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Wenn der Zündfunke fehlt
Bild: roegger/Pixabay

Wenn der Zündfunke fehlt

André Lemmer
Ein Beitrag von André Lemmer, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel
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Es geschieht ja immer dann, wenn man es nicht braucht. Zwischen zwei Gottesdiensten am ersten Advent hüpfe ich ins Auto und drehe den Zündschlüssel um. Aber was sonst so selbstverständlich dazu führt, dass der Motor startet, passiert heute nicht. Alles bleibt still. Natürlich versuche ich es noch einmal. Und noch einmal. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie oft ich den Schlüssel umgedreht habe, in der Hoffnung, dass der Motor anspringt. Nichts.

Und nun sitze ich in meinem Auto und schaue auf die Uhr. Bis zum nächsten Gottesdienst wird es ganz schön knapp. Es hilft alles nichts, ich muss das Auto stehen lassen und ein Taxi bestellen. Ich habe die Nummer des Taxiunternehmens schon gewählt, da kommt der Organist aus der Kirche und fragt, ob er helfen kann. Obwohl auch er gleich noch einen Termin hat, bietet er mir an, mich zu fahren. Wir unterhalten uns ausgezeichnet und die Fahrt ist bereichernd, ich freue mich sehr über die unerwartete Gesellschaft. Und: Gott sei Dank, wir kommen noch pünktlich zum anderen Gottesdienst.

Den Fokus auf sich legen: auf das, was wichtig ist

Während des Gottesdienstes bin ich immer mal wieder in Gedanken bei meinem Auto. Was wird es wohl sein? Hoffentlich kann man es reparieren. Es wäre schon sehr schade, wenn es kaputt wäre. Fast 25 Jahre hat es treu gedient. Und ja, mit über 250.000 km kann ein Auto auch kaputt gehen. Schade wäre es auf jeden Fall.

Immer wieder schweife ich mit solchen Gedanken im Gottesdienst ab und bin gar nicht richtig bei der Sache. Als ich dann dran bin, das Evangelium vorzulesen, überraschen mich Gottes Worte, sie passen gerade heute haargenau. In dieser Stelle aus dem Lukasevangelium spricht Jesus von der kommenden neuen Welt. Und er mahnt eindringlich vor den Dingen, die uns ablenken können. Neben Rausch und Trunkenheit nennt er im gleichen Atemzug auch die Sorgen dieser Welt, die uns bedrücken und ablenken können von den Dingen, die eigentlich wichtig sind.

Noch während ich das Evangelium zu Ende lese, wird mir bewusst, dass mich mein Auto gerade ziemlich stark davon ablenkt, voll und ganz im Gottesdienst zu sein und ich schaffe es, das Auto aus meinen Gedanken zu verbannen. Nach dem Gottesdienst allerdings sind die Gedanken aber wieder da. Ich rufe meinen Mechaniker an und bitte ihn, sich einmal mein Auto anzuschauen. Und natürlich checke ich meinen Kalender für die kommende Woche. Wo brauche ich ein Auto, wann kann ich vielleicht ohne auskommen?

Etwas nicht ändern zu können, lähmt und lenkt ab

Zum Glück, so erfahre ich einen Tag später, ist es nichts Ernstes. Lediglich der Anlasser ist kaputt und muss ausgetauscht werden. Somit kann nach der Reparatur die Beziehung zwischen mir und meinem Auto weiter gehen. Ich bin erleichtert.

Musik

Auf dem Weg nach Hause sitze ich in der Straßenbahn und bin in Gedanken versunken. Zwei Dinge gehen mir dabei durch den Kopf. Zum einen wird mir klar, dass es bei einer so komplexen Maschine wie einem Auto schon reicht, wenn auch nur ein Teil ausfällt und alles bleibt einfach stehen. Zum anderen beschäftigt mich immer wieder, wie sehr mich diese Situation in Beschlag genommen hat und vom Eigentlichen ablenkte.

Auch Situationen, die ich selbst nicht ändern kann, die aber in meinem Leben passieren, beschäftigen mich sehr. Ich denke, grüble, wäge ab – ständig: So gerne hätte ich für alles eine Lösung, die mich beruhigt oder mir eine Perspektive bietet. Klappt leider nur selten. Ich muss, wie bei meinem Auto, deshalb oft andere Menschen um Hilfe bitten und auf ihren Rat oder ihre Einschätzung vertrauen. Und das beschäftigt mich sehr.

Klar, nicht immer die volle Kontrolle über das zu haben, was in meinem Leben geschieht, ist nervig. Besonders dann, wenn mir nur der erste Schritt zur Lösung fehlt, ich vielleicht den zweiten und dritten Schritt schon für mich klar habe, dann fehlt mir die Geduld - mit mir selbst und auch mit anderen. Und genau das ist der Kern des Problems. Denn: Auch wenn nur der anfängliche Funke fehlt, kann sich nicht viel bewegen. Ich muss die Geduld haben, bis dieser Funke kommt, so wie ich warten muss, bis der Mechaniker mein Auto wieder repariert hat. Dabei nützt es eben herzlich wenig sich immer wieder, um dieses Problem zu drehen. Ich kann es nicht ändern und nicht beschleunigen.

Jesus rät zum Blick nach vorn

Jesus sagt im Lukasevangelium nicht nur, dass wir uns nicht von den Alltagssorgen lähmen lassen sollen. Er sagt, wir sollen ganz bewusst den Kopf heben und nach vorne schauen. Es geht als nicht nur darum, sich immer und immer wieder um eine Sache zu drehen, sondern gerade in solchen Situationen den Blick zu heben und das Ganze in den Blick zu nehmen.

Ich denke da an den Organisten. Er hatte zwar auch einen Folgetermin, aber er war in seinen Gedanken noch nicht bei diesem Termin, sondern ganz im Hier und Jetzt. Sonst hätte er mich wahrscheinlich gar nicht gesehen und wäre einfach an mir vorbei gerauscht. Nun ist es ja auf der einen Seite logisch, immer im Hier und Jetzt zu sein und sich nicht durch ein einziges Problem lähmen zu lassen. Ich kann das persönlich gut verstehen, aber mir reicht diese oft Erkenntnis nicht, denn beim nächsten Problem tappe ich schon wieder in diese Falle. Ich mag es außerdem nicht, wenn ich etwas nicht in der Hand habe und mir nur der Anfangsfunke fehlt, damit ich wieder Herr über die Lage werde.

Dennoch: Die Begebenheit mit meinem Auto hilft mir irgendwie weiter. Meine Gedanken kreisten immer wieder um dieses eine Problem und ich habe gar nicht gemerkt, dass ich anderes dadurch nicht beachtet habe. Erst durch das Evangelium habe ich mich wieder konzentrieren können auf das, was in dem Moment wirklich wichtig war. Das bedeutet doch, dass der Funke, der wieder Bewegung brachte, aus einer ganz anderen Richtung kam. Damit hätte ich nie gerechnet. Während ich immer wieder an mein Auto gedacht habe, lag in diesem Fall der zündende Funke gerade darin, das nicht zu tun.

Musik

Mit Weitblick weitermachen

Vielleicht ist es genau dieses Aufblicken, dieses Weiten des Blickes von meinen konkreten Problemen hin auf das Gesamte. Denn da merke ich, es geht weiter. Vieles funktioniert und ich bin bei vielen Dingen Herr der Lage. Dieser Blick ist dann wie ein Funke. Er erlaubt mir, weiterzumachen und ganz im Augenblick zu sein, aufmerksam für alles, was sonst noch um mich herum passiert. Ich verstehe, dass die Probleme nicht dazu da sind, um mich zu lähmen, weil ich nur noch um sie kreise, sondern alles um mich herum wichtig wird, damit mich die Probleme nicht erdrücken, damit ich sie lösen lerne.

Ich möchte Probleme nicht verdrängen. Ich möchte aber auch nicht von Problemen verdrängt werden. Damit ich das auch immer wieder anwenden kann, helfen mir die Evangelien. Das Neue Testament, die Geschichte Jesu in der Bibel, sie ist immer wieder aktuell für mein Leben. Denn schon zur Zeit Jesu haben sich die Menschen immer wieder selbst gelähmt, weil sie den Blick auf ihr Leben verloren haben. Immer wieder versucht Jesus die Menschen deshalb wachzurütteln, damals wie heute. Er will immer wieder der Funke sein, der uns in Bewegung versetzt. Mal ist er Funke, damit wir aushalten können, was nicht in unserer Macht liegt, zu ändern. Mal ist er Funke, damit wir wieder in Bewegung kommen, wo wir stehen bleiben, weil wir uns zu sehr auf nur eine Sache in unserem Leben konzentrieren.

Ich gebe zu, nicht immer gelingt es mir, sofort den Blick zu weiten. Manchmal braucht es ein bisschen, bis dieser Gedanke in meinem Kopf ankommt. Dann denke ich mir: Es ist wie bei meinem Auto. Hätte ich zu schnell aufgegeben, wäre mein Taxi schon unterwegs gewesen, ich wäre nicht beim Organisten eingestiegen, hätte ich mich nicht so gut mit ihm unterhalten und in dem Moment meinen Horizont, meinen Blick geweitet. Und das wäre das eigentlich schade gewesen.

 

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