Der eine Nudelauflauf und die vielen Meinungen
Ich bin mit drei Geschwistern aufgewachsen und habe dadurch früh festgestellt: Wir Menschen sind alle ganz schön unterschiedlich. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir als Kinder den Nudelauflauf strategisch unter den vier Geschwistern aufgeteilt haben. Zwei von uns mochten nämlich keinen Käse – ich habe zu diesen zweien gehört. Für die anderen beiden hat das bedeutet: Sie durften unseren Teil mit Käse zusätzlich essen. Also eine Win-Win Situation.
Wir ergänzen einander
Neben solchen Erfahrungen und Geschichten über verschiedene Geschmäcker gibt es noch vieles mehr, das mir gezeigt hat: Ja, wir Menschen sind verschieden, und das ist auch gut so, weil wir uns ergänzen. Der Nudelauflauf ist für mich ein Bild dafür. Was der eine nicht mag, gefällt vielleicht der anderen. Heißt für mich auch als positiven Effekt: Es wird kein Essen verschwendet, und am Ende sind alle glücklich.
Essen ist einfacher
Gut, beim Essen ist es vielleicht noch etwas einfacher, als wenn es um verschiedene Meinungen zu einem Thema geht. Ich bemerke immer mehr, wie es da nicht harmonisch, sondern eher heiß hergeht. Aktuelle Ereignisse, wie die Messerattacke in Solingen oder auch zuletzt in Rotterdam, lassen die Diskussionen zu Themen wie Migration und Sicherheitspolitik hochkochen.
Christliche Nächstenliebe und weiter?
Jede*r hat dazu eine eigene Meinung, manche sprechen sie laut aus, andere denken sie sich vielleicht nur und wieder andere posten sie öffentlich auf Social Media. Und klar, einige Beiträge stehen sich diametral gegenüber: Der Ruf „Ausländer raus“ ist für mich erst einmal unvereinbar mit der Forderung nach einem menschenoffenen und freien Land. Zu einem Land, das von christlicher Nächstenliebe geprägt ist oder was als christlich geprägt bezeichnet wird, gehört für mich eine menschenfreundliche Migrationspolitik einfach dazu.
Wie die konkret aussehen soll, darüber lässt sich diskutieren und auch streiten – wie kriegen wir eine gute und auch christliche Asyl- und Einwanderungspolitik hin? Wie kriegen wir es hin, dass unsere Gesellschaft stabil bleibt und Menschen auf der Flucht menschenwürdig behandelt werden?
Mein Gegenüber zu Wort kommen lassen
Die Frage, die ich mir dann stelle ist: Wie kommen wir trotz vieler unterschiedlicher Meinungen zusammen? Ich persönlich streite nicht gerne. In Gesprächen bin ich nach Möglichkeit eher der Vermittler, der den verschiedenen Seiten zuhört. Natürlich habe ich auch meine eigene Meinung, mit der warte ich in der Regel aber erstmal ab und lasse mein Gegenüber zu Wort kommen.
Musik
Zuhören, auch in der Kirche
Auch in der katholischen Kirche kommen wir um Diskussionen bei wichtigen Themen nicht herum. Ich bin froh, dass es deswegen im Oktober in Rom wieder eine große Versammlung gibt. Eine sogenannte Weltsynode. Ziel ist es, sich auszutauschen, miteinander ins Gespräch zu kommen und vor allem richtig zuzuhören. Ein wichtiges Thema ist da zum Beispiel, wie Entscheidungen in der Kirche getroffen werden.
Diskutieren ist auch anstrengend
Ich bin dankbar dafür, dass die Teilnehmenden dort auch kontrovers diskutieren. Denn alle Sichtweisen sollten für eine Entscheidung gehört werden.
Mir selbst wären solche Diskussionen über eine lange Zeit und mit so vielen verschiedenen Meinungen wahrscheinlich doch zu anstrengend. Die Versammlung geht immerhin knapp vier Wochen! Von daher habe ich großen Respekt vor den Teilnehmenden, die sich dort einbringen.
Auch aus Hessen sind einige dabei, zum Beispiel Bischof Bätzing. Aber vor allem sind junge Leute vor Ort, um sich einzubringen und mitzudiskutieren, damit ihre Stimme gehört wird.
