Europa sei Dank!
Auch diese Woche hat uns leider nicht mit katastrophalen Meldungen verschont. Da gehen die guten Nachrichten manchmal unter. Zum Beispiel ein besonderer Geburtstag: der Europarat ist diese Woche 75 Jahre alt geworden. Das beschloss unter anderem, dass Schülerinnen und Schüler bis heute an Austauschprogrammen teilnehmen, um sich und ein Gastland kennenzulernen. Auch Clemens Weißenberger von der katholischen Kirche war Austauschschüler und erzählt davon heute im hr1 Zuspruch:
So nah und doch ganz anders
Autobahnen sind leer, sie kosten etwas, wenn man sie benutzen möchte. Wer mal zur Toilette will, lernt Stehklos kennen. Und bei einem feierlichen Essen in der Familie dauert es Stunden, bis der Nachtisch kommt. Dann noch die Sprache, das fremde Geld und viele neue Sitten und Gebräuche. Frankreich war so ganz anders, als ich das erste Mal mit meinen Eltern in die Partnerstadt meiner Gemeinde gefahren bin. Einfach ungewohnt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es damals war, Ende der 70er Jahre. Ein Abenteuer.
Vom Feind zum Freund
Ich bin dankbar, dass ich dann am Schüleraustausch teilgenommen habe. Erst waren die französischen Schülerinnen und Schüler bei uns, dann wir bei ihnen. Wir gingen gemeinsam zur Schule, machten Ausflüge und feierten Partys. Vor allem aber lernten wir einander kennen. Das war etwas Besonderes. Eine Generation davor tobte der Krieg, gegenseitig hat man sich zum Feind, sogar zum ennemi héréditaire, zum Erbfeind gemacht. Davon haben wir als junge Menschen nichts mitbekommen. Der Krieg war etwas, was Geschichte war. Ich fühlte mich herzlich willkommen. Und das haben wir auch zurückgegeben. Der Schüleraustausch war aufregend, aber irgendwie auch ein Stück außergewöhnliche Normalität.
Kultur, die alle in Europa verbindet
Heute sehe ich, wie ich von der Möglichkeit damals profitiert habe: Ich habe andere Menschen kennengelernt, ihre Gebräuche und Lebensgewohnheiten und festgestellt, dass wir so viele Gemeinsamkeiten haben. Ich denke, das hat mein Leben verändert. Es hat meinen Blick geweitet auf andere Kulturen, ließ mich Frankreich mit ganz anderen Augen sehen. Ich war in Paris und habe die Schätze des Louvre bestaunt. Ich durfte die Architektur der Gotik und ihrer Kathedralen kennenlernen, stand bewundernd und ergriffen in Kirchen. Die Schlösser der Loire habe ich mit Begeisterung besichtigt. Ich erkannte, Kultur verbindet. Und ich lernte Menschen kennen, die mich herzlich aufnahmen, bei denen ich Gast und zu Hause war. Ich habe Frankreich lieben gelernt.
Allein deswegen habe ich begriffen, wie sinnlos Kriege und Feindschaften sind. Wer sich kennt und schätzt greift einander nicht an.
Europa sei Dank!