Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Starke Schwäche
Bild: andreas160578/Pixabay

Starke Schwäche

Judith Vonderau
Ein Beitrag von Judith Vonderau, Katholische Autorin bei "kirche im hr", Bad Orb
Beitrag anhören:

Ein Tag wie jeder andere. Ich war auf dem Weg zur Bushaltestelle. Als ich die Straße überqueren wollte, passierte es. Ich machte einen Schritt vom Bürgersteig auf die Straße – und knickte um. Einfach so. Der Boden war zwar eben und ich trug auch keine High Heels, sondern ganz bequeme Turnschuhe.

Was anfangs harmlos wirkte, stellte sich später als gar nicht so harmloser Bänderriss heraus. Der Arzt erkannte zu spät, was los war. Da war das gerissene Band nicht mehr zu retten. Der Fuß tat weiter bei jedem Schritt weh. Jetzt hieß es: den Schaden begrenzen. Ich wollte schließlich wieder schmerzfrei laufen können.

Da das Band im Fuß nicht mehr zusammengewachsen war, mussten die anderen Bänder mehr leisten, um die Arbeit des fehlenden Bandes zu übernehmen. Der Rat des Arztes dazu war klar und konkret: „Stellen Sie sich beim Zähneputzen auf einen Fuß, und zwar auf den verletzten.“

So sollten die gesunden Bänder trainiert werden. Also übte ich fleißig und stand nun zweimal am Tag für jeweils drei Minuten auf einem Fuß. Irgendwann zeigte mein Training Erfolg: Die Schmerzen verschwanden, ich konnte wieder laufen wie zuvor und putzte schließlich wieder auf zwei Füßen meine Zähne.

Die Kraft der kleinen Dinge

Das alles liegt inzwischen über zehn Jahre zurück. Und trotzdem werde ich immer noch manchmal daran erinnert. Denn wenn ich heute auf einem Bein stehe, dann merke ich einen Unterschied zwischen meinen Füßen. Ich stehe nicht etwa auf meinem gesunden Fuß stabiler und sicherer, sondern auf dem mit dem kaputten Band.

Das viele Training, die regelmäßigen drei Minuten jeden Morgen und jeden Abend haben ihre Spuren hinterlassen. Sie haben sich so richtig gelohnt. Und so ist das, was zunächst nach einer Schwäche und einem Verlust aussah, heute zu einer Stärke geworden. Meine Schwäche ist also stark geworden. Und das nur, weil ich kontinuierlich jeden Tag ein kleines bisschen Zeit investiert habe. Sechs Minuten sind wirklich nicht viel und doch haben sie so viel bewirkt.

Es macht mir Mut zu wissen, was Kleinigkeiten ausmachen können. Dass das vermeintliche Bisschen, auf das es wohl nicht ankommt, zu so großem Erfolg führen kann. Ich glaube, es lohnt sich, im Leben öfter auf die Kleinigkeiten zu achten und sinngemäß auf einem Bein die Zähne zu putzen.

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren