
"Selig sind..."
Diesen Sommer habe ich eine Woche Exerzitien gemacht, mir also eine „spirituelle Auszeit“ genommen. Ein biblischer Text, den die Begleiterin dieser Exerzitien uns mitgegeben hat, waren die sogenannten „Seligpreisungen“. Die gehören zu den bekanntesten Worten Jesu. Gleich zwei der Evangelisten, Matthäus und Lukas, haben sie aufgezeichnet, wenn auch etwas unterschiedlich.
Die Seligpreisungen
Ich lese sie mal in der Version von Matthäus vor (Matthäusevangelium 5,3-12a, alte Einheitsübersetzung):
Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden.
Selig, die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Große, heftige herausfordernde Worte
Ich finde, das sind große Worte, heftige, herausfordernde Worte! Worte, hinter denen ich mit meinem „ach so normalen“ Leben, weit zurückbleibe: hinter dem ganzen Text sowieso und eigentlich auch hinter den einzelnen Sätzen. Nein, ich bin nicht selig.
Das Sprechen von Gebeten verändert
Und trotzdem hat uns die Exerzitienbegleiterin geraten: Lest diesen Text, die Seligpreisungen, möglichst täglich - und am besten laut. Und zwar nicht, um sich schlecht und unvollkommen zu fühlen, sondern weil das Sprechen von Gebeten einen verändert. Irgendwann werde ich die Stelle fast auswendig können. In manchen Sprachen heißt „etwas auswendig lernen“ ja, „es mit dem Herzen lernen“, auf Englisch zum Beispiel: „learning by heart“. Und so könnten die Seligpreisungen zu einer Art Begleitmelodie oder innerer Stimme werden.
Hab weniger Angst und steh‘ für deine Überzeugungen ein
Vielleicht sagt mir die: Bei Gott gelten andere Maßstäbe. Es kann sich was ändern. Halte die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden wach! Du musst nicht traurig und resigniert bleiben. Hab weniger Angst, für deine Überzeugungen einzustehen.
Sie öffnen den Blick auf etwas Größeres
Im besten Fall hilft mir diese Stimme also, im Herzen mutiger zu werden - und sie nimmt mir ein wenig die Angst, selbst zu kurz zu kommen. Im besten Fall helfen mir diese Seligpreisungen, die Würde jedes Menschen zu sehen, öffnen sie den Blick auf etwas Größeres, das Jesus Himmelreich nennt.
Für mich heißt das, nicht die Augen zu verschließen
Und was heißt das jetzt konkret? Für mich bedeutet es gerade, mich nicht an den Krieg in der Ukraine, an die Waffenlieferungen und die ganze Kriegslogik zu gewöhnen und die Sehnsucht nach Frieden und nach einer diplomatischen Lösung wach zu halten. Oder nicht die Augen zu verschließen vor der Tatsache, dass es mir, eigentlich unverdient, ziemlich gut geht, während andere arm sind, und das oft unverschuldet. Die Frage ist dann: Wie geht Solidarität, was lässt sich teilen?
Damit mein Blick immer wieder drauf fällt
Ganz ehrlich, ich schaffe es bisher nicht, die Seligpreisungen jeden Tag zu lesen, aber ich werde sie mir ausdrucken und an den Kühlschrank hängen. Da ist die Chance am größten, dass mein Blick immer wieder mal drauf fällt.