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Ausflug in Vergangenheit und Gegenwart
Bild: Pixabay / Noir

Ausflug in Vergangenheit und Gegenwart

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Die Namen auf den Grabsteinen machen mich stutzig. Es sind Namen aus meiner Verwandtschaft. Ich stehe auf einem Kirchhof im Hessenpark in Neu-Anspach. Hier hätte ich nicht mit ihnen gerechnet. 

Eine Hinweistafel klärt mich auf. Die Grabsteine stammen vom Friedhof auf dem Christenberg bei Münchhausen im Burgwald. Da wurden früher Mitglieder meiner Familie beerdigt. 

Persönlicher Bezug zum Hessenpark

Spätestens jetzt bekommt der Ausflug in den Hessenpark für mich einen persönlichen Bezug. 

Der Hessenpark soll das dörfliche Leben vergangener Zeiten in Hessen zeigen und lebendig vermitteln. Ich erkunde wieder aufgebaute Fachwerkhäuser. ‚Das hatten wir doch auch‘, fällt mir bei manchen Einrichtungsgegenständen ein: die Schüsseln in der Küche, die Kaffeemühle, der Kanonenofen. Einige Hausgegenstände benutzen wir sogar heute noch.

Die gute alte Zeit

Und dann die Schreinerwerkstatt: Genau wie bei uns zu Hause – Schraubzwingen, Leimtopf, Stemmeisen. Die Hobelbank meines Urgroßvaters habe ich inzwischen zu meinem Schreibtisch umgebaut – wo er gehobelt hat, schreibe ich heute meine Sonntagsgedanken. 

So ein Besuch weckt Erinnerungen und ruft Erzählungen der Großelterngeneration auf: von einer Vergangenheit, die manche die ‚gute alte Zeit‘ nennen. 

Nicht alles war früher gut

Aber bei meinem Ausflug erkenne ich auch: so gut war sie nicht, die alte Zeit. Meine Großmutter sah zwar sehr schmuck aus in ihrer Sonntags-Tracht, aber sie musste schon als junge Frau als Dienstmagd bei ‚besseren Herrschaften‘ in Stellung gehen. Damals wurden Standesunterschiede deutlich ausgelebt.

Leben auf dem Land war hart und arbeitsreich, die medizinische Versorgung war dürftig. Die Angaben auf den Grabsteinen zeigen dies. Die Menschen wurden höchstens 60 Jahre alt. Heute wären das ‚best Ager‘.

Im nachgebauten Schulraum liegt der Rohrstock auf dem Lehrerpult – Hinweis auf die rigiden Erziehungsmethoden bis in die sechziger Jahre. Da bin ich froh, dass die vermeintlich gute alte Zeit vorbei ist. 

Entschleunigung und Nachhaltigkeit waren Gegebenheiten

Und doch: Entschleunigung und Nachhaltigkeit waren keine Ziele, die man sich setzte, sondern Gegebenheiten: Die Menschen versorgen sich weitestgehend selbst, dafür hatten sie einen Garten. Fast ausschließlich regionale Produkte kamen auf den Tisch, das Kochen richtete sich nach den Jahreszeiten. Es wurde repariert statt weggeworfen. Von den Schlachttieren wurde so gut wie alles verwertet. So zeigen es die Ausstellungen. 

Was gilt es zu bewahren?

Ich überlege: ‚Was war wirklich gut und ist wert zu bewahren? Was kann ich für mich heute ‚beerben‘?‘

Was ist noch heute für mich gut? Was gilt es zu bewahren und was nicht?

Schon eine Frage der frühen Christenheit

Das ist keine neue Frage. Das fragten sich schon Christinnen und Christen der ersten Gemeinden. Paulus, der Apostel, gibt in der Bibel in einem seiner Briefe an die Gemeinde in der griechische Stadt Thessaloniki einen Rat. Er schreibt: ‚Prüft alles und das Gute behaltet.‘ (1.Thess 5,21)

Alles prüfen, das Gute behalten

Alles prüfen und das Gute behalten. Eine gute Idee. Das verschafft mir einen ganz eigenen Blick bei meinem Ausflug in die Vergangenheit. 

Die Formulierung von Paulus ist wichtig: Er schreibt ‚Prüft‘ –  das ist eine Aufforderung im Plural. Prüfen geht nicht alleine, man braucht dazu viele. Unterschiedliche Blickwinkel, Erfahrungen und Meinungen. Wie in einem Freundeskreis, einer Versammlung oder einem Gremium.

Alles steht auf dem Prüfstand

‚Alles‘ soll geprüft werden. Alles steht auf dem Prüfstand. Tradition und Entwicklungen in der Gesellschaft. Urteile über Menschen und Lebenseinstellungen und die entsprechenden Verhaltensweisen ihnen gegenüber.