Eine Bereicherung fürs eigene Denken
Für mich ist es immer wieder aufs Neue eine Bereicherung, von anderen Sichtweisen zu hören. Denn ich habe nicht alles im Blick. In solchen Situationen bin ich dann dankbar für diesen Denkanstoß von außen. Da denke ich immer wieder: Cool, da hab ich so noch gar nicht drüber nachgedacht! Letztlich bringt mich die Beschäftigung mit fremden Gedanken auch in meinem Denken weiter. So wie es mich auch weiterbringt, wenn ich hin und wieder ein neues Rezept ausprobiere oder mich von Freunden für ein fremdes Essen begeistern lasse. Ich werde immer wieder überrascht und entdecke vielleicht auch ein zukünftiges Lieblingsessen.
Die Würde der Menschen
Manchmal bin ich aber auch mit Ansichten konfrontiert, die gegen die Würde von Menschen gehen oder auch Dingen, die für mich wirklich ungenießbar sind. Da weiß ich dann für mich: Nein danke! Und gebe auch contra. Denn alle Menschen haben die gleiche Würde und den gleichen Respekt verdient.
Ich orientiere mich da an der Schöpfungsgeschichte aus der Bibel. Dort heißt es:
„Da formte Gott den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. Dann sprach Gott: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm ein Gegenüber machen, das ihm ebenbürtig ist. Gott baute eine Frau und führte sie voreinander.“ (Gen 2,7.18.22)
Die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel ist kein Tatsachenbericht, und trotzdem steckt für mich dort etwas fundamental Wichtiges drinnen: Menschen sind vielfältig und ebenbürtig. Ich kann auch sagen: gleichwertig. Und wir Menschen brauchen einander.
Musik
Zuhören, gerade in der Kirche
Ich begegne täglich so vielen unterschiedlichen Menschen in meinen Gemeinden. Ich versuche, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und ihnen zuzuhören.
Heißt für mich persönlich: Auch, wenn ich jemanden nicht ausstehen kann, höre ich mir erstmal an, was sie*er zu sagen hat. Meine eigene Meinung ist nicht besser, als die der anderen. Ich habe schon häufiger festgestellt, dass mein Gegenüber die besseren Argumente hat. In solchen Situationen muss ich mich zwar manchmal überwinden, aber ich kann dann meinem Gegenüber auch Recht geben.
Raus aus der Blase
Ich merke dann: Es braucht den Austausch und das Gespräch mit anderen Menschen. Es ist nicht gut, wenn ich mir als Mensch nur allein in meiner Blase Gedanken machen.
Also wenn ich mich immer nur über die gleichen drei Instagram-Kanäle informiere und mich online nur mit Gleichgesinnten austausche.
Es kostet mich natürlich hin und wieder selbst Überwindung, da bewusst auszubrechen und mich in den Austausch zu begeben. Es ist ja ganz bequem in meiner Meinungsblase. Bei Unbekannten weiß ich nicht genau, wie sie drauf sind. Da bin ich anfangs manchmal unsicher im Gespräch. Nach ein paar Minuten merke ich dann meistens, wie die andere Person tickt und kann mich darauf einstellen.
Im Nachgang bin ich dann in der Regel froh, das Gespräch gesucht zu haben.
Überzeugen, um jeden Preis?
Wichtig ist für mich, dass ich klar habe: Was will ich mit dem Gespräch? Will ich die andere Person einfach von meiner Meinung überzeugen? Oder schauen wir einfach mal in welche Richtung es geht?
Das erlebe ich zum Beispiel in Sitzungen in der Kirchengemeinde, in denen es um wichtige Entscheidungen geht, wie Gebäude und Gottesdienste: Da will der eine den anderen um jeden Preis überzeugen. Natürlich ist es richtig, dass am Ende eine Entscheidung dastehen muss. Die Frage ist: Ist es eine Entscheidung, die nur von einer Seite herbeigeführt wird - oder ist es ein möglicher Kompromiss, bei dem vorher alle angehört wurden? Es kann in meinen Augen dort nicht vorgefertigte Lösungen geben, die man nur präsentieren muss. Bedenken, Widerstände und Widersprüche kann ich vielleicht nicht immer auflösen, aber ich kann darüber reden.
Auseinandersetzung und Veränderung
Die Vielfalt der Meinungen und die Auseinandersetzung sind notwendig und vor allem gut. Vielleicht ändert sich beim ein oder anderen im Gespräch die Einstellung.
Wenn meine Geschwister und ich heutzutage gemeinsam essen, haben nicht alle die gleichen Gewohnheiten wie früher. Ich esse beispielsweise heute den Nudelauflauf mit Käse. Das erinnert mich immer wieder daran, wie wichtig es ist, dass ich mich mit anderen Meinungen auseinandersetze. Und ich bin dankbar, dass es so viele unterschiedliche Menschen, Meinungen und Geschmäcker gibt und die sich auch immer neu entdecken lassen. Ich finde: Das ist eine große Bereicherung!