Unter die Haube kommen

Ein Beitrag von Ute Klewitz, Pastoralreferentin, Mentorin für Lehramtsstudierende mit dem Fach Katholische Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz

„Unter die Haube kommen“, diesen Ausspruch habe ich als Schulkind oft gehört. Ich habe über 20 ältere Cousinen, und immer mal wieder hat eine davon geheiratet. „Sie kommt unter die Haube“ –  diese Aussage hat mich schon damals sehr irritiert.

In meiner Vorstellung als kleines Mädchen bekamen meine Cousinen nämlich so eine Art riesigen Hut oder Schleier umgebunden, unter denen ihre Haare und Gesichter verschwanden. Das fand ich erschreckend, sehr einengend, denn viele meiner Cousinen hatten wunderschöne lange Haare. 

Heute ist der Tag der Indigenen Völker

Um die Freiheit für die Haare ging es oft auch in der Geschichte von Kolonialisierung und der Unterdrückung von indigenen Völker… Heute ist der Tag der Indigenen Völker. 

Indigene, das sind Menschen, deren Vorfahren schon vor der Ankunft europäischer Kolonist*innen in einem Gebiet gelebt haben. Sie haben oft ein besonderes Verhältnis mit der Natur, in der sie leben. Sie schöpfen Kraft und Kultur aus dieser Natur. Gerade der Umgang mit ihren Haaren, ihrer Haarpracht ist vielfältig und für sie oft etwas Besonderes. 

 Dort wurden sie mit Gewalt verwestlicht

Da gibt es eine große Leidgeschichte mit den Kolonist*innen. Zum Beispiel sind die Kinder von Indigenen oft in Erziehungsheime gesteckt worden. Dort wurden sie mit Gewalt verwestlicht. Dazu wurden ihnen häufig zuallererst die Haare abgeschnitten. Für viele indigene Völker ist das Kürzen der Haare gleichbedeutend mit dem Beschneiden der eigenen Gedankenkraft. So wurden diese Kinder gleich von Beginn an von dem Mut und der Macht der eigenen Kultur abgeschnitten.  

Ein Ausdruck von lebendigen Beziehungen

Sie wurden unter „die westliche Haube gebracht“. Eine gesunde Haarpracht ist in vielen Kulturen bis heute ein Ausdruck von Kraft und lebendigen Beziehungen. Sich die Haare schön zu machen, zeigt doch wie vielfältig die menschlichen Gesellschaften sind. 

Ich bin jedenfalls froh, dass Frauen und indigene Menschen heute nicht mehr unter die Haube gebracht werden, sondern in Freiheit entscheiden können – auch über ihre Haarpracht!