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„Seht, der Stein ist weggerückt“
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„Seht, der Stein ist weggerückt“

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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„Seht, der Stein ist weggerückt, nicht mehr, wo er war, nichts ist mehr am alten Platz, nichts mehr, wo es war.“ Das ist der Text eines Osterliedes von dem Frankfurter Pfarrer Lothar Zenetti. Heute Nacht beginnt in den christlichen Kirchen das Osterfest. Christinnen und Christen feiern weltweit die Auferstehung Jesu. Nur die orthodoxen Kirchen feiern es eine Woche später. Die Bibel erzählt, dass Frauen im Dunkel vor dem Morgengrauen entdeckt haben: Der Stein am Eingang des Grabes Jesu war weggewälzt. Das Grab war leer. Angst und Schrecken war ihre erste Reaktion. Das war der Anfang von Ostern: Der Stein war weggerückt, nicht mehr, wo er war, nichts war mehr am alten Platz