Trotzdem: Ich bleibe
Als ich vor kurzem morgens in die Zeitung geschaut habe: Da hat es mir echt mal wieder die Sprache verschlagen. Vorne auf dem Titel: Generalvikar des Bistums Limburg tritt zurück. Er hatte sich bei einem Missbrauchsfall fehlerhaft verhalten und daraus die Konsequenz gezogen. Auf der Seite 3 dann ein ganzseitiger Bericht über einen Fall von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier mit schrecklichen Details. Die Stimmung war da morgens schon wieder runter. Und überhaupt waren die Nachrichten aus der katholischen Kirche in den letzten Wochen furchtbar: ein Missbrauchsbericht nach dem anderen: aus dem Bistum Essen, aus dem Bistum Mainz, aus dem Erzbistum Freiburg. Die katholische Kirche kommt gar nicht mehr raus aus den negativen Schlagzeilen.
Hopfen und Malz verloren
Natürlich: Es ist selbst verschuldet. Jahrzehntelang wurde vertuscht, verheimlicht, verschwiegen. Und es ist gut und wichtig, dass nun alles ans Licht kommt. Vor allem für die Betroffenen, ihre Familien und Freunde. Endlich finden ihre Schicksale Gehör, endlich wird ihnen geglaubt. Wenn auch reichlich spät. Und dass nun die Menschen zu Tausenden die katholische Kirche verlassen: Ich kann es verstehen. Sie vertrauen der Kirche nicht mehr. Es wurde zu viel gelogen. Zuviel war nur Lippenbekenntnis. Zu wenig wurde tatsächlich getan. Zu wenig hat sich tatsächlich geändert. Und auch ich ertappe mich manchmal bei dem Gedanken: Möchte ich wirklich noch öffentlich für diese Institution sprechen? Eine Institution, von der Viele denken: Da ist sowieso Hopfen und Malz verloren. Mitglied bei der Kirche zu sein, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Nein, vielmehr muss ich begründen: Warum bleibe ich in der Kirche?
An den entscheidenden Wendepunkten
Ich habe mich entschieden: Ich bleibe in der Kirche. Trotz allem. Auch wenn mich die Berichte über Missbrauch immer wieder neu erschüttern. Denn ich bin davon überzeugt: Es ist wichtig, dass es Kirche gibt – sei sie katholisch, evangelisch oder orthodox. Denn sie steht Menschen bei, vor allem an den entscheidenden Wendepunkten des Lebens. Bei der Taufe eines Kindes oder bei der Begleitung eines Sterbenden. Sie kümmert sich um alte und kranke Menschen, um Menschen mit Behinderung. Sie schafft heilige Räume: für Gottesdienste, Gebet, Stille und Meditation. Mich haben Kirche und Glaube ein Leben lang begleitet: als Messdiener und Jugendgruppenleiter. Als Kirchenmusiker. Als Student in einer katholischen Hochschulgemeinde. Oder heute als Vater: Abends vor dem Schlafengehen spreche ich mit meinen Kindern gerne ein Gebet.
Hoffnung auf Weiterentwicklung und Reformation
Meine Glaubensheimat bleibt die katholische Kirche. Obwohl sie es mir manchmal verdammt schwermacht. Ich hoffe und bete, dass sie sich weiterentwickelt und reformiert. Und sie so immer mehr zu einer Gemeinschaft wird, die einen Gott verkündet, der das Leben und den Segen will für alle Menschen.