich gut, wie mich damals ein Kollege ganz empört zur Rede gestellt hat. Aufgebracht stand er vor mir: „Aber das geht doch nicht! Da haben ja plötzlich alle Recht! Es muss doch einer Schuld haben! Und die musst Du benennen und ahnden!“ Damit ließ er mich damals stehen.

Zum Ansetzen der Sichel drängt Jesus den Sämann in der ursprünglichen Erzählung nicht. Viel zu sehr fasziniert ihn das, was er erlebt, während er gelassen und behutsam beobachtet: „Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.“ Das Königreich Gottes einfach kommen lassen: Das fällt auch den Zeitgenossen Jesu nicht leicht. Sie haben einige Ideen, wie das geht, eine Welt nach dem Willen Gottes zu gestalten. Und sie diskutieren und streiten darüber immer und immer wieder: Man muss alle Gebote Gottes bis ins letzte Detail treu befolgen, sagen die einen - die Pharisäer. Man muss mit allem, was möglich ist, kämpfen, auch mit Gewalt, wenn das nötig ist - sagen die Zeloten.

Einfach wachsen lassen, was gesät ist, nicht urteilen, keine Schuld zuweisen? Dazu ermutigt Jesus. Das gefällt vielen nicht. Als ob Jesus Passivität oder Nichtstun vorschlagen würde. Wer Jesus zuhört, begreift: Ich bin der Sämann, die Säfrau; ich muss aussäen. Das kann vielleicht sein, Position zu beziehen gegen Fremdenhass, jemandem freundlich begegnen, der mir vielleicht unsympathisch oder unverständlich vorkommt und was nicht noch alles. Das ist alles andere als Passivität. Aber dann: Dann muss ich Gott wirken lassen. Es ist diese Spannung, die christliche Existenz ausmacht. Geduld und Gelassenheit, Patientia, Aushalten - Leben in Spannung.

Musik: Pachelbel - Canon in D - Brooklyn Duo

Das Senfkorn: Kleiner geht es nicht

„Das Senfkorn ist das kleinste von allen Samenkörnern. Wenn es ausgewachsen ist aber, größer als alle anderen.“ Eine Senfstaude am See Genezareth in Israel wird 2,5 bis 3 Meter groß, Senfbäume in Afrika oder in Indien können sogar bis zu 6 Meter wachsen in Höhe und Breite. Was bei Ackersaatgut schon faszinierend ist, das wird beim Senfkorn noch weit übertroffen: der Kontrast zwischen dem unscheinbaren Anfang und dem gewaltigen Ergebnis. Und anders als beim Samen auf dem Acker entsteht aus dem Senfkorn ein Baum, eine Pflanze, die Bestand hat. Und mehr als das: „Das Senfkorn geht auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.“ Das Reich Gottes, für das Jesus wirbt, bietet Lebensraum und es bietet Schutz. Jedenfalls für die „Vögel des Himmels“. Vielleicht meint Jesus damit die, die wissen, dass sie nicht nur zu dieser Welt gehören, sondern die sich auch vom Boden lösen können. Was für den Samen auf dem Acker gilt, das gilt auch für das Senfkorn: Der Sämann oder die Säfrau sind für die Aussaat verantwortlich, für mehr nicht. Alles andere geschieht ohne ihr Zutun. Geduld, Ausharren - das ist gefragt und nötig.

Die Benediktinerin Silja Walter hat dieses Ausharren in der Spannung zwischen dem schon begonnenen und noch nicht vollendeten Gottesreich in einen Text gebracht, den ich sehr schätze. In ihrem „Gebet des Klosters am Rand der Stadt“ formuliert sie das so:

Jemand muss zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten,
unten am Fluss vor der Stadt.
Jemand muss nach dir
Ausschau halten, Tag und Nacht.
Wer weiss denn,
wann du kommst?

Herr, durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, täten wir sonst?
Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da …
Und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod
mitaushalten
und daraus leben.
Das muss immer jemand tun
mit allen anderen
und für sie.
Und jemand muss singen,
Herr,
wenn du kommst!
Das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar,
wie keiner …

Musik: Ludger Edelkötter -  „Kleines Senfkorn Hoffnung“ - Aufnahme des Jugendchors der neuapostolischen Kirche Mannheim-Vogelstang (2010)

Kleines Senfkorn Hoffnung

„Kleines Senfkorn Hoffnung.“ In den Gottesdiensten meiner Schule zählt dieser Song seit Jahren zu den unumstrittenen Favoriten. Ludger Edelkötter, Musikpädagoge und Verfasser zahlreicher neuer geistlicher Lieder, hat dieses Lied komponiert. Der Text stammt von Alois Lorenz Albrecht, einem katholischen Priester und Seelsorger.

In mehreren Strophen reflektiert der Text die Hoffnung. Der Autor verbindet sie mit dem Senfkorn des Gleichnisses Jesu. Er beginnt mit dem Pflanzen eines Baumes. Ein solcher Baum kann Schatten werfen und Früchte tragen. Das Lied spricht auch vom Funken Hoffnung: Ein solcher Hoffnungsfunke kann überspringen und zu einer Flamme werden, die Licht ins Dunkle bringt. Eine Strophe handelt von der Münze Hoffnung: Sie kann durch Teilen Zinsen tragen und Reichtum hervorbringen, wo sonst nur Armut ist.

Dieses Gottesreich, für das Jesus einsteht, braucht Fantasie. Die kommt in diesem Lied vor, ich glaube, deswegen - und natürlich wegen der eingängigen Melodie - mögen Kinder und Jugendliche es besonders. Kreativität gehört zu den Aufgaben aller, die Jesu Saat säen. Mir gefallen im Lied vom „Kleinen Senfkorn“ besonders die beiden letzten Strophen. Sie besingen die „Träne Hoffnung“. Die kann zur Trauer werden, die uns handeln macht. Sie lässt uns Änderungen in Angriff nehmen, die nötig und möglich sind. Und diese Träne steht für unser Mitleiden mit allen, die in Nöten sind: Aushalten, was nicht zu ändern ist - solidarisch. Dann schließlich: Das „Sandkorn Hoffnung“. Das Lied fragt: „Werde ich dich streuen, dass Du manchmal bremst? Dass du wirst zum Grunde, der uns halten lässt? Neues wird mit allen, die in Zwängen sind …“

Das mit dem „Bremsen“ scheint mir besonders gut zu dem Ausharren, zur Geduld zu passen, zu denen die beiden Gleichnisse Jesu ermutigen. Nein, es geht nicht um Aktivismus beim Gottesreich. So gerne wären wir Macher. Das aber hieße, an den Halmen zupfen und an den Ähren zerren. Da wird nichts wachsen, damit werden wir die Ernte zerstören. Weder die Gesetzestreue der Pharisäer noch der aktivistische auch zu Gewalt bereite Einsatz der Zeloten führen zum Ziel. Aber es geht auch nicht um Passivität: Unsere Aufgabe ist säen - und dann aushalten und vertrauen.

Das Säen lohnt allen Einsatz und gibt uns mehr als genug zu tun. Die Anfänge der wachsenden neuen Welt Gottes können wir schon wahrnehmen. Ein liturgisches Gebet umreißt sie so:

Wir danken dir, Gott, allmächtiger Vater,
und preisen dich für dein Wirken in dieser Welt
durch unseren Herrn Jesus Christus:

Denn inmitten einer Menschheit,
die gespalten und zerrissen ist, erfahren wir,
dass du Bereitschaft zur Versöhnung schenkst.

Dein Geist bewegt die Herzen, wenn
Feinde wieder miteinander sprechen,
Gegner sich die Hände reichen,
und Völker einen Weg zueinander suchen.

Dein Werk ist es, wenn
der Wille zum Frieden den Streit beendet,
Verzeihung den Hass überwindet
und Rache der Vergebung weicht.

Gottes Welt auf dieser Erde - eine großartige Vision, ein mächtiges Bild. Nicht Utopie! Für Christen ist dieses Gottesreich Auftrag, die Saat auszubringen. Es ist schon am Wachsen.

Musik: John Rutter - „Schau auf die Welt“ - Chorgemeinschaft der Stiftsschule Amöneburg unter Leitung von Jürgen Pöschl - 2014, Fuldaer Dom.

Musikauswahl: Schul- und Kirchenmusiker Dr. Paul Lang, Amöneburg

 

 

 

 

 

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