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Worauf kommt es an? Über Demokratie, Werte und Glauben
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Worauf kommt es an? Über Demokratie, Werte und Glauben

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen
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Gut und sicher Leben. Das wünschen sich wohl alle. Und der Staat soll das möglich machen. Indem er für Sicherheit sorgt. Für ein passables Auskommen. Für ein starkes Sozial- und Gesundheitssystem. Für Freiheit natürlich auch. Und manches mehr. Die meisten erwarten recht viel von ihrem Staat. Ist die Demokratie dafür die beste Form? Darum machen sich derzeit viele Sorgen - etwa Zweidrittel der Bevölkerung. Das fand eine Umfrage heraus.

Viele sind nicht nur in Sorge. Sie ärgern sich. Manche sind sogar richtig wütend und stellen die Demokratie generell in Frage. Aber die Klugheit sagt: Ärger und Zorn sind keine guten Ratgeber. Besser man bedenkt, wohin das am Ende führen kann.

Glaube und Demokratie passen gut zusammen

Ich halte an der Demokratie fest. Dafür finde ich auch in meinem Glauben gute Gründe. Für mich passen die beiden gut zusammen: die Demokratie und der Glaube. Das ist nicht selbstverständlich. Vom Wert der Demokratie musste die evangelische Kirche erst überzeugt werden. Zu eng war sie Jahrhunderte lang mit den Landesfürsten verknüpft.

Die Demokratie läßt der Freiheit den größten Raum

Doch die Demokratie lässt der Freiheit den größten Raum. Auch der Freiheit, das zu glauben, was einen am meisten überzeugt. Denn die Demokratie erhebt nicht den Anspruch, die Köpfe und Herzen zu regieren. Im Gegenteil: Sie organisiert die Freiheit von Kopf und Herz – auch zum Protest.

Sinnvolle Lösungen zu finden, ist nicht leicht

Deshalb stehe ich als Christ zur Demokratie. Natürlich wünsche ich mir dabei auch, dass sie die Herausforderungen unserer Zeit möglichst schnell und konstruktiv meistert. Doch ich sehe ja, wie kompliziert vieles geworden ist. Sinnvolle Lösungen zu finden ist nicht leicht. Dazu braucht es Debatten, manchmal auch mühselige.

So viel Geduld haben aber nicht alle. Viele schimpfen auf diejenigen, die sie für verantwortlich halten: auf Parteien, Personen und Institutionen. Oft höre ich Sätze wie: „Die da oben machen doch sowieso nur, was sie wollen. Und wir sind die Dummen“.

Die politisch Verantwortlichen haben Respekt verdient

Dem kann und will ich nicht zustimmen. Das ist mir zu pauschal und verletzend. Denn damit tut man den meisten Politisch Verantwortlichen Unrecht. Viele engagieren sich mit aller Kraft für die Bürgerinnen und Bürger. Reich werden sie dabei nicht. Sie haben deshalb Respekt verdient. Jedenfalls keine pauschal abfälligen Sätze. Verantwortliche in der Politik sind weder bessere noch schlechtere Menschen. Deshalb: Wer über sie generell abfällig redet, offenbart ein düsteres Bild vom Menschen insgesamt. Das passt nicht zu meiner christlichen Sicht.

Gott setzt die Menschen als seine Mitarbeitenden ein

Der Mensch hat seinen dunklen Seiten, seine inneren Abgründe. Unbestreitbar. Und die Bibel beschreibt sie auch. Aber die Bibel schreibt den Menschen auch ein großes Potenzial zu. Immerhin setzt Gott sie als seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Sie sollen sich um die Welt kümmern. Die Menschen – wir – können das!

Weniger optimistisch klingt die Sängerin Shade in einem Song mit dem Titel: „Why can´t we live together?“ Darin fragt sie: „Sag mir, warum. Warum können wir nicht zusammenleben? Jeder will zusammenleben.“ Kein Krieg mehr!“

Musik

Tell me why, tell me why, tell me why. Mmm, why can't we live together? Tell me why, tell me why. Mmm, why can't we live together? Everybody wants to live together. Why can't we be together? No more war, no more war, no more war.

Die Sängerin Shade wirft einen skeptischen Blick auf die Menschheit

Der Song wirf einen skeptischen Blick auf die Menschheit. Anders die Demokratie. Sie basiert auf einem optimistischen Bild: aktive, mündige Bürgerinnen und Bürger, die sich für das Ganze mitverantwortlich fühlen. Sie tragen auch unliebsame Entscheidungen ihrer Regierungen mit, sofern diese nötig und sinnvoll sind. Ist das übermenschlich gedacht? Nein, zumindest nicht aus der Sicht meines christlichen Glaubens. Es entspricht einfach nur dem, was die Bibel uns Menschen zutraut: Mitverantwortung übernehmen für die Schöpfung Gottes.

Die Demokratie verteilt die Macht auf viele

Dabei ist die Demokratie aber nicht naiv. Sie rechnet auch mit den Abgründen des Menschen. Und sie rechnet damit, dass sie selbst in diese Abgründe geraten könnte. Deshalb schützt sie die Menschen und sich selbst. Sie verteilt die Macht auf viele. Mit Wahlen und Parlamenten, Medien und Gerichten sowie anderen Korrektiven. Damit sie auch dann erhalten bleibt, wenn sich Menschen mit böser Absicht an ihr zu schaffen machen.

Demokratie ist nur dann gut, wenn sie Minderheiten schützt

Ist Demokratie die beste Staatsform? Ich finde: Schon. Aber nicht automatisch. Sie kann auch die bequemste Form sein, Minderheiten zu unterdrücken. Denn die Mehrheit kann Minderheiten ja immer überstimmen. Deshalb ist Demokratie nur dann gut, wenn sie auch die Minderheiten schützt. Wenn sie allen Menschen gleiche Chancen und Rechte sichert. So ist die Deutsche Verfassung auch angelegt – mit Rücksicht auf die Rechte der Minderheiten.

Minderheiten schützen, gleiche Chancen und Rechte für alle sichern, dafür sollen sich alle Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Sonst geht die Demokratie kaputt.

Demokratie braucht Werte

Die Demokratie braucht Werte, die sie allerdings nicht selbst erzeugen kann. Dafür hat der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde diesen Satz geprägt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Woher kommen die Werte dann – der Sinn für Gerechtigkeit und für das Gemeinwohl, das Mitgefühl und der Respekt? Die muss jemand in die Herzen tragen, damit die Demokratie darauf aufbauen kann.

Menschen müssen die Werte mit Leben füllen

Demokratie braucht also jede und jeden einzelnen: Eltern, die diese Werte selbst leben und an ihre Kinder weitergeben. Auch Erzieher und Lehrerinnen. Sie braucht Vereine, Verbände und Nachbarschaften, die diese Werte mit Leben erfüllen. Dazu gehören natürlich auch die Kirchen. Aus meiner Sicht kommt dabei dem christlichen Glauben sogar eine besonders starke Rolle zu. Ich verstehe ihn so: Gott sieht alle Menschen gleichermaßen an – als seine Geschöpfe, gar als sein Ebenbild. Da ist kein Platz für rassistische Unterschiede. Da ist kein Platz für Gewalt und Unterdrückung. Stattdessen sind Sorge und Liebe vorgegeben. Davon singt auch Sade in ihrem Song: „Egal, welche Farbe. Du bist immer noch mein Bruder. Alle wollen zusammenleben. Warum können wir nicht zusammen sein?“

Musik

No matter, no matter what color. Mmm, you are still my brother. I said, "No matter, no matter what color. Mmm, you are still my brother". Everybody wants to live together. Why can't we be together?

Alle vier Jahre wird gewählt: Stimme abgeben und dann zurücklehnen?

Alle vier Jahre heißt es in der Demokratie: bei der Wahl seine Stimme abgeben. Doch diese Sprachwendung ist fatal. Sie tut so, als habe man danach keine Stimme mehr. Und seinen Teil erfüllt. Alles Weitere erledige die Politik. So ist Demokratie aber nicht gedacht. Sie muss getragen werden - nicht nur prinzipiell, sondern auch konkret. Viele wissen das. Sie informieren und engagieren sich. Das finde ich großartig. Andere schauen dagegen auf ihren Vorteil. Sie wollen selbst möglichst wenig beitragen und dem Staat möglichst viel aufladen. An diesem Prinzip geht die Demokratie jedoch zugrunde.

Demokratie funktioniert nicht von alleine

Nur ein Beispiel: Zweidrittel der Menschen in Deutschland wollen, dass für den Klimaschutz mehr getan wird. Dafür wollen jedoch Zweidrittel persönlich auf nichts verzichten. Die Politik soll es also richten. Doch derzeit gewinnen Parteien an Stimmen, die das eher hinauszögern oder gar verhindern wollen. So wird es nicht gehen. Die Demokratie funktioniert nicht von alleine. Sie muss von den Bürgerinnen und Bürgern aktiv getragen werden. Auch wenn es etwas kostet.

Drei Werte aus dem christlichen Galuben, die sich für die Demokraite eignen

Als Richtschnur dafür eignen sich Werte aus dem christlichen Glauben. Drei davon sind mir besonders wichtig:

Der erste: Auf jeden einzelnen kommt es an, denn jeder einzelne ist ein gleichwichtiger Teil des Ganzen. Das gilt sowohl im christlichen Glauben als auch in der Demokratie.

Die zweite Richtschnur: Wenn bestimmte Menschen abgewertet werden, egal warum: Dann will ich widersprechen. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt bei Gott, und so steht es auch im Grundgesetz.

Und zuletzt das Prinzip Hoffnung. Das gilt in der Demokratie. Und auf eigene Weise auch im christlichen Glauben. Denn im Glauben erfährt man etwas von der Gottes Liebe zur Welt. Das macht Mut, die Hoffnung auf eine bessere Welt zu bewahren: Ein friedlicheres Zusammenleben ist doch möglich und wird kommen. Dafür möchte ich mich gerade heute stark machen: am Internationalen Tag der Demokratie. Diese Hoffnung hat auch die Sängerin Shade. Inmitten aller Skepsis beschwört sie in ihrem Song doch diese Hoffnung: „Alle wollen leben. Alle müssen zusammen sein. Alle wollen zusammen sein.“

Musik

Everybody wants to live. Everybody's got to be together. Everybody wants to live. Everybody's going to be together. Everybody's got to be together. Everybody wants to be together.

 

Siehe auch EKD-Denkschrift „Evangelische Demokratie und freiheitliche Kirche“ (1985): https://www.ekd.de/evangelische-kirche-und-freiheitliche-demokratie-55691.htm

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