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Die unperfekte Ballerina
Bild: pixabay

Die unperfekte Ballerina

Judith Vonderau
Ein Beitrag von Judith Vonderau, Katholische Autorin bei "kirche im hr", Bad Orb
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Ballerina zu werden ist der Traum von vielen kleinen Mädchen. Es fasziniert sie, elegant und anmutig mit Spitzenrock und Ballettschuhen über die Bühne zu schweben. Balletttänzerinnen werden mit Grazie in Verbindung gebracht, mit Leichtigkeit, aber auch mit Disziplin und hartem Training. Ballett zu tanzen, erfordert hartes körperliches Training. Und trotzdem wird Ballettunterricht auch schon für kleine Kinder angeboten.

Wenn Kinder Ballett tanzen, geht es ihnen nicht in erster Linie um die Perfektion von Jeté, Saute und Plié, wie die einzelnen Bewegungen heißen, sondern es geht ihnen um die Freude an der Bewegung, um die Gemeinschaft mit anderen Kindern und um das Tanzen als Hobby, das einfach guttut. Ein besonderes Ereignis dabei ist, wenn sie für eine Aufführung proben und ihr Können auf der Bühne präsentieren dürfen. Eine solche Aufführung einer Ballettschule habe ich vor einigen Jahren besucht und sie ist mir bis heute in Erinnerung geblieben.

Bitte Nachmachen: Aus der Reihe tanzen macht Sinn und Spaß

Mädchen aus verschiedenen Altersgruppen tanzten. Bei den älteren Mädchen war jeder Schritt perfekt und die Choreographie wirkte harmonisch. Und trotzdem kann ich mich kaum noch an das erinnern, was sie getanzt haben. In Erinnerung geblieben ist mir dagegen ein kleines Mädchen, das alles andere als perfekt tanzte. Dieses Mädchen war vielleicht zwei Jahre alt und das jüngste Kind auf der Bühne. Konzentriert und voller Ernsthaftigkeit schaute es fortwährend nach den anderen Kindern, um deren Schritte nachzuahmen. Denn ganz sicher war es in der Choreographie noch nicht. Dabei tanzte es die einzelnen Schritte logischerweise immer einen Ticken zu spät. Durch diese Asymmetrie, die dadurch zwischen den Tänzerinnen entstand, war die Choreographie alles andere als perfekt. Das kleine Mädchen, das so zeitversetzt und jenseits des Taktes tanzte, zog die Blicke des Publikums auf sich.

Locker bleiben: Nicht perfekt zu sein, ist absolut kein Versagen

Die Art, wie dieses kleine Mädchen wortwörtlich aus der Reihe tanzte, kam beim Publikum gut an. Dieses Mädchen hatte sich ein großes Ziel gesetzt, es aber offensichtlich nicht erreicht. Und gerade diese Unvollkommenheit, dieses Nicht-perfekt-sein machte das Mädchen so sympathisch.

Ich vermute, dass es für die meisten Erwachsenen eine schreckliche Vorstellung ist, auf einer Bühne zu stehen und bei einem Auftritt hinter den eigenen Erwartungen zurückzubleiben. Wahrscheinlich würden sie einen solchen Auftritt als persönliches Versagen bewerten. Der unperfekte Tanz dieser kleinen Balletttänzerin zeigt mir, dass es im Leben vielleicht manchmal gerade nicht darum geht, perfekt zu sein und alles richtig zu machen. Er zeigt mir, dass vermeintliche Fehler sympathisch machen und dass der Maßstab nicht immer die Vollkommenheit sein muss.

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