Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Tagebuch-Archiv
Bild: pexels / Tima Miroshnichenko

Tagebuch-Archiv

Dr. Ursel Wicke-Reuter
Ein Beitrag von Dr. Ursel Wicke-Reuter, Evangelische Pfarrerin, Vellmar
Beitrag anhören:

Carla B., 90 Jahre, schreibt am 22.August 1999 in ihr Tagebuch: Passverlängerung beantragt. Eine grau verschleierte Sonne und nur noch lauwarm. Nachts schon sehr kühl. Meine Tage sind ausgefüllt, womit sie seit je ausgefüllt waren. Mit Büchern, Musik und in die Weite hinausdenken und -träumen.

Das Tagebucharchiv in Emmendingen

Regelmäßig hält Carla B. ihre Eindrücke fest. Sie denkt über ihr Leben nach und ordnet ihre Erfahrungen. Ihr Alterstagebuch ist aufbewahrt im Tagebuch-Archiv in Emmendingen. Mehr als 25.000 Dokumente sind dort gesammelt. Was mir gefällt: Das Tagebuch-Archiv interessiert sich nicht so sehr für die Aufzeichnungen großer und berühmter Persönlichkeiten. 

Tagebücher von Menschen wie du und ich

In Emmendingen zählt das Leben der normalen, durchschnittlichen Menschen. Grundsätzlich kann jede und jeder ein Tagebuch aus privatem Besitz dort einreichen. Oft sind es die Kinder oder Enkelkinder, die die Lebenszeugnisse ihrer Angehörigen dem Tagebuch-Archiv anvertrauen. Die Mitarbeiter lesen die eingereichten Werke sorgfältig. Kopien werden angefertigt und schließlich wird das Tagebuch in anonymer Form für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Original wird sicher aufbewahrt.

Alles, was dort steht, ist für die Schreiber wichtig

Ich blättere durch die Bücher und denke: so viele Geschichten, so viele Schicksale. Ich stoße auf turbulente Lebensläufe. Spannend zu lesen. Daneben finde ich Tagebucheinträge, die gar nichts Weltbewegendes festhalten. Sie erzählen von den Nächten, die kälter werden, von der Begeisterung für Elvis, von einem neuen Mantel aus leichtem Stoff oder dass die Passverlängerung beantragt ist. Normaler Alltag, kaum der Rede wert, könnte man meinen. Aber gerade diese Einträge berühren mich. Denn ich spüre: Alles, was dort steht, ist für die Schreiber wichtig. In diesen Details steckt ihr Leben, ihr ganz eigenes Leben. Und das ist unverwechselbar. Beim Lesen dieser Notizen wird mir bewusst: jede Lebensgeschichte ist einmalig. Und jede trägt in sich selbst ihren Wert. Das hat nichts damit zu tun, ob wir Großes vollbringen. Wir alle erzählen mit unserem Leben eine ganz persönliche Geschichte.

Gott und das Buch des Lebens 

Einen Ausschnitt dieser zahllosen Lebensgeschichten sammelt das Tagebuch-Archiv in schriftlicher Form. Und all die anderen? In mir ruft diese Frage ein Bild auf: Das Bild vom großen Buch des Lebens, das im Himmel geführt wird. Gott selbst schreibt alle Tage eines Menschenlebens darin auf. Für mich ist das ein starkes und tröstliches Bild. So kann ich mir vorstellen, dass mein kleines Leben in der Weite des Universums einen unverwechselbaren Platz einnimmt. Im Buch des Lebens, das im Himmel geführt wird, bin ich mit meiner Lebensgeschichte gut aufgehoben.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren