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Reparieren macht glücklich
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Reparieren macht glücklich

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Eigentlich wollte ich heute Kuchen backen. Aber: mein Handrührgerät ist defekt. Das Kabel ist kaputt. Genauer gesagt der Kabelmantel. An der Stelle, an der er in das Gerät hineinführt. Das ist eine klassische Sollbruchstelle. Kommt davon, dass ich das Kabel immer um das Gerät wickle und dabei abknicke.

Selbst reparieren oder an den Hersteller wenden?

Was jetzt? Ich könnte mit Isolierband die Stelle flicken. Das würde fürs Erste halten – frei nach dem Motto „Pfusch und Fummel“. Aber irgendwie nicht ganz geheuer. Einen Stromschlag möchte ich nicht riskieren. Das Gerät ist ansonsten völlig intakt und tut, was es soll. Es rührt und knetet. In Ordnung gebracht werden muss nur das Kabel. Ich könnte mich an den Hersteller wenden.

Lohnt sich das überhaupt?

Ob sich das lohnt? Ich habe Zweifel. Das Rührgerät ist bestimmt 15 Jahre alt. Meine Erfahrung sagt: Es ist unkomplizierter und billiger, ein neues Gerät zu kaufen, als das Alte vom Hersteller reparieren zu lassen. Vom Umstand des Hin- und Herschickens mal ganz abgesehen.

Das Recht auf Reparatur

Ressourcenschonend und umweltfreundlich ist das nicht. Das sieht – Gott sei Dank - auch die Europäische Union so und hat dieses Frühjahr das „Recht auf Reparatur“ beschlossen. Zukünftig müssen Gerätehersteller Ersatzteile dahaben und defekte Geräte reparieren. Auch dann, wenn die Garantie- und Gewährleistungszeit abgelaufen ist. Und zwar zu einem fairen Preis. Das finde ich gut. Leider gilt dieses „Recht auf Reparatur“ wahrscheinlich erst ab dem Jahr 2026. Solange will ich mit dem Kuchenbacken nicht warten.

Die Initiative "Repaircafé"

Ich recherchiere im Internet, welche Möglichkeiten ich noch habe. Und stoße fast sofort auf eine Initiative mit dem Namen Repaircafé. Dabei handelt es sich um ein Veranstaltungsformat, bei dem defekte Alltagsgegenstände in angenehmer Atmosphäre gemeinschaftlich repariert werden. Ich stelle fest: Fast in jeder Stadt und auch in vielen Kirchengemeinden gibt es das. Zum Beispiel in der evangelischen Michaelsgemeinde in Darmstadt.

Musik

Ehrenamtliche reparieren kleine Elektrogeräte, Fahrräder und Kleidung

In der evangelischen Michaelsgemeinde in Darmstadt gibt es ein Repaircafé. Manfred Werner ist dort Pfarrer. Ich frage ihn, was ein Repaircafé ist und wie es funktioniert. Er sagt: „Dieses Angebot gibt es schon seit vielen Jahren. Hier im Café sind lauter Ehrenamtliche, die Reparaturangebote machen. In der Regel für alle Elektrogeräte, die tragbar sind. Vom Toaster über das Radio bis zur Nachtischlampe. Dazu kommt Kleidung. Defekte Reißverschlüsse werden ausgewechselt und Löcher oder Risse können gestopft werden. Wer ein kaputtes Fahrrad hat, findet ebenfalls Hilfe.“

Essen und Reparatur

Ich erfahre: Parallel dazu gibt es eine Gruppe, die kocht und für Kuchen und Getränke sorgt. Die Lebensmittel werden gespendet und stammen aus dem Viertel. Fast alle Geschäfte aus der Nachbarschaft sind dabei - vom Discounter bis zum Feinkostladen. Es sind sogenannte gerettete Lebensmittel, die sonst weggeworfen werden. Im Repaircafé werden sie zur Suppe oder zum Smoothie. Alles ist kostenlos. Das Essen und die Reparatur.

Müll vermeiden, Ressoursen und Geld sparen

„Und wer kommt da so?“ will ich von Manfred Werner wissen. „Ganz unterschiedliche Menschen“, antwortet er. „Es kommen viele ältere Leute, die nicht so viel Geld haben und sich neue Sachen oder ein warmes Essen nicht leisten können. Und es kommen die, die sich neue Sachen nicht leisten wollen. Für sie geht es darum, Müll zu vermeiden, Ressourcen zu sparen, die Umwelt zu schonen. Sie wollen verantwortungsbewusst und nachhaltig leben. Und dann sind da noch die Kinder. Die haben einfach Spaß beim Zugucken, lernen ganz nebenbei, wie man einen Lötkolben benutzt und schauen den Ehrenamtlichen neugierig über die Schulter.“

Das Kabelproblem kann schnell behoben werden

Einer dieser Ehrenamtlichen ist Ralph. Er ist 53 Jahre alt und organisiert das Repaircafé. Schrauben und Reparieren hat er schon als Kind gern gemacht. Ralph ist gelernter Elektroingenieur und damit ein Experte für Haushaltsgeräte. Von ihm erfahre ich, dass mein Kabelproblem ein echter Klassiker ist und schnell behoben werden kann. Warum er sich hier in seiner Freizeit engagiert? Er sagt: „Ich möchte, dass Geräte möglichst lange genutzt werden. Gerade wenn es sich bei dem Defekt nur um eine Kleinigkeit handelt. Es ist schön, wenn ich andere eine Freude machen kann und ihr „Schätzchen“ wieder in Gang bringe.“

Musik

Das Repaircafé ist gut besucht

Es ist schön, wenn ich anderen eine Freude machen kann. Für Ralph und Pfarrer Werner ist das Repaircafé eine echte Herzenssache. Und das kommt gut an bei den Leuten. In der Michaelsgemeinde ist das Café eines der am meisten besuchten Angebote. Bis zu 100 Personen kommen an so einem Nachmittag vorbei. Zum Reparieren, zum Essen oder einfach nur zum Quatschen.

Kirche im besten Sinne

„Es ist Kirche im besten Sinne.“, erklärt Pfarrer Werner. „Mit diesem Angebot sind wir ganz nah bei den Leuten aus der Nachbarschaft. Ich sitze dann mittendrin. Zwischen all den Menschen. Habe Zeit und höre mir an, was sie beschäftigt. Führe sozusagen Seelsorgegespräche. Wir essen, reden und trinken. Es ist eine Tischgemeinschaft, die hier entsteht. Für mich eine alltagsnahe Form von Abendmahl“. Also von dem Essen, dass an Jesus erinnert. Daran, wie er Brot und Wein und Zeit geteilt hat.

Reparare - das heißt "etwas widerherstellen" aber auch "erfrischen" oder "stärken"

Ich glaube, im Repaircafé in der Michaelsgemeinde passiert mehr als Reißverschlüsse oder Toaster reparieren. Das passt zum Wort „reparieren“. Es kommt vom lateinischen „reparare“. Das heißt etwas „wiederherstellen“. Also in den Ausgangszustand zurückversetzten. Doch „reparare“ kann man auch übersetzen mit „erfrischen“ oder „stärken“.

Es begegnen sich Menschen, die sonst selten zusammenkommen

Beides geschieht im Repaircafé, Gegenstände wieder herrichten, aber auch menschlich etwas heil machen. Hier begegnen sich Menschen, die sonst selten zusammenkommen. Aus der Gemeinde und dem Stadtteil. Aus allen Generationen und Milieus. Einheimische und Zugezogene. Es sind Menschen, die etwas brauchen, und Menschen, die etwas abgeben können. An Wissen, an Zeit und Zuwendung. Sie sorgen füreinander und für die Welt. Sie stellen Dinge und Beziehungen wieder her. Sie stärken und erfrischen sich an Leib und Seele. Nicht mit spektakulären Aktionen, sondern ganz selbstverständlich und regelmäßig im Kleinen. Reparieren bringt Freude und macht glücklich.

Gott hat ein Auge für das, was reparaturbedürftig ist

Das was da in der Michaelsgemeinde geschieht, ist für mich Glaube, im Alltag gelebt. Nah dran an dem, was ich in der Bibel über Gott lesen kann. Dort steht nämlich: „Das geknickte Rohr wird Gott nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht löschen.“ (Jesaja 42,3) Ich verstehe das so: Gott hat ein Auge für das, was reparaturbedürftig ist. Er schätzt es wert und sieht auch für das Geknickte eine Zukunft.

Menschen mit einem Knick im Leben, gehören schnell zum alten Eisen

Mir macht das Hoffnung. Denn ich, wir alle, leben in einer Gesellschaft, in der es gang und gäbe ist, Beschädigtes auszurangieren. Und das betrifft nicht nur Haushaltsgeräte. Auch Menschen. Mit einem Knick im Leben gehöre ich schnell zum alten Eisen. Schilfrohre gibt es viele. Knicke und Brüche lassen sich nicht vermeiden.

Das kriegen wir wieder hin

Gott schaut auf diese Stellen, an denen das Leben einen Bruch bekommen hat. Die Botschaft ist nicht: Da ist nichts mehr zu machen. Sondern: Das kriegen wir wieder hin. Mit Gottes Hilfe. Das können wir instand setzen. Stärken. Erfrischen. Für mich ist das ein echter Zuspruch. Denn ich finde, es gibt viel in unserem Leben und unserer Gesellschaft, das reparaturbedürftig ist. Nicht nur Elektrisches.

Das nächste Repaircafé in der Michaelsgemeinde ist in einer Woche. Wenn ich Zeit habe, schnappe ich mir „mein Schätzchen“, das kaputte Rührgerät, und bringe es zu Ralph. Damit ich wieder Kuchen backen kann.

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