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Über Wein, Kultur und Glaube
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Über Wein, Kultur und Glaube

Prof. Dr. Cornelius Roth
Ein Beitrag von Prof. Dr. Cornelius Roth, Rektor Katholische Theologische Fakultät Fulda
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„In vielen Fällen braucht der Mensch den Wein. Er stärkt den schwachen Magen, erfrischt die ermatteten Kräfte, heilt Wunden an Leib und Seele, verscheucht Trübsal und Traurigkeit, verjagt die Müdigkeit der Seele, bringt Freude und entfacht unter Freunden die Lust am Gespräch.“

Dieses Wort des Hl. Augustinus, der einer meiner Lieblingsheiligen ist, zeugt von einer gewissen Erfahrung. Zumindest die Freude und die Lust am Gespräch hat der ein oder andere von uns bei einem Glas Wein sicher schon empfinden dürfen. Aber der Wein ist noch viel mehr. Er hat etwas mit unserer Kultur und Religion zu tun und spielt in der Geschichte der Zivilisation eine wichtige Rolle.

Wein als Kulturgut

Vor einigen Jahren war ich mal auf einer Studienreise in Georgien. Dort lernten wir, dass Wein in Georgien schon vor 6.000 Jahren angebaut und getrunken wurde, lange bevor er bei den Römern bekannt wurde. Von dort übernahmen die Römer auch die Lagerung des Weines in Tongefäßen, wie es heute noch in Georgien praktiziert wird. Aber auch in anderen antiken Zivilisationen wie bei den Ägyptern und Griechen und nicht zuletzt in der Bibel wurde Wein getrunken. Er galt nicht nur als Genussmittel, sondern auch als kulturelles und religiöses Symbol. Neuere Forschungen haben übrigens ergeben, dass der Wein im alten Rom würzige, geröstete und brot-ähnliche Aromen sowie Noten von Äpfeln und Curry hatte – klingt fast nach einer heutigen Weinprobe.

Im Mittelalter spielten Klöster in Europa eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung des Weinbaus. Mönche perfektionierten Anbau- und Keltertechniken und legten damit den Grundstein für viele der heute bekannten Weinregionen und -stile. Mit dem Aufkommen der Renaissance und der Neuzeit begann eine Ära der Entdeckungen und Innovationen im Weinbau. Neue Anbautechniken und die Entdeckung neuer Weinregionen, insbesondere in der Neuen Welt, führten zu einer Diversifizierung und Verfeinerung des Weins.

Heute geht es um Qualität und Nachhaltigkeit. Technologische Fortschritte in der Weinherstellung haben es ermöglicht, die einzigartigen Eigenschaften jeder Traube und jedes Weinbergs hervorzuheben.

Die Reise des Weins von den antiken Zivilisationen bis zur Moderne ist eine Geschichte der Anpassung und Innovation und gleicht damit anderen Entwicklungen in der Moderne. Sie zeigt, wie tief Wein in der menschlichen Kultur verwurzelt ist und wie er sich ständig weiterentwickelt, um den sich ändernden Geschmäckern und Anforderungen der Menschen gerecht zu werden. So durfte ich in meiner Zeit als Leiter des Priesterseminars in Fulda die deutschen Bischöfe einmal im Jahr empfangen und zu den Mahlzeiten die Weine aussuchen. Galt noch in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass Weißweine sieben Jahre getrunken werden können, würde ich heute keinen Weißwein mehr kredenzen, der älter als drei Jahre ist. Man liebt heute frische, junge Weine. Übrigens mochten die Bischöfe besonders die Bocksbeutelweine aus Franken.

Musik: Johann Sebastian Bach - Concerto No. 2 BWV 1047, 3. Satz Allegro assai –  Brandenburgische Konzerte 1.2.3

Wein in kultischer und religiöser Bedeutung

Schon in der Antike hatte Wein auch eine große Bedeutung im Bereich religiöser Kulte. Es gab sogar einen eigenen Gott, der für ihn zuständig war: bei den Griechen Dionysos, bei den Römern Bacchus. Ziel des Weingenusses war es in diesem Zusammenhang durchaus, einen „Rausch“ zu bekommen – im Sinn einer Ekstase, die in eine höhere Bewusstseinsstufe führen sollte. Diese wurde dann als göttlich inspiriert angesehen. In jener Zeit wusste man noch nichts von den Wirkungen des Alkohols auf Gehirn und Nervensystem und den medizinischen Gefahren des übermäßigen Alkoholgenusses. Da konnte man tatsächlich meinen, dass die befreiende Wirkung des Weines eine Gabe der Götter sein musste, obwohl der übermäßige Weinkonsum immer wieder - auch in der Bibel - kritisiert wurde und als Laster galt. Jedenfalls gab es Riten und Rituale im religiösen und gesellschaftlichen Leben der Antike, bei dem der Genuss des Weines eine wichtige Rolle spielte. Ein Beispiel ist das Symposion, eine Art Gastmahl, bei dem auch über philosophische Themen gesprochen wurde. Man kann sich vorstellen, wie manches Gespräch dann endete.

Wein in der Bibel

In Israel gehörte der Wein neben Öl, Korn und Brot zu den alltäglichen Nahrungsmitteln. Meist wurde er mit Wasser vermischt getrunken und war ein wichtiges Getränk für die Bevölkerung dieses heißen Landes. In der Bibel bedeutet Wein aber oft mehr, nämlich Lebensfreude und Wohlstand. Er wird als Gabe Gottes bezeichnet
(Jer 31,12), die das Herz des Menschen erfreut. (Ps 104, 15) Im Zusammenhang mit den jüdischen Festen spielte der Wein eine wichtige Rolle und gehörte unverzichtbar zum Passamahl. So nimmt es nicht Wunder, dass auch Jesus sein letztes Abendmahl mit seinen Jüngern mit Brot und Wein beging.

Die positive Wirkung des Weines wurde in biblischer Zeit oft auch zu medizinischen Zwecken genutzt. Kranken wurde Wein zur Kräftigung verabreicht. So wird dem Bischof Timotheus von Paulus geraten: „Trink nicht nur Wasser, sondern nimm auch etwas Wein mit Rücksicht auf deinen Magen und deine häufigen Krankheiten.“
(1 Tim 5,23) Auch zur Behandlung von Wunden wurde er verwendet wie beim barmherzigen Samariter, der Öl und Wein auf die Wunden des am Weg liegenden Menschen gießt. (Lk 10,34)

Nicht zu vergessen ist, dass Jesus nach dem Johannesevangelium sein erstes Wunder auf der Hochzeit zu Kana mit Wein vollbrachte. Ich finde es schön, dass Jesus an der Lebensfreude der Menschen an einer Hochzeit anknüpft, um zu zeigen, dass seine Liebe zu den Menschen so groß ist, dass man sie kaum fassen kann. Bibelwissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass die Menge des verwandelten Weines sechs steinerne Tonkrüge mit jeweils 100 Litern schon ziemlich beachtlich war. „Man muss kein fanatischer Antialkoholiker sein“, schreibt einer, „um die gewaltige Weinspende Jesu verwunderlich zu finden.“ Aber wer weiß, wie viele Leute damals eingeladen waren.

Eine etwas geistlichere Erklärung des Weinwunders zu Kana stammt vom Kirchenvater Hieronymus, der eher als Asket bekannt war. Er soll auf die Frage eines Spötters, wer denn den ganzen Wein getrunken habe, geantwortet haben: „Wir trinken heute alle noch davon.“ Er wollte klarmachen: Das Wunder bei der Hochzeit zu Kana soll keinen gratis Vollrausch garantieren, sondern auf die Größe und Fülle Gottes hinweisen, die in Jesus zu finden ist.

Musik: Johann Sebastian Bach - Triosonate f. Orgel Nr. 1, 3. Satz Vivace - edition bachakademie

Das Bild des Weinstocks

Kommen wir vom Wein zum Weinstock, der ein zentrales Bild in der Bibel ist. Im sonnigen und trockenen Gebiet der Bibel war er ein sehr dankbares Gewächs. Die Pflanze besteht aus mehreren Teilen. Die Wurzeln, die den Rebstock mit Wasser versorgen, reichen oft mehrere Meter tief ins Erdreich. Dadurch können auch in trockenen Gegenden Reben gut überleben. Der Rebstock, der so dick wie ein Baumstamm werden kann, ist aus sehr hartem Holz. An ihm wachsen dann die Rebschosse und an ihnen die Trauben. Aber nicht jeder Rebschoss bringt auch Frucht. Solche, die keine Frucht bringen, schneidet man ab, und das gleich mehrmals im Jahr. Wohl kaum eine andere Pflanze braucht so viel Pflege wie der Weinstock. Und das Schneiden der Rebe will gelernt sein, denn es ist das Wichtigste, um einen guten Ertrag zu erhalten. Außerdem braucht man viel Geduld mit einer Rebe, denn sie trägt erst im dritten Jahr Frucht. Das mag für die besondere Wertung des Weinbergs maßgebend sein. Drei Jahre für den ersten Ertrag ist schon „eine Menge Holz“. Aber die Geduld und Pflege lohnen sich.

