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Von der Kraft der Akzeptanz
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Von der Kraft der Akzeptanz

Ralf Schweinsberg
Ein Beitrag von Ralf Schweinsberg, Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche in Gründau-Rothenbergen
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Hinter mir liegt eine anstrengende Zeit. Vor kurzem hatte ich endlich ein paar Tage frei. Also bin ich spontan ans Meer gefahren. Einfach mal den Kopf durchblasen lassen, die Schwere ablegen und die Gedanken loswerden.

Vom Wind durchgeblasen, aber die Sorgen nicht losgeworden

Das hat leider nur bedingt geklappt. Durchgeblasen hat es mich an der Holländischen See, nur die vielen Gedanken bin ich trotzdem nicht losgeworden. Für mich reichen ein paar Tage frei meist nicht aus, um meine Sorgen zu vergessen. Ständig kreisen die Gedanken: Ich muss doch noch dies, und jenes darf ich auf keinen Fall vergessen. Wie soll ich das denn alles schaffen? Und was passiert, wenn es mir nicht gelingt?

Manchmal verstellen Sorgen und Gedanken den Blick auf alles andere

Die Gedanken und Sorgen nehmen manchmal so viel Raum ein, dass es mir den Blick auf alles andere verstellt. An der rauen holländischen See konnte ich mich kaum erfreuen und den Wind in den Haaren genießen. Stattdessen war mir das Herz ganz schwer. Ich schätze: Ich brauche etwas anderes um quälende Gedanken und Sorgen loszuwerden. Eine Anregung habe ich in einer Geschichte entdeckt.

Das Leben ist wie ein Fluss

Sie handelt von einem jungen Mann, der wie gelähmt ist von seinen Sorgen und Gedanken. Eines Abends sitzt er am Fluss, grübelt darüber und wird traurig. Ein alter Bauer kommt vorbei und gibt ihm einen weisen Rat: „Jeder Mensch hat Sorgen und verpasste Gelegenheiten. Doch das Leben ist wie der Fluss – es fließt weiter, egal ob du springst oder nicht. Wenn du nie wagst zu springen, wirst du niemals wissen, wohin dich der Fluss führen könnte.“

Diese Weisheit lässt mich nicht mehr los: Das Leben als ein großer Fluss, in den ich hineinspringen und mich mitreißen lassen kann. Meine Gedanken, Planungen, auch meine Sorgen sollen mich nicht davon abhalten. Ich lass mich einfach treiben.  

"Sorgt euch nicht um morgen ..."

Einen ähnlichen Gedanken gibt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern mit auf den Weg. Er sagt: „Sorgt euch nicht um morgen – der nächste Tag wird für sich selber sorgen! Es ist doch genug, wenn jeder Tag seine eigenen Schwierigkeiten mit sich bringt.“ (Matthäus 6,34)

Für mich heißt das: Wir sollen das Morgen nicht einfach vergessen. Es wird auch nicht alles irgendwie gut, nur weil man es vergisst. Aber manche Sorge wird leichter, wenn ich mich zunächst um das Heute kümmere, um die Dinge, die ich heute anpacken und ändern kann.

Vielleicht würde Jesus dem jungen Mann sagen: Du kannst in den Fluss springen und darin baden. Du kannst aber auch aufstehen und deine Dinge anpacken. Du wirst nicht alles hinbekommen, aber du kannst jetzt anfangen und Morgen weitermachen. Das ist viel mehr, als nur darüber nachzudenken.

Musik

Gedanken an verpasste Chancen und Sorgen beiseite schieben, fällt oft schwer

Das Leben weiterfließen lassen, sich keine Sorgen machen um den nächsten Tag: Das  wünsche ich mir auch. Aber meine Gedanken an verpasste Chancen und Sorgen kann ich nicht so einfach ablegen. Es gibt Menschen, die das scheinbar viel besser können, die gut drauf sind und zuversichtlich – sogar in Krisenzeiten.

Diagnose: Unheilbar krank

Ich denke an eine junge Frau. Sie war im Frühjahr erkrankt und die Ärzte haben ihr klar gemacht, dass es keine Heilung für ihre Erkrankung geben wird. Sie hat mir erzählt, wie sie nach einigen schlaflosen Nächten einen Entschluss gefasst hat: Sie sagte sich: „Das ist jetzt eben so.“

Ich habe diese Aussage zunächst gar nicht richtig verstanden. Kann man sich einfach mit einer solchen Situation abfinden? Muss man nicht eher rebellieren, aufstehen, kämpfen?  Sie hat erzählt: Die Ärzte hatten ihr verschiedene Therapien vorgeschlagen, aber auch deutlich gemacht, dass sie zwar kämpfen aber nicht gewinnen kann.

"Das ist jetzt eben so"

Irgendwann hat sie dann gesagt: „Das ist jetzt eben so.“ Für mich ist das heute ein ganz starker Satz. Sicher steht er nicht am Anfang eines Weges. Aber wenn ein Mensch ihn sagen kann, dann hat er einen wichtigen Schritt gemacht: er akzeptiert seine Situation.

Kein Aufgeben, sondern ein Neuanfang

So etwas kann man als Aufgeben missverstehen, wenn meine Kraft zu Ende ist und ich nicht mehr kämpfen kann. Für die junge Frau war das ein neuer Anfang. Raus aus dem hilflosen Starren auf ihre Krankheit. Raus aus endlosen Nächten in denen sie getrauert hat um das, was sie im Leben verpassen wird. Raus aus der Sorge um das Morgen.

Sie hat ernst genommen, was Jesus gesagt hat: Mach dir keine Sorgen. Denn was Morgen wird, liegt nicht in deiner Hand. Aber da ist einer, der sich um dich kümmert. Gott im Himmel weiß, was du zum Leben brauchst und er wird sich um dich kümmern.

Gott kümmert sich um alle Menschen

Für mich bedeutet das: Auch wenn ich es nicht immer erkenne: Gott kümmert sich um mich und um alle Menschen. Die ganze Welt ist sein Reich, Gott wirkt darin mit seiner Liebe und Kraft. Das trägt uns im Leben, auch wenn alles anders kommt, als geplant.
Und: Davon können wir weitergeben. Wir können anderen Menschen respektvoll und freundlich begegnen, ihnen Mut machen und sie trösten. Nur das soll unsere Sorge sein. Dafür sollen wir uns einsetzen, sagt Jesus. Denn so wird schon das Heute für alle Menschen freundlicher und tröstlich und ein Stück weit sorgenfrei.

Musik

Die eigene Situation annehmen

„Das ist jetzt eben so.“ Für mich ist das ein ganz starker Satz, der mich herausfordert, meine Situation anzunehmen. Es ist kein Satz, der mich passiv werden lässt. Ganz im Gegenteil.

Der junge Mann aus der Geschichte sitzt grübelnd am Fluss. Er leidet unter den kreisenden Gedanken um das, was passieren könnte. Der alte Mann rät ihm, mutig in den Fluss und damit in sein Leben zu springen. Genau darum geht es doch. Rauszukommen aus dieser Lähmung der verpassten Chancen und Sorgen um Dinge, die ich nicht in der Hand habe.

Trotz der Diagnose ins Leben gesprungen

Diese junge Frau hat sich getraut: Sie ist trotz der Diagnose ins Leben gesprungen. Fünf kleine Worte stehen für ihren Sprung: „Das ist jetzt eben so.“ Sie stehen für ihre Entscheidung, nicht länger auf ein angstmachendes Morgen zu starren, sondern heute zu leben.

Ich habe sie gefragt, woher sie diese Kraft nimmt. Sie hat mir gesagt: Sie spürt, wie Jesus sie trägt. Sie kann ihre Sorgen loslassen, weil da Gott ist, der sich um sie sorgt, der weiß, was sie braucht.

Diese junge Frau ist ganz bewusst in den Fluss ihres Lebens gesprungen. Ihr Glaube hat  ihr geholfen, die Situation zu akzeptieren, frei zu werden von der Angst um Morgen und ein Stück weit sorgenfrei zu leben. So hat sie jeden Tag ihrer verbleibenden Zeit mit ganz viel Leben gefüllt: So lange es möglich war Ausflüge gemacht, sich mit Freunden getroffen und das Leben in vollen Zügen genossen.

Ich nehme sie mir zum Vorbild. Statt meine Gedanken von der Seeluft durchpusten zu lassen, will ich es ihr in Zukunft gleichtun: Mich an den Rat von Jesus erinnern, meine Sorgen dem Himmel überlassen, mir selbst laut sagen: „Das ist jetzt eben so.“ Und wieder neu ins Leben springen.

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