Das ‚Gute‘ soll behalten werden – das, was sich bewährt hat und weiter trägt und Zukunft hat. 

Zwei Synagogen im Hessenpark - „Meidet das Böse“

Paulus gibt dazu noch einen deutlichen Hinweis: ‚Meidet das Böse in jeder Gestalt.‘

Auf meinem Weg durch den Hessenpark liegen zwei Synagogen. Die eine stammt aus Nentershausen bei Hersfeld. Wie so viele Synagogen sollte auch diese während der Novemberpogrome 1938 von den Nazis zerstört werden. Die Inneneinrichtung wurde zerschlagen, aber es gelang nicht, den Hauptstützbalken abzusägen – die Säge blieb stecken und ist zerbrochen. So ist es noch heute in der wieder aufgebauten Synagoge zu sehen.  

Die Synagoge steht für eine schreckliche Epoche vor noch nicht allzu alter Zeit. Sie erinnert daran, wie wichtig es ist, alles zu prüfen und das Gute zu behalten, das Böse in jeder Gestalt zu meiden.

Rassistische Gedanken auch heute

Nach der kurzen Zeit der Weimarer Republik ist in Deutschland 1933 das Böse an die Macht gekommen. Weil viele – auch in der Kirche – nicht erkannten, nicht wirklich prüften, was da verbreitet wurde: Hass und Menschenfeindlichkeit. 

Auch heute sind wieder Menschen jüdischen Glaubens Anfeindungen ausgesetzt. Rassistische Gedanken werden wieder ‚gesellschaftsfähig‘. Populismus hat Einzug gehalten ins politische Tagesgeschäft.

Es gilt die Demokratie wahren

Da gilt es, das zu verteidigen, was in unserem Land nach schlimmer Vergangenheit erreicht wurde: Die Demokratie. Eine Gesellschaft, in der Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit die höchsten Werte bilden. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz und auch evangelische Kirchenleitungen haben sich deutlich gegen die Wahl rechtsextremer Parteien ausgesprochen. Wie Paulus sagt: ‚Meidet das Böse in jeder Gestalt.‘

In allen Bereichen gilt: Alles prüfen und das Gute behalten 

Alles prüfen und das Gute behalten – das gilt auf jeder Ebene, im Staat, in den Kommunen, Gemeinden und für mich persönlich. 

Der Ausflug in die Vergangenheit ist für mich Beides: Er erinnert mich an das, was gut war und was es zu bewahren gilt – gemeinsames Leben mit allen Generationen und nachhaltiges Leben. Aber genauso: Gut, dass unser tägliches Leben nicht mehr so beschwerlich ist. Und der Hass und die Missachtung der Würde des Menschen dürfen nicht wieder aufleben. 

Es gibt ja auch noch die jüngere Vergangenheit - und der wendet sich der Hessenpark aktuell zu.

Eine Ausstellung aus der jüngeren Vergangenheit 

In diesem Jahr widmet sich der Hessenpark anlässlich seines 50-Jährigen Bestehens den 70gern eine kleine, aber feine Ausstellung. 
Das ist was für mich als Boomer: Ich stehe vor einem orangenen Opel Kadett, dessen Ein-Liter-Motor an die Ölkrise erinnert, an zwangsweise Autofreie Sonntage. Ich schmunzle beim Betrachten eines typischen Jugendzimmers, natürlich in Grün und Orange. Zur Fußball-WM von 1974 liegt sogar das Sammelbilderalbum aus, das ich auch hatte.  

Aktuelle Themen

Aber auch diese Themen werden wieder präsent: Ein Plakat mit der Aufschrift ‚Gastarbeiter sind auch Menschen‘, der Kampf um Rechte für Frauen. Bilder von Hausbestzungen aus Wohnungsmangel und teurer Mieten.

Bei manchen Exponaten denke ich ‚Gut, dass das vorbei ist‘, bei anderen: ‚Da gibt’s noch viel zu tun‘.
Manches ist schöne Erinnerung: Eine Diskothek wurde aufgebaut und man darf einen Song auswählen, der dann gespielt wird. Für mich muss es was von der britischen Band ‚Black Sabbath‘ sein – ich bin ja immer noch ein Rocker.

Was mich mein Ausflug in den Hessenpark lehrt

‚Prüft alles und das Gute behaltet‘ – Aus einem Ausflug in die Vergangenheit werden Gedanken für die Gegenwart und mahnen mich: In Liebe und Respekt voreinander zu leben, für Demokratie einzutreten und Hass in jeder Form die Stirn zu bieten.

Der Besuch im Hessenpark lohnt sich. Und man trifft nicht nur auf dem Kirchhof Erinnerungswertes. 
 

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