"End of the Line" von The Traveling Wilburys
George Harrison greift in die Saiten. Das klingt nach Beatles. Aber sobald der Rhythmus einsetzt‚ kommt amerikanischer Country-Rock dazu.
Der Ex-Beatle hat sich mit Musikern aus der amerikanischen Singer-Songwriter-Szene zusammengefunden. Sie treffen sich Ende der 80er Jahre in Bob Dylans Studio in Kalifornien – die Gitarristen Harrison, Dylan, Roy Orbison, Tom Petty und Jeff Lynn. Sie haben großen Spaß, miteinander Musik zu machen. Das merkt man dem Song ‚End of the Line‘ auch an. Er kommt ganz lässig rüber.
Super-Group oder Wander-Musikanten
Die Super-Group nennt sich ‚Traveling Wilburys‘. Sie erfinden eine Geschichte zum Band-Namen: Die Traveling Wilburys sind alle Angehörige einer Familie von Wander-Musikanten. Im Musikvideo zum Lied sind sie in einem Güterwaggon unterwegs. Sie tragen Baumwollhemden und große Hüte. Gekleidet wie amerikanische Wanderarbeiter fahren sie durchs Land – auf dem Weg zur Endstation zur ‚End of the Line‘.
Der Ausdruck „End of the line“ hat viele Bedeutungen: Endstation einer Bahnlinie, das Ende einer geschriebenen Zeile, oder auch das abzusehende Ende einer Lebenszeit und der Kraft, die einem noch zur Verfügung steht. Die Musik ist locker, der Text ernsthaft. Gerade so passt es für mich zusammen.
The Traveling Wilburys: End of the Line
Es ist in Ordnung, sich vom Wind treiben zu lassen
Es ist in Ordnung, wenn du das Leben führst, das dir gefällt
Es ist in Ordnung das Beste zu tun das du kannst
Es ist in Ordnung, solange du jemand die Hand reichst
Du kannst rumsitzen und auf einen Anruf warten
Auf jemand warten, der dir alles sagt
Rumsitzen und warten, was morgen kommt
Etwa einen Diamantring?
Die Sänger sind alle in ihrer zweiten Lebenshälfte, haben manche Lebensweisheit gewonnen und blicken auf einiges zurück.
Auch auf ihre Träume: Auf die, die in Erfüllung gegangen sind und auf die geplatzten Träume. Wie geht man mit denen um?
Die Antwort der Traveling Wilburys ist: ‚Well it’s all right‘ - Es ist alles in Ordnung. Wie ein Mantra wird das im Lied wiederholt.
Es ist alles in Ordnung: Sich vom Wind treiben lassen. Leben, wie es einem gefällt. Sein Bestes geben, anderen helfen. Das gehört auch zu meinen Träumen und das gelingt ja auch.
Es ist in Ordnung – auch wenn nicht alles traumhaft ist
Es ist alles in Ordnung – aber nicht alles ist traumhaft. Warten, bis vielleicht endlich mal jemand kommt. Rumsitzen und nicht wissen, was morgen sein wird.
Das kenne ich: ich gerate schnell ins Grübeln, wenn ich ‚Leerlauf‘ habe. Nichts zu tun außer Warten, dann werde ich schnell unzufrieden.
Es ist in Ordnung, sogar wenn die andern sagen du liegst falsch
Es ist in Ordnung – manchmal musst du eben stark sein
Es ist in Ordnung, solange du dich irgendwo hinlegen kannst
Es ist in Ordnung, denn jeder Tag ist der Tag des Gerichts
Es ist in Ordnung, wenn ich gesagt bekomme, dass ich falsch liege. Das höre ich gar nicht gerne. Die Stärke, einen Fehler zuzugeben, habe ich oft nicht. Ich träume davon, immer alles richtig und gut zu machen. Aber natürlich schaffe ich das nicht. Was dann? Mich einfach mal ruhig hinlegen, wie die Wilburys es empfehlen, kann ich meistens nicht.
Was ist, wenn Träume platzen?
Jeden Tag kann, der ‚Judgement Day‘ hereinbrechen, das ‚jüngste Gericht‘ mit der großen Abrechnung,
Das wäre schlimm, wenn Gott mir dann wie ein gnadenloser Richter meine unerfüllten Träume und meine verpassten Chancen vorrechnet. Das wäre ein Albtraum. Das hat mir schon immer Angst gemacht.
Denn manche meiner Träume sind geplatzt: mit der Musikerkarriere hat es nicht geklappt. Die letzten Worte, die mein Vater zu mir gesagt hat, waren: „Jetzt mach‘ auch noch deinen Doktor.“ Das hat mich unter Druck gesetzt. Ich habe darunter gelitten, dass ich ihm diesen Traum nicht erfüllt habe. So oft misslingt, was ich mir erträume. Manchmal bleibt es bei der Sehnsucht, dass meine Träume sich erfüllen. Es ist alles in Ordnung, auch wenn’s nicht immer traumhaft ist. - Das würde ich gern von mir sagen können. Aber es klingt auch ein wenig nach ‚Find‘ dich damit ab‘. Da will ich eigentlich mehr.
Es ist in Ordnung, sogar wenn es hart auf hart kommt
Es ist in Ordnung, wenn du jemand zum Liebhaben hast
Es ist in Ordnung, alles wird schon gut ausgehen
Es ist in Ordnung – wir fahren bis zur Endstation
Es ist in Ordnung, selbst wenn es hart auf hart kommt. Daran habe ich so meine Zweifel. Sicher ist es leichter zu ertragen, wenn jemand da ist, der mich liebhat. So was wünsche ich mir. Schon jetzt und auch auf dem Weg zur Endstation meines Lebens.
Ein besonderer Geist - verpackt in einen Song
Vielleicht war’s bei den Traveling Wilburys so. Ich stelle mir vor, dass bei ihnen ein besonderer Spirit, ein besonderer Geist, geherrscht hat. Manche von ihnen waren mal Konkurrenten. Nicht jeder ist ein Super-Gitarrist. Viele haben Höhen und Tiefen erlebt. Roy Orbison wird kurz nach der Aufnahme versterben. Und dennoch: Es ist alles in Ordnung bei ihnen und mit ihnen, auch wenn’s nicht immer traumhaft ist. Das ist für mich der Spirit dieser Band und dieses Liedes.
Es ist alles in Ordnung, sagt auch Jesus
Genau diesen Spirit finde ich in Worten, die Jesus gesagt hat. Berühmte Worte – die Seligpreisungen. Jesus sagt sie zu Menschen, deren Leben auf den ersten Blick nicht in Ordnung ist. Trotzdem sagt Jesus zu ihnen:
„Selig sind, die Traurigen, sie werden getröstet. Selig sind, die sich nach Frieden sehnen, sie sind Gottes Kinder. Selig sind, die leiden, weil sie für Gerechtigkeit eintreten, ihnen gehört der Himmel.“ (Mt 5,4+9-10)
Große Worte. Und ein großes Versprechen: „Auch wenn dein Leben nicht in Ordnung ist, alles andere als traumhaft, du bist selig“, sagt Jesus. Das bedeutet: „Für Gott ist dein Leben wertvoll. Von Gott wirst du wertgeschätzt – trotz allem: Es ist gut. It’s all right.
Die Seligpreisungen gelten allen
Diese Worte gelten auch mir, und dass, obwohl mein Leben gar nicht so unselig ist, sondern ganz normal. Auch mir tut es gut, wenn ich höre: Es ist alles in Ordnung, auch wenn nicht alles traumhaft ist. Und da geht es um mehr als mich mit dem, was ist, abzufinden. Es bedeutet: Ich kann mit geplatzten Träumen leben. Der Leidensdruck meiner unerfüllten Träume macht mich nicht fertig.
Alles in Ordnung, auch wenn nicht alles traumhaft ist – die Traveling Wilburys singen davon, wie das gelingen kann.
Es ist in Ordnung, selbst wenn du alt und grau bist
Es ist in Ordnung, denn du hast immer noch was zu sagen
Es ist in Ordnung, denk daran zu Leben und Leben zu lassen
Es ist in Ordnung, das Beste was du tun kannst ist Vergeben
Es ist in Ordnung, sich vom Wind treiben zu lassen
Es ist in Ordnung, wenn du das Leben führst, das dir gefällt
Es ist in Ordnung, sogar wenn die Sonne nicht scheint
Es ist in Ordnung - wir fahren bis zur Endstation
Das Beste, was du machen kannst, ist vergeben
„Alles in Ordnung, auch wenn du alt und grau bist“, singen die Traveling Wilburys. Stimmt, das bin ich, aber es fällt mir nicht leicht, das anzunehmen: weniger Kraft, weniger Durchhaltevermögen und weniger Lebenszeit. Aber ich habe immer noch was zu sagen. Mit den die Wilburys singe ich: „Das Beste, was du machen kannst, ist vergeben.“
Da geht’s um Versöhnung. Versöhnung mit mir selbst. Mit meinen Träumen, gerade mit denen, die geplatzt sind, die nicht in Erfüllung gegangen sind. Mir helfen die Worte von Jesus. Der sagt zu den Menschen nicht ‚finde dich damit ab‘ sondern: ‚Ihr seid selig‘ – trotz allem und in allem.
Für mich ist das ein Zuspruch: Gott wendet sich mir zu, auch in der Brüchigkeit meines Lebens Jesus selber setzt das in Wort und Tat um: Im Namen Gottes vergibt er, er heilt, er versöhnt. Daraus kann ich Kraft und Mut schöpfen, mich zu versöhnen – gerade mit meinen unerfüllten und geplatzten Träumen.
Mit Gott singen: It's alright.
Der „Judgement day“, der jüngste Tag, den die Traveling Wilburys besingen – er ist kein Albtraum. Ich glaube fest, Gott rechnet nicht mit mir ab. Gott steht für Versöhnung. Die bietet er mir an. Er wendet sich mir liebevoll zu, und zwar schon jetzt und hier. Das meinen die Seligpreisungen: So, wie ich bin, bin ich für Gott in Ordnung. Mit meinem ganz normalen Leben mit Brüchen und Scheitern, mit nicht eingelösten Träumen und ungestillter Sehnsucht.
Versöhnung mit mir selbst, weil Gott sich mit mir versöhnlich zeigt, dann singe ich gern mit: ‚Well it’s all right‘. Es muss ja nicht erst kurz vor der Endstation sein. Die Versöhnung mit meinem nicht immer traumhaften Leben macht für mich auch den Raum frei für ganz neue Träume: ‚riding along in a breeze‘ – wer weiß, wohin ich mich der Wind treibt: Träumen ist weiter erlaubt. Ganz groß, ganz normal und vielleicht ganz verrückt: alles in Ordnung‚ it’s all right‘.