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Gescheitert - und trotzdem Grund zum Feiern?
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Gescheitert - und trotzdem Grund zum Feiern?

Andrea Maschke
Ein Beitrag von Andrea Maschke, Katholische Pastoralreferentin in Bad Homburg / Friedrichsdorf
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In meiner Kindheit und Jugend in den 70er und frühen 80er Jahren war der 17. Juni ein arbeits- und schulfreier Feiertag: der Tag der deutschen Einheit. Die deutsche Einheit bedeutete mir damals wenig. Ich war mit zwei deutschen Staaten großgeworden und konnte es mir kaum anders vorstellen.

Den Volksaufstand der DDR vor 70 Jahren niedergeschlagen

Vor genau 70 Jahren, am 17. Juni 1953, wurde der sogenannte Volksaufstand in der DDR niedergeschlagen, ungefähr eine Million Menschen hatte sich damals an den Demonstrationen, Streiks und Versammlungen beteiligt. Sie forderten freie Wahlen, mehr Rechte, eine neue Regierung, mehr Demokratie. Viele sind für ihr mutiges Auftreten inhaftiert und bestraft worden, 55 Menschen mussten ihre Beteiligung an diesem Protest mit dem Leben bezahlen.

Die Bilder der russischen Panzer gingen um die Welt

Die sowjetischen Alliierten haben zusammen mit den Polizeikräften der DDR gewaltsam diese Volkserhebung beendet. Die Bilder der russischen Panzer gingen um die Welt und landeten in den Geschichtsbüchern.

Den Mut der Menschen im Osten bewundert

In Westdeutschland haben viele den Mut bewundert, mit der die Menschen im Osten auf die Straße gegangen sind. Die Regierung der Bundesrepublik erklärte schon wenige Wochen nach dem Aufstand den 17. Juni zum „Tag der Deutschen Einheit“, auch weil sie damit die Sehnsucht nach einem wiedervereinigten Deutschland wachhalten wollte.

70 Jahre lang einen gescheiterten Versuch gefeiert

Genau genommen haben wir hier in Westdeutschland also über viele Jahre einen Versuch von Demokratisierung gefeiert, der erstmal gescheitert ist.

Auch die erste deutsche Nationalversammlung vor 175 Jahren scheiterte

Und da fällt mir auf: Mit der ersten deutschen Nationalversammlung war das so ähnlich. Gerade erst haben wir ja das 175jährige Jubiläum der Paulskirchenversammlung von 1848 gefeiert. Damals kamen gewählte Abgeordnete aus allen deutschen Staaten, Fürstentümern und freien Städten in Frankfurt zusammen.

War alles umsonst?

Doch auch diese erste demokratische Nationalversammlung ging nach gut einem Jahr enttäuscht und resigniert auseinander. Ihre großen Ziele hatte sie nicht erreicht: ein geeintes Deutschland und die Durchsetzung einer Verfassung, die der Bevölkerung mehr Rechte und Mitbestimmung einräumte. Die Versammlung löste sich auf, und erstmal ging es in vielen Staaten sogar autoritärer zu als vorher. Also alles umsonst?

Die Abgeordneten von damals legten den Grundstock der Demokratie

Anscheinend nicht: Stolz haben wir vor wenigen Wochen die Paulskirche als die „Wiege der deutschen Demokratie“ gefeiert. Die Weimarer Republik und später vor allem die junge Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg haben große Teile der damals formulierten Verfassung übernommen. So können wir uns heute in Sachen Demokratie sozusagen als Erbinnen und Erben der Abgeordneten von damals verstehen.

Den zunächst Gescheiterten verdanken wir unser heutiges freies Leben

Das ist doch interessant, oder? Da sind Menschen in ihrem Einsatz und Engagement gescheitert – und doch haben sie uns erst ermöglicht, so zu leben wie wir es heute tun. Wir gehen in ihren Fußstapfen. Danke dafür!

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