"Dreamer" von Supertramp
„Du bist ein Träumer.“ Das habe ich häufig von meinen Eltern gehört, als ich ein Teenager war. Und es war nicht freundlich gemeint. Wenn sie Träumer sagten, klang was mit von weltfremd, nicht lebenstauglich. – Spinner.
Wie passen Traum und Leben zusammen?
Wie passen Traum und Leben zusammen? Das beschäftigt mich seitdem. Damals brachte die Popgruppe Supertramp einen Song heraus. Sein Titel lautete: „Dreamer“ - Träumer. Komponiert hatte ihn Roger Hodgson, der Sänger der Gruppe. In seiner Stimme hörte ich auch die sorgenvolle und herablassende Haltung meiner Eltern mit. Dennoch mochte ich den Song, viele andere auch. Der Song war ein Hit und ist es bis heute.
Musik“Dreamer, you know you are a dreamer.” (Träumer, du weißt, dass du ein Träumer bist.)
Träume: Flucht vor der Realität oder Trotz?
„Du bist ein Träumer – nur ein Träumer.“ Der Sänger und meine Eltern sahen Träume wohl als Flucht vor der Realität. Doch ich erlebte sie anders. Sie waren Trotz. Ich trotzte mit ihnen dem Zwang, die Welt hinzunehmen wie sie war. Ich erträumte mir eine andere Welt, wie sie werden könnte. In der viele Menschen aufmerksamer sind – füreinander, für die Natur und für sich selbst.
Im Traum kann man auch Gott begegnen
Ja! Träume können reine Wunschvorstellungen sein. Aber beim Träumen kann auch mehr geschehen. Man kann sogar Gott begegnen. Davon spricht die Bibel. Im Traum überbringt Gott Botschaften, sie verändern das Leben der Träumenden.
Welche Träume haben eine tiefere Bedeutung, welche nicht?
Andere Träume sind jedoch nur eine innere Momentaufnahme. Sie haben keine tiefere Bedeutung. Woran erkenne ich den Unterschied? Der Song der Gruppe Supertramp hält dafür eine spannende Prüffrage bereit: „Can you put your hands in your head“ – also: „Kannst du deine Hände in den Kopf stecken?“ Gemeint ist wohl: Kannst du deine Träume in die Hand nehmen? Sind Sie handfest?
Musik: “Dreamer, you know you are a dreamer. Can you put your hands in your head? Oh no. I said dreamer, you're nothing but a dreamer. Can you put your hands in your head? Oh no, oh no.“ (Träumer, du weißt, dass du ein Träumer bist. Nun, kannst du deine Hände in den Kopf stecken? Oh nein. Ich sagte Träumer, du bist nichts als ein Träumer. Kannst du deine Hände in den Kopf stecken?)
Ein Song wie eine musikalische Herz-Rhythmus Störung
Der Song steckt voller Energie. Ich finde: Musik und Text passen perfekt zusammen. In der Stimme mischen sich Spöttisches und Herausforderndes. Das E-Piano hämmert einen schnellen Sportpuls-Rhythmus und der Bass hält mit seinem stolpernden Rhythmus dagegen. Gewissermaßen eine musikalische Herz-Rhythmus-Störung. Als wolle Supertramp beim behaglichen Tag-Träumen stören. Wie eine Mutter, die ohne anzuklopfen die Tür zu meinem Zimmer aufreißt. Augenblicklich flutet sie den ganzen Raum mit Tatkraft und scheucht mich vom Bett auf: Tu was!
Die Frage nach dem Sinn des Träumens
Doch der oberflächliche Eindruck täuscht. Hört man genauer hin, will Supertramp etwas anderes als mahnende Eltern. Die Popgruppe macht das Träumen nicht schlecht. Sie fragt nach dessen Sinn. In dem Song erkenne ich einen Dialog.
Darin sagt eine Stimme: „Wenn ich nur etwas sehen könnte.“ Die Antwort: „Du kannst alles sehen, was du willst, Junge.“ „Wenn ich doch nur jemand sein könnte.“ Die Antwort: „Du kannst alles sein, was du willst, feiere dich, Junge. Aber kannst du etwas aus dieser Welt machen?“
Musik: “If I could see something. You can see anything you want, boy. If I could be someone. You can be anyone, celebrate, boy. Well, if I can do something. You can do something. If I could do anything. But can you do something out of this world?”
Ein Traum kann eine Inspiration sein
Der Song stellt die Frage: Bist du nur einer, der träumt, statt etwas zu tun? Die Frage fordert eine bestimmte Antwort geradezu heraus: „Nein. Ich lebe meinen Traum.“ Das Träumen wird also gar nicht negativ gesehen. Es kann eine Energiequelle sein - und eine Inspiration. Doch dabei soll es eben nicht bleiben. Der Traum soll in die Tat umgesetzt werden.
Dazu erläutert Roger Hodgson, Komponist und Sänger von Supertramp: „Ich möchte damit den Optimismus, der mich stets antreibt, mit anderen teilen. Der Song lockt den Träumer in jedem hervor. Mich erinnert er daran, den Platz dafür lebendig zu halten.“[1]
Lebe deinen Traum
Träume und lebe deinen Traum. Mit dieser Botschaft kam der Song 1974 heraus. Damit traf er damals das zentrale Thema des Generationenkonflikts. Er ermutigt die Jungen, die bisherigen Konventionen abzulegen: Einfach nicht mehr fragen: Was muss ich tun und wer soll ich sein? Sondern sich klar darüber werden: Was will ich selbst tun, wer will ich sein?
Selbstverwirklichung oder Egoismus?
Das zentrale Stichwort dafür war „Selbstverwirklichung“. Viele Eltern dachten: „Das ist nur ein anderes Wort für Egoismus.“ Die Jungen hatten damit jedoch ihr Sehnsuchtswort gefunden. Es ging ihnen um die Suche nach sich selbst. „Trau dich! Glaub an dich selbst! Lebe deinen Traum!“
Heute finde ich die Botschaft des Songs immer noch richtig. Aber ich höre sie skeptischer als damals. Der Blick für andere kommt mir dabei manchmal zu kurz. Und für das, was einem die Gesellschaft zumuten darf und manchmal auch muss.
Der Traum vom eigenen Ich kann zum Alptraum werden
Noch etwas stimmt mich skeptisch: Der Anspruch, sich selbst zu verwirklichen, kann großen Druck erzeugen. Der Traum vom eigenen Ich kann zum Alptraum werden: eine ständige Suche, die nie zum Ziel kommt, nie genügt. Was dann?
Der Glaube vermittelt Sinn und Würde
An diesem Punkt bin ich froh um meinen Glauben. Der vermittelt mir einen Sinn und eine Würde, auch wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde. Auch dann bleibt eines bestehen: Ich bin ein Geschöpf Gottes. Und damit wertvoll. Das kann einem niemand nehmen. Das klingt schön und fromm - und vielleicht ein bisschen zu glatt.
Sonntags träumen
Deshalb ist es gut, dass ich dazu in dem Song einen Impuls finde, der mich weiterbringt. Darin heißt es: „Nimm dir einen Traum am Sonntag“. Aber dann lege los. Am besten wohl gleich am Montag.
Musik:“Take a dream on a Sunday. Take a life, take a holiday. Take a lie, take a dreamer.” (Nimm einen Traum am Sonntag. Nimm ein Leben, nimm einen Urlaub. Nimm eine Lüge, nimm einen Träumer.)
Auch Gottesdienste halten das Träumen wach
Der Sonntag als Zeit für Träume – das gefällt mir. Ein Tag der Ruhe – gut geeignet als Kraftquelle für die Träume. Dazu tragen die Gottesdienste bei. Auch sie halten das Träumen wach. Gebete, Lieder und Texte – sie erinnern die Gläubigen an die biblischen Hoffnungsbilder. Viele davon sind Träume und Visionen von einer besseren Welt, bis hin zu einem himmlischen und ewigen Reich Gottes. Darin herrscht Frieden. Gewalt und Ungerechtigkeit sind dann vorbei.
"Bist du nur einer, der betet, statt etwas zu tun?"
Das klingt großartig. Und ist es auch - sofern man es sich nicht zu einfach macht – und damit nur auf Gott wartet. Es gilt die Frage aus dem Song von Supertramp: Bist du nur einer, der träumt, statt etwas zu tun? Diese Frage richte ich auch an Gebete: Bist du nur einer, der betet, statt etwas zu tun? Diese Gefahr besteht durchaus. Bei manchen Gebeten denke ich im Stillen: „Darum musst Du Gott eigentlich nicht bitten. Das könntest Du auch selbst tun.“ Dann habe ich den Eindruck: Das Gebet wird benutzt um sich selbst zu entlasten.
Träume kann man nicht immer umsetzen, auch wenn man es unbedingt will
Beten und Träumen statt zu handeln – dagegen powert der Song „Dreamer“ seine Unruhe: „Bleibe nicht passiv, sondern setze deine Gebete und Träume in die Tat um!“ Das klingt schön. Doch dabei kann man schnell an seine Grenzen stoßen. Denn längst nicht immer kann ich es umsetzen – auch wenn ich es wirklich will. Dann bete ich nicht statt zu handeln, sondern ich bete, weil ich es alleine nicht hinbekomme. Meinen Traum vom Frieden für die Kriegsherde in der Welt - den kann ich nicht selbst umsetzen. Und leider wohl auch sonst kein einzelner Mensch. Darum kann ich nur Gott bitten.
Träume und Gebete zeigen wohin ich mich sehne – aber wohin ich oft nicht so einfach kommen kann. Zwischen Traum und Realität klafft meistens eine Lücke. Manchmal sogar eine große. Das ist auch bei mir so. Und es ist bitter.
Träumen und Scheitern – beides gehört zum Leben
Wie kommt man damit zurecht? Mir hilft dabei die Gewissheit: Gottes Liebe gilt - ohne Einschränkung. Bei Gott bin ich nicht verloren, auch wenn ich im Leben an etwas scheitere, zum Beispiel daran, meine Träume zu leben. Träumen und Scheitern – beides gehört zum Leben. In allem, auch im Gelingen, begleitet mich Gott. In diesem Sinne ermutigt mich Supertramp, wenn sie singen: „Träumer! Komm schon, träume und träume weiter.“
Musik:“Dreamer, dream, dream along. C'mon and dream and dream along.” (Träumer, träume, träume weiter. Komm schon und träum und träum weiter.)
[1]"Roger Hodgson Opens the Door to the World". Retrieved 16 November 2017.