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Öffne deine Augen, nicht den Mund
Bild: medio.tv

Öffne deine Augen, nicht den Mund

Dr. Ursel Wicke-Reuter
Ein Beitrag von Dr. Ursel Wicke-Reuter, Evangelische Pfarrerin, Vellmar
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„Wenn du das erste Mal hierherkommst, öffne deine Augen, nicht deinen Mund“. 
Ich bin auf diesen Satz gestoßen, als ich mich auf eine Reise nach Südafrika vorbereitet habe. 

„Wenn du hierherkommst, öffne deine Augen, nicht deinen Mund“.

In Südafrika gibt es viel zu sehen

In Südafrika gibt es viel zu sehen. Papageienblumen in leuchtendem Orange, ein intensives Abendlicht, Pinguine am Strand. Aber auch schäbige Blechhütten, notdürftig zusammengezimmert. Daneben prächtige Wohnhäuser, die mit Zäunen und Stacheldraht gesichert sind. Ich mache meine Augen weit auf. 

Meinen Mund halten fällt mir schwer

Aber meinen Mund zu halten, das fällt mir schwer. Ich muss mich bremsen, sonst gebe ich zu allem einen Kommentar. Hat unser Taxifahrer wirklich keinen Ersatzreifen dabei? Es kann doch nicht sein, dass wir abends im Dunkeln sitzen, weil der Strom abgeschaltet wird? Und schon bin ich mit meinen Urteilen beschäftigt. Öffne deine Augen, nicht deinen Mund, höre ich es in mir sagen. 

Gute Gespräche in der südafrikanisch-deutschen Gruppe

Ich verbringe die Tage in Südafrika in einer südafrikanisch-deutschen Gruppe. Wir finden erstaunlich schnell zueinander. Die Südafrikaner:innen machen es uns leicht. Sie sind offen und herzlich. Und sie interessieren sich für uns. Außerdem stellen wir fest, dass wir ein paar Lieblingslieder gemeinsam haben. Zwischen uns entsteht eine vertraute Atmosphäre. Wir können über vieles miteinander sprechen. 

Genau hin schauen lohnt sich

Ich erfahre, wie sehr die Folgen der Apartheid noch immer das tägliche Leben belasten. Auf der anderen Seite sind meine südafrikanischen Freunde stolz auf ihre Verfassung, zu Recht. Sie ist eine der modernsten Verfassungen weltweit - und sie gibt Hoffnung auf Veränderung zum Guten. Nach ein paar Tagen können wir auch darüber reden, was uns komisch vorkommt Die Südafrikaner:innen lachen über unsere durchgetakteten Zeitpläne – und versorgen uns mit Getränken, wenn wir in der Hitze mal wieder auf den Busfahrer warten. 

Im Laufe unserer gemeinsamen Zeit helfen mir die Südafrikaner:innen genauer hinzuschauen. Ich merke: Vieles verstehe ich einfach nicht, denn ich habe längst nicht genug gesehen. Sehr langsam lerne ich, erstmal meinen Mund zu halten. 

„Öffne deine Augen, nicht deinen Mund“

Ob ich diese Erfahrung mit nach Deutschland nehmen kann? Auch hier wundere ich mich über so manches und manche Menschen. Und auch hier habe ich schnell eine Meinung dazu. „Öffne deine Augen, nicht deinen Mund“. Ich schreibe diesen Satz auf ein großes Blatt Papier und hänge es an meine Pinwand. Damit ich immer mal wieder daran denke!
 

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