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Ein Hoch auf die Demokratie!
Bild: Pixabay

Ein Hoch auf die Demokratie!

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Mein Sonntagmorgen in Deutschland: Ich genieße ein friedliches Frühstück mit Kaffee und Müsli, ich konnte in Sicherheit und in einem warmen Bett schlafen. Und ich fühl mich frank und frei, zu denken und zu sagen, was ich möchte. All das ist ja nicht selbstverständlich. In so vielen Ländern dieser Erde könnte ich den Sonntag nicht so beginnen. Ab und zu mache ich mir das klar. Und dann bin ich dankbar und froh – über den Frieden und über die Demokratie in dem Land, in dem ich lebe. Heute morgen möchte ich ein Loblied auf die Demokratie singen. Und mich und alle, die zuhören, dazu motivieren, für diese Demokratie einzustehen, etwas für sie zu tun. 

Gleich drei Anlässe gibt’s für mich ...

Gleich drei Anlässe gibt’s dafür für mich heute: Da ist einmal immer noch das Jubiläum, das wir seit 23. Mai feiern: 75 Jahre Grundgesetz, 75 Jahre, in denen in Deutschland gilt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und vieles mehr, was dort an Wunderbarem geschrieben steht. Und dann gibt’s natürlich auch noch die Wahl, die heute in einer Woche ansteht, am 9. Juni: die Wahl zum Europäischen Parlament. In einigen Bundesländern wird sogar noch mehr gewählt: In Rheinland-Pfalz, im Saarland oder in Sachsen zum Beispiel sind Kommunalwahlen. Der dritte Anlass, heute über die Demokratie zu sprechen, ist ein trauriger: Heute vor fünf Jahren, am 2. Juni 2019, starb Walter Lübcke, der Kasseler Regierungspräsident. Ein Rechtsextremist hatte ihm vor seinem Wohnhaus mit einem Revolver in den Kopf geschossen. Eine furchtbare Tat war das, und ich weiß noch: Ich konnte es damals kaum fassen, dass so etwas bei uns in Deutschland, in Hessen passiert. Politiker werden ermordet, abends auf ihrer Terrasse, weil sie für eine bestimmte Politik stehen, für eine Politik der Menschlichkeit gegenüber Flüchtlingen. 

Leider sind sie gar nicht mehr so selten

Mittlerweile sind Angriffe auf Politikerinnen und Politiker leider gar nicht mehr so überraschend und selten. Anfang Mai wurde Matthias Ecke, der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, in Dresden angegriffen und schwer verletzt. Immer wieder werden Politiker bedroht, manche, gerade auf kommunaler Ebene, werfen deswegen sogar das Handtuch und treten nicht mehr an. Es sind oft Rechtsextreme mit völkisch-nationaler Gesinnung, die Politiker verletzen oder töten, wie damals Walter Lübcke. Und in Frankfurt stehen derzeit so genannte Reichsbürger vor Gericht, die unsere Demokratie mit Waffengewalt stürzen wollten, unter anderem eine ehemalige AFD-Bundestagsabgeordnete. 

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Mich macht das wütend und unruhig – unsere Demokratie ist wirklich bedroht. Wie kann ich mich für sie einsetzen, wie kann ich daran mitwirken, sie zu schützen? Vielleicht, indem ich das, was in unserem Grundgesetz steht, noch stärker wahrnehme, schütze und lebe. Dazu gleich mehr, nach der Musik.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das ist der erste Satz in unserem Grundgesetz. Und es ist ein wirklich großartiger Satz. In ihm steckt schon so viel drin. „Die Würde des Menschen“, das bedeutet: die Würde jedes Menschen. Jeder Mensch auf dieser Erde hat die gleiche Würde. Die gleichen Menschenrechte. Wenn ich mir das klarmache, dann kann ich eben nicht sagen: Es ist mir egal, wie es um die Würde und die Rechte von Minderheiten bestellt ist oder von Menschen anderer Länder oder ethnischer Herkünfte. Alle Menschen, egal, woher sie kommen, was sie glauben, welche sexuelle Orientierung sie haben, alle Menschen haben die gleiche Würde. 

Es wird doch immer wieder in Frage gestellt

Ich kann das auch aus religiöser Überzeugung sofort unterschreiben. Und auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben ja in der Präambel geschrieben: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Es ging auch um die Verantwortung vor Gott. Und Gott, davon bin ich überzeugt, hat alle Menschen mit gleicher Würde geschaffen. Jede und jeder Einzelne von uns ist von Gott mit Würde und Rechten ausgestattet. Das hört sich einerseits so selbstverständlich an, aber es wird andererseits eben doch immer wieder in Frage gestellt und angetastet. 

Es war heute vor fünf Jahren

Wenn ich von der Würde jedes Menschen ausgehe, dann kann ich zum Beispiel nicht sagen: Menschen auf der Flucht sind mir egal. Sollen sie doch in ihren Ländern im Gefängnis landen oder verhungern oder auf dem Meer ertrinken. Das geht nicht, wenn ich unserem Grundgesetz folge oder wenn ich an einen Schöpfergott glaube. Im Grundgesetz heißt es auch: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“.

Auch der Kasseler Regierungspräsident Walther Lübcke hat als Politiker und als Christ an diesem Grundgesetz festgehalten. Er hat sich für Flüchtlinge eingesetzt, und deswegen ist er zur Zielscheibe für Rechtsextreme geworden. Sie haben ihn auf einer Versammlung damals und im Internet mit Hasstiraden überzogen, aus denen irgendwann Schüsse aus einem Revolver wurden, die ihn getötet haben, heute vor fünf Jahren. 

Ich gebe Ihnen ein Like

Aus Hass und Hetze werden Taten, das passiert immer wieder. Und deswegen ist es wichtig zu widersprechen, wenn Menschenwürde und Menschenrechte angegriffen werden. Schon im Kleinen. Wenn im Internet ausländerfeindliche Sprüche kommen, kann ich denen, die dagegen schreiben, ein Like geben. Für mich fängt schon da, im Kleinen, die Verteidigung des Grundgesetzes an. Und sie geht natürlich weiter, wo ich etwa mein Recht auf freie Wahl wahrnehme. 

"Unser Grundgesetz hat Jubiläum"

In einer Woche ist Europawahl, in etlichen Bundesländern zusätzlich: Kommunalwahl. Und ich gebe zu: Ich werde mein Kreuzchen diesmal mit etwas Feierlichkeit setzen. Unser Grundgesetz hat Jubiläum, 75 Jahre sind seit Inkrafttreten 1949 vergangen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht darin, und auch: Die Abgeordneten des Bundestags werden in „freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“ – für das Europaparlament gilt das gleiche. Demokratische Wahlen, die ihren Namen wirklich verdienen, gibt es in gar nicht so vielen Ländern dieser Erde.

Glaube hat Konsequenzen

Ich bin dankbar, dass ich „frei und geheim“ Abgeordnete wählen kann, die meine politischen Überzeugungen in die Parlamente einbringen. Und es ist mir eine Ehre und Pflicht. Ich hab mich informiert, welche Partei für was steht: nicht alle Parteiprogramme von vorne bis hinten gelesen, aber doch das Wichtigste. Und den Wahlomat gemacht. In ein paar Minuten bekommt man dort eine Vorstellung, welche Parteien zu einem passen. So kann ich informiert und guten Gewissens mein Kreuzchen machen nächste Woche. 

Auch das hat mit meinem Glauben an Gott zu tun. Manche sagen ja: Der Glaube soll sich aus Politik und Gesellschaft heraushalten, er ist Privatsache. Das meinen übrigens vor allem oft diejenigen, denen die politischen Ansichten nicht gefallen, die aus christlichem Glauben heraus entwickelt werden. Aber es ist doch klar: Glaube hat Konsequenzen. Er muss sich zeigen in dem, wie ich mich in der Welt bewege und wie ich mit Menschen umgehe. 

Sie haben sich deutlich zur Europawahl geäußert

Die katholischen Bischöfe haben sich deswegen diesmal ziemlich deutlich zur Europawahl geäußert. Auch sie berufen sich dabei – neben der Bibel – auf unser Grundgesetz. Sie schreiben: „Ohne ein umfassendes Verständnis der Menschenwürde gibt es kein freiheitliches und gerechtes Zusammenleben. Die Menschenwürde ist der Glutkern des christlichen Menschenbildes und der Anker unserer Verfassungsordnung.“ Aufgrund dieses Menschenbildes, so die Bischöfe, ist ein völkisch-nationales Denken abzulehnen. Die Bischöfe schreiben „mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“ 

Das sind ungewöhnlich deutliche Worte

Das sind ungewöhnlich deutliche Worte, aber ich bin dankbar dafür. Ich hoffe wirklich von Herzen, dass nächste Woche Parteien ins Europaparlament und in die kommunalen Vertretungen gewählt werden, für die kompromisslos gilt: Die Würde jedes Menschen ist unantastbar. 

Linktipps:

https://www.gesetze-im-internet.de/gg/GG.pdf
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2024/2024-023a-Anlage1-Pressebericht-Erklaerung-der-deutschen-Bischoefe.pdf

 

 

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