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Nicht streiten!?
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Nicht streiten!?

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Theologische Referentin des Bischofs von Mainz
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„Nicht streiten!“ – Meine Mutter hat das oft zu meinen Brüdern und mir gesagt. Seit ich selber Kinder habe, höre ich mich auch öfters diesen Satz sagen. Und mache die gleiche Erfahrung wie meine Mutter vor vierzig Jahren. Der Satz ist praktisch wirkungslos. Es geht munter weiter: Meine Tochter und mein Sohn diskutieren darüber, wer die Kekspackung im Wohnzimmer liegen gelassen hat und sie jetzt aufräumen muss. Wer dran ist mit dem Ausräumen der Spülmaschine. Wer wie lange auf dem Trampolin springen darf.

Ich höre mich dann sagen: „Jetzt werft endlich die Kekspackung in den Müll!“, „Einer räumt jetzt die Spülmaschine aus.“, „Geh runter vom Trampolin.“ Und: „Macht es einfach, das sind doch nur Kleinigkeiten. Muss das immer so ein Theater sein?“

Nachlässigkeit...eine mangelnde Wertschätzung

Offenbar ja, es muss so ein Theater sein. Wenn sich mein Ärger über diese Streitereien gelegt hat, frage ich mich: Warum sind diese Dinge so wichtig? Warum führen diese Kleinigkeiten zu diesen Reibereien, lassen die Gefühle hochkochen, auch bei mir? Wahrscheinlich geht es doch um mehr, als es vordergründig aussieht. Da sind die Geschwister, die sich voneinander abgrenzen wollen. Auch in einer Familie muss man sich behaupten, es gibt die Angst, zu kurz zu kommen. Und es soll gerecht zugehen, bei der Verteilung der Aufgaben, beim Spielen. Ich merke: Auf einmal stehen da ganz große Themen im Raum: Identität, Konkurrenz, Gerechtigkeit. Übrigens auch für mich: Die liegengelassene Kekspackung bringt mich auf die Palme. Denn für mich ist diese Nachlässigkeit eine mangelnde Wertschätzung meiner Bemühungen um einen halbwegs zivilisierten Haushalt. 

Diese Alltagsstreitereien haben eine Bedeutung

„Nicht streiten. “ So sehr mich diese Alltagsstreitereien nerven, ich stelle mir die Gegenfrage: Jeden Streit vermeiden – ist das wirklich wünschenswert? Sicherlich, ein Streit kann eskalieren, alles Maß verlieren, und böse Worte, im Zorn gesprochen, können sehr verletzend sein. Aber ich spüre auch: Diese Alltagsstreitereien haben eine Bedeutung, vielleicht sogar einen Wert. Irgendwie kommt in solchen Streitereien etwas auf dem Tisch, was sonst unter der Oberfläche schlummert: Ein Kind fühlt sich zurückgesetzt, die Aufgaben sind vielleicht wirklich ungleich verteilt, ich fühle mich nicht genügend wertgeschätzt.

Danach ein Herz und eine Seele

Und oft mache ich auch die Erfahrung: Nach einem Streit, wenn alle ihrem Ärger Luft gemacht haben und im Idealfall sogar eine Lösung gefunden ist, dann geht es meist besser. „Reibung erzeugt Wärme“, sagt der Psychologe Nassrot Peseschkian und meint damit wohl: Wo Menschen sich aneinander reiben, da kommen sie sich auch näher, da wächst auch das Verständnis füreinander, vertiefen sich Beziehungen.

„Nicht streiten!“ Das wird nicht gehen und vielleicht ist es auch gar nicht wünschenswert. Entscheidend ist vielleicht auch nicht, dass wir uns nicht streiten, entscheidend ist: dass wir uns nach dem Streiten wieder vertragen. Da sind meine Kinder übrigens auch recht gut drin. Immer wieder bin ich beeindruckt, wie schnell sie nach einem Streit wieder ein Herz und eine Seele sind. Da kann ich wirklich etwas von ihnen lernen.

 

 

 

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