Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Bei Gott bist du 1+
GettyImages/StockPlanets

Bei Gott bist du 1+

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
Beitrag anhören:

Am Freitag beginnen die großen Ferien. Endlich. Sechs lange Wochen ohne Schule. Ausschlafen. Abends lange aufbleiben. Freibad. Faulenzen. In den Urlaub fahren. Freundinnen und Freunde treffen. Die schönste Zeit des Jahres. Viele Kinder können es kaum erwarten.

Manche haben aber auch Bauchweh. Denn vorher, am letzten Schultag, gibt es Zeugnisse. Überrascht werden die Kinder und Jugendlichen in der Regel nicht. Sie bekommen ihre Zensuren schon Wochen vorher mitgeteilt. Und trotzdem ist es ein aufregender Tag. Denn es ist ein Unterschied, mit einer Fünf in Mathe zu rechnen oder sie schwarz auf weiß vor sich zu sehen.

Gemischte Gefühle bei der Zeugnisausgabe

Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit und den Tag der Zeugnisausgabe. Da gab es immer die, die laut gejubelt haben. Das waren die Klassenbesten. Sie zeigten ihr Zeugnis stolz überall herum. Die Lehrer und Lehrerinnen lobten sie. Und dann gab es die, die ganz still waren. Das Zeugnis entsprach nicht den Erwartungen. Nicht ihren eigen, nicht denen der Lehrer und Eltern. Im schlimmsten Fall stand dort ungenügend oder mangelhaft. Meistens verschwanden diese Zeugnisse dann möglichst schnell im Schulranzen.

In meiner Schullaufbahn gehörte ich mal zu den einen und mal zu den anderen. War mein Zeugnis gut, fühlte ich mich auch gut. War es eher schlecht, war ich bedrückt und zweifelte. Nicht nur an meinem Können, auch an mir. Ich beobachte: Es ist auch heute noch so. Viele Kinder machen sich und ihr Selbstbild davon abhängig, welche Noten auf ihrem Zeugnis stehen. Das prägt sie für ihr ganzes Leben. Im Guten wie im Schlechten.

Noten helfen, aber sie sind nicht alles

Ich bin nicht dafür, Noten abzuschaffen. Nein. Ich finde, Noten sind hilfreich. Die Kinder und Jugendlichen lernen durch Noten, ihre eigenen Stärken und Schwächen einzuschätzen. Sie bekommen ein Gefühl dafür, welche Lerninhalte sie können und wo sie noch arbeiten müssen. Noten motivieren auch. Für Lehrer sind Noten ein Feedback. Sie zeigen ihnen, wie gut ihre Schüler den Unterrichtsstoff verstanden haben. Und mir als Mutter zeigen sie, wo mein Kind vielleicht Unterstützung braucht.

Aber Noten sind nicht alles. Sie sind eine Momentaufnahme. Und können im nächsten Jahr schon wieder ganz anders aussehen. Sie sagen nichts über den Wert und die Würde eines Menschen. Das klingt so selbstverständlich. Und doch, finde ich, kann man es nicht oft genug betonen. Mit dieser Meinung bin ich nicht allein. Andere sagen das auch. Kinder und Jugendliche sollen wissen: „Du bist wertvoll. Mit genau dem Zeugnis, das du heute in der Hand hast. Genauso wie du bist.“

Du bist 1+ - eine Segensaktion

„Du bist wertvoll. Mit genau diesem Zeugnis. Genauso wie du bist. Bei Gott bist du 1+.“ Das werden Kinder und Jugendliche am kommenden Freitag an vielen Schulen in Frankfurt und Offenbach hören.

 „Bei Gott bist du 1+“. Das ist eine Aktion von Pfarrerinnen und Pfarrern in Frankfurt und Offenbach. Am Freitag werden sie auf dem ein oder anderen Schulhof stehen. So zum Beispiel in der Franckeschule. Eine Grundschule bei mir im Viertel. Dorthin gehen Pfarrer Rüdiger Kohl und Pfarrerin Charlotte Eisenberg. Ich habe mich bei ihnen erkundigt, was sie planen und wie die Aktion ablaufen wird.

Pfarrerin Eisenberg erzählt: „Nach der dritten Schulstunde sind wir vor Ort. Wenn die Kinder mit ihren Zeugnissen aus der Klasse kommen, warten wir schon auf sie. Wir haben einen großen Spiegel dabei. Auf dem steht der Satz „Bei Gott bist du 1+“. Wenn die Kinder da reinschauen, sehen sie sich selbst und diesen Satz. Das ist wie ein Segen. Das sagen wir ihnen auch. Die Kinder sollen sehen und hören: Gott findet dich toll. Und liebt dich genauso, wie du bist. Du bist wertvoll und wunderbar - immer. Egal, was auf deinem Zeugnis steht. Das gilt für alle. Für die Schüler mit den guten Leistungen und für die mit den schlechten.“

1+ - das gilt auch für Erwachsene

Mir gefällt diese Aktion. Ich stelle mir vor, dass an dem Tag nicht nur die Kinder neugierig in den Spiegel gucken. Viele Eltern oder Großeltern holen ihre Kinder ab. Ein Blick in den Spiegel könnte auch für sie schön sein. Denn so ein Tag weckt Erinnerungen an die eigene Schulzeit. Und nicht nur gute. Viele Menschen erzählen davon, dass sie auch Jahre später noch von Zeugnissen und Prüfungsangst heimgesucht werden. Oder davon träumen, wieder an der Tafel zu stehen. Im Sport als Letzte gewählt zu werden. Für viele war und ist das beschämend. Das vergisst man nicht. Ich weiß, wovon ich rede.

Pfarrer Rüdiger Kohl ist wichtig, neben den Kindern und Eltern auch die Lehrkräfte nicht zu vergessen. Er sagt: „Ich unterrichte ja selber. Religion. Und ich sehe es bei mir und bei den anderen Lehrern. Wir machen uns das mit den Noten nicht einfach. Aber sie gehören dazu, sind Teil des Systems. Lehrer sein, ist nicht immer eine dankbare Rolle. „Bei Gott bist du 1+“ – das gilt auch für uns. Die Lehrer und Lehrerinnen. Und bedeutet: Gott sieht uns. Unser Einfühlungsvermögen. Unser Engagement. Unser Tun. Unsere Liebe zu unserem Beruf. Die Verantwortung, die wir haben. Lehrer sein, ist viel mehr als Noten geben. Wenn das gesehen wird, tut es gut. Und entlastet.“

Am Freitag kann jedes Kind und jeder Erwachsene zusätzlich noch eine kleine Spiegelpostkarte mit in die Ferien nehmen. Auch da wird draufstehen: „Bei Gott bist du 1+“. Passend zur Zeugnisausgabe ist die Karte zum Verschenken und Weitergeben. An andere. Denn auch das bedeutet das Wort „Zeugnis“.

Ein Zeugnis für das Gute im Leben

Das Wort Zeugnis hat mehr als eine Bedeutung. Es ist nicht nur ein Leistungsnachweis, den ich am Ende des Schuljahres ausgehändigt bekomme – mit Noten für Mathe, Erdkunde und Sport. Man kann auch ein Zeugnis ablegen, ein Zeugnis geben. Das heißt: ich bezeuge vor anderen, was ich Gutes erfahren habe. Was mir wichtig ist. Ich erzähle davon, weil ich überzeugt bin, dass es mir und anderen guttut und im Leben hilft.

Für mich ist das mein Glaube. Davon erzähle ich gerne. Nicht nur im Radio, sondern auch in ganz alltäglichen Gesprächen – beim Friseur oder auf einer Party. Das ist ganz im Sinne von Jesus. Als Jesus klar war, dass seine Zeit auf der Welt zu Ende geht, hat er seinen Freundinnen und Freunden eine letzte Aufgabe gegeben. Diese Aufgabe gilt bis heute. Für alle Christen. Jesus hat gesagt: „Ihr sollt meine Zeugen sein. Erzählt von mir. Davon, was wir erlebt haben. Was ich euch beigebracht habe. Bezeugt das. Auch mit dem, was ihr tut: Geht gut miteinander um. Schätzt euch und alle Menschen wert. Achtet niemanden gering. Helft einander. Erzählt von Gottes Liebe zu den Menschen. Gebt es weiter bei euch vor Ort und in der ganzen Welt.“ (vgl. Apg. 1,8)

Auch Zeugnis geben muss man lernen

Liebe spüren. Sich gesehen fühlen und wertgeschätzt – so wie man ist. Erleben, wie gut das tut. Und es dann weitergeben. Zuhause. In der Schule. Am Arbeitsplatz. Überall. Das wünsche ich mir für die Kinder, ihre Familien und für die Lehrer – nicht nur der Franckeschule. Dass sie am Freitag etwas mitnehmen, das über Noten und Leistung hinausgeht. Etwas, was sie trägt im Leben. Auch wenn es mal schwierig wird. Und dass sie davon erzählen und es so an andere weitergeben.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Das ist gar nicht so einfach. Die richtigen Worte finden. Auch das muss man lernen. Und üben.

Aber: manchmal geht es auch ohne Worte. Dann reicht eine Geste oder eben eine Postkarte, in der ich mich spiegeln kann. Die ich an eine andere Person verschenke. Und auf der steht: Bei Gott bist du 1+.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren