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Der Mönch und die Milde
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Der Mönch und die Milde

Christoph Schäfer
Ein Beitrag von Christoph Schäfer, Katholischer Religionslehrer, Rüsselsheim
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Vor ein paar Wochen hab ich das Kloster Cluny in Burgund besucht. Und bin immer noch begeistert: In Cluny stand im Mittelalter die größte Kirche der Welt. Es sind nur noch Reste zu sehen, aber allein die sind schon sehr imposant. Mich hat der Besuch so inspiriert, dass ich mich genauer mit den Klosterleitern, also den Äbten, beschäftigt hab, die Cluny in seiner Glanzzeit geprägt haben. 

Er hat extrem bescheiden gelebt

Besonders interessant find ich Odilo, den 5. Abt. Er hat im 11. Jahrhundert gelebt. Wenn man den alten Berichten glauben kann, war er zwar ein europaweit einflussreicher Politiker und Manager. Trotzdem hat gar nicht dem Klischee eines Machtmenschen entsprochen. Er hat etwa extrem bescheiden gelebt. Mich hat aber vor allem ein Zitat zum Thema „Führungsstil“ aufhorchen lassen. Odilo hat erklärt: Wenn er in die Hölle kommen solle, dann lieber, weil er zu nachsichtig gewesen sei, als wegen Härte und Grausamkeit.

Dieses Zitat ist wirklich souverän

Beim Hören hab ich erst mal wieder gespürt, wie fremd mir das Mittelalter ist: Ich kann heute als Christ mit „Höllenangst“ wenig anfangen. Mit dem Thema hat die Kirche viel zu lang Unheil angerichtet. Aber da diese Angst ja damals sehr verbreitet war, wurde mir schnell klar: Das Zitat ist wirklich souverän. Wenn im Grunde sagt Odilo: Er möchte wirklich extrem nachsichtig und milde mit seinen Mitmenschen umgehen. Weil er das einfach richtig so findet.

Zum nützlichen Idioten machen

Mich beindruckt das. Denn ich möchte eigentlich ja auch in meinem Alltag nachsichtig sein. Aber ich hab oft auch das mulmige Gefühl: Reicht‘s nicht irgendwann mal mit dem Nett-Sein? Mache ich mich nicht zum nützlichen Idioten? 

Noch ein bisschen mehr Nachsicht wagen

Wenn daher so ein mittelalterlicher Top-Manager wie Abt Odilo die Sache anders sieht, gibt mir das zu denken. Und das im besten Sinn: Ich werd einfach mal versuchen, noch ein bisschen mehr Nachsicht zu wagen. Und mir öfter bewusst machen: Bei Streit ist es nicht so wichtig, stets recht zu behalten. Und es ist viel besser, nicht immer so nachtragend zu sein. Und stattdessen mal einen Schlussstrich unter eine alte Rechnung zu ziehen. Ich bin sicher: Letztlich tut die Einstellung von Odilo nicht nur allen um mich herum gut. Sondern auch mir selbst.

 

 

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