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Ein zweites Mal sterben
Bild: congerdesign_pixabay

Ein zweites Mal sterben

Clemens Weißenberger
Ein Beitrag von Clemens Weißenberger, Katholischer Pastoralreferent, Frankfurt
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Mit Kollegen haben wir uns am 1. Mai getroffen. Wie jedes Jahr. Das hat Tradition. Und weil wir uns nahestehen, sprechen wir da auch über ganz persönliche Dinge. Was uns wichtig ist. Wie leider eben auch der Tod von Menschen, die uns nahestehen. Eine Kollegin hat vom Tod ihres Bruders erzählt. Der hatte eine ganz enge Beziehung zu ihr, weil er keine eigene Familie gegründet hatte. Und fast Tür an Tür mit ihr lebte. Sein ganzes Leben hatte er gesundheitliche Schwierigkeiten. Und dann im Herbst ging es ganz schnell bergab. Schlaganfall, Bandscheibenvorfall und eine Krebserkrankung. Das alles hat dazu geführt, dass er zu Beginn des Jahres plötzlich gestorben ist.

Es ist schwer für sie, die Wohnung des Verstorbenen auszuräumen

Die Kollegin hat erzählt: „Jetzt ist mir aber so, als ob er ein zweites Mal sterben würde. Wir räumen gerade die Wohnung aus. Und ich muss entscheiden: Was behalten wir, was spenden wir und was werfen wir weg.“ Es ist richtig schwer für sie. Die ganze Wohnung muss sie noch mal in die Hand nehmen. Da kommt ganz schön viel zusammen. Geschirr, Wäsche, aber auch Kontoauszüge, Briefe und persönliche Sachen.

Was besitze ich so alles, brauche ich das wirklich?

Ich bin ganz still geworden. Weil es mir zu Herzen gegangen ist, was mir die Kollegin gesagt hat. Ich habe dann an das gedacht, was ich so alles bisher in meinem Leben angesammelt habe. Vieles, denke ich, ist so wichtig. Und ich behalte es. Ich habe dann überlegt: Was besitze ich so alles, brauche ich das wirklich? Aber auch: Wie könnte es wohl sein, wenn meine Kinder das in die Hand nehmen sollen, was mir heute gehört? Und sie sich fragen: Was werfe ich weg, was spende ich, was behalte ich?

Erinnerungen hängen nicht nur an Dingen

Ich würde mich freuen, wenn mein Sohn eine Uhr wertschätzt, die seit mehr als hundert Jahren in Familienbesitz ist. Oder unsere Töchter den Familienschmuck tragen wollen. Aber ich denke auch: Irgendwelche Gegenstände sind fürs Erinnern vielleicht nicht so wichtig. Wenn ich mich an Menschen erinnere, brauche ich keine Uhr oder Schmuck. Ich denke an besondere Begegnungen oder schöne Urlaube. An Feste oder gute Gespräche. Gute Erinnerungen können bleiben und immer dann kommen, wenn ich sie abrufen möchte. Wenn ich mir wünsche, mit jemandem nochmal reden zu können, der schon tot ist. Wenn ich überlege, was derjenige mir raten würde, wenn ich ihn um Hilfe bitten würde. So bleiben Verstorbene in Gedanken und gut in meinem Herzen.

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