Jesus, der wahre Weinstock

Das alles ist gut zu wissen, wenn man das Bild von Jesus als dem wahren Weinstock verstehen möchte, das im Evangelium des heutigen Sonntags verwendet wird. Schon im Alten Testament wurde Israel als Weinstock bezeichnet, der von Gott als Winzer gepflegt wird. Wenn Jesus sich als „Weinstock“ bezeichnet, identifiziert er sich also mit Israel und den Menschen, die ihm zuhören. Er sagt sozusagen: „Ich gehöre zu Euch! Und als Weinstock bin ich stark und habe tiefe Wurzeln, so dass ich Leben spenden kann.“ Die Menschen aber, die mit ihm verbunden sind, sind wie Reben, die Frucht bringen. Dabei ist wichtig, dass sie nicht von sich aus Frucht bringen, sondern nur, weil sie mit dem Weinstock in Verbindung bleiben. Fruchtbringen ist keine autonome Entscheidung einer Rebe. Früchte wachsen ohne Entscheidung und Zutun an einer jungen Rebe. Nur der Winzer hat es durch seine beschneidende Pflege in der Hand, wo und wie viele Trauben am Weinstock wachsen. Jesus fordert die Jünger deshalb „nur“ dazu auf, am Weinstock, also in enger Verbindung mit ihm selbst, zu bleiben. Das genügt. Der Rest ist Sache des Winzers. Allein die Verbindung mit Jesus wird die Jünger zum Fruchtbringen führen.

Musik: Heinrich Schütz - Ich bin ein rechter Weinstock -  Dresdner Kreuzchor „Komm, heiliger Geist“

Nicht Leistung, sondern Geschenk

Für mich ist das eine sehr tröstliche Botschaft. Denn über viele Jahrhunderte wurde von den Gläubigen verlangt, sie müssten alle möglichen Leistungen durch Gebet oder gute Taten erbringen, damit sie in den Himmel kommen. Eine Leistungsfrömmigkeit hatte sich breit gemacht bis hin zum Ablass, der zur Spaltung der Kirche in Europa führte, als ob Gott am Ende zählen würde, was jemand vorzuweisen hat. Dabei hatte Jesus schon damit aufgeräumt. Dem Pharisäer im Tempel, der aufzählt, was er alles Gutes getan hat, wird der Zöllner entgegengesetzt, der in der letzten Reihe sitzt und nur sagt: „Herr, sei mir Sünder gnädig.“ Demut und Bescheidenheit sind bei Gott angesagt, nicht die Zur-Schau-Stellung eigener Großtaten. Ich bin bis heute skeptisch bei Menschen, die sich zu vehement zur Schau stellen und andere damit klein machen.

Auch das Bild vom Weinstock macht dies deutlich: Die Rebe ist nicht stark aus eigener Kraft, sondern weil sie am Weinstock bleibt. Er schenkt alles, was sie zum Leben und Fruchtbringen braucht. So ist es auch in unserem Glauben. Es genügt, bei Jesus zu bleiben. Alles andere kommt von allein. Alles andere ist Sache des Winzers, d. h. Gottes. Die hl. Theresa von Avila hat einmal ihren Schwestern gesagt, sie sollten sich nicht beunruhigen und verwirren lassen, denn Gott allein genüge. Sólo Dios basta.

Was gibt mir Kraft?

Ich glaube, dass diese Botschaft durchaus seine Bedeutung für heute hat, ganz unabhängig davon, wie gläubig jemand ist. Fragen Sie sich doch einmal selbst: Woran kann ich mich festhalten? Wer oder was gibt mir Kraft? Wer ist mein Weinstock, an dem ich bleiben möchte, damit ich Frucht bringe? Das kann die Familie sein oder eine gute Freundin, das kann ein Hobby oder eine Sportart sein, das kann auch die Lektüre eines guten Buches bei einem Glas Wein sein. Warum nicht? Es kann aber auch Gott sein, der mir in Jesus begegnet. Und weiter: Was muss ich evtl. abschneiden, weil ich merke, dass es mich hindert, aufzublühen? Was sollte ich loslassen, um eine neue Freiheit zu bekommen? Auch hier können die Antworten ganz unterschiedlich sein, aber es lohnt sich, mal darüber nachzudenken und so dem Leben einen neuen Impuls zu geben.

Für mich ist der Wein daher nicht nur ein Bild für Genuss und Lebensfreude, die es in unserem Leben auch geben darf und muss, sondern auch ein Hinweis auf den, der mir Kraft schenkt und von dem ich weiß, dass ich zu ihm gehöre wie die Rebe zum Weinstock.

Musik: Johann Sebastian Bach - Ouverture No. 2 ‚BWV 1067, 7. Badinerie - Trevor Pinnock Ouvertüren

Musikauswahl: Regionalkantor Christopher Löbens, Hünfeld

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