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Mit Narben leben
Bild: unsplash / Alexander Grey

Mit Narben leben

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Wenn ich im Krankenhaus Besuche mache, zeigen mir frisch operierte Patienten oft unaufgefordert und selbstverständlich ihre Wunden. 

Das Erlebte sichtbar machen 

Ich erkläre es mir so: Sie wollen sichtbar machen, welch schweren Eingriff sie erlebt haben. Das alles ist für sie immer noch unfassbar. Es hilft das Geschehene zu verarbeiten, wenn man schaut, es anschaut und den Anblick mit anderen teilt. 

Wer seine Wunden zeigt, macht deutlich, dass die dazugehörenden Operationen ihn geöffnet haben. Eine neue Perspektive deutet sich an. Leben dürfen. Die Zeit nutzen. So wie bei Katja.

Wie kommt sie mit ihren Narben zurecht?

Sie hat gerade zwei schwere Herzoperationen hinter sich. „Ich frage mich,“ sagt ihre Mutter wie sie mit diesen großen sichtbaren Narben zurrechtkommen wird und vor allem auch mit den unsichtbaren Narben. 

Noch ist längst nicht alles überstanden. Da war noch eine Sepsis. Einige ihrer Finger sind blau. 

Auf der Intensivstation sind die Geräusche der Apparate zu hören, die ihre Organe unterstützen sollen. Auch die der Messgeräte, die feststellen, was sie braucht, um zu überleben. Immer wieder piept es laut und Pflegepersonal ist schnell zu Stelle, um das Nötige zu tun. 

Trotz allem Hilfe erfahren - von Menschen und Gott

Noch stehen die Narben an zweiter Stelle, es geht ums Überleben. Schon 18 Tage Intensivstation. Bei jeder Bewegung ist sie angewiesen auf Hilfe. Banges Warten. Aber auch, so erzählt Katja mir, das Gefühl trotz allem und in allem gehalten zu sein. Von der 87-jährigen Mutter, die sie täglich besucht. Von den anderen lieben Menschen, die sie nicht aufgeben. Zaghaft spricht sie auch davon, dass sie das Gefühl hat, dass Gottes Liebe zu ihr durchdringt, mitten in allen Sorgen und Nöten. Sie erlebt: Da tauchen plötzlich Menschen auf wie Rettungsanker, die die Mutter zum Krankenhaus fahren oder ihr Essen bringen, Menschen, die ihren Hund dreimal täglich ausführen und vieles mehr.

Was es heißt Heilung zu erfahren

Noch weiß niemand wie diese Situation ausgeht. Im besten Fall werden Narben bleiben. Narben, die für die Kraft zum Weiterleben stehen. Narben, die zeigen, dass da schwere Verletzungen waren. Ein Heilungsprozess hat begonnen. Vieles wird sich verändern. Durch Schmerzen und Zuversicht. Heilung erfahren heißt: Mit allem, was das Leben in und auf dem Körper gezeichnet hat, leben. Mit Narben und Wunden den Tag genießen. Spüren, was einen jetzt besonders lebendig sein lässt. Zulassen, was bedrückt oder auch glücklich macht. 

Es wird nicht alles wieder gut und fehlerlos. Es wird anders: Die Narben erinnern Katja an die Aufgabe und das Glück weiterleben zu dürfen. 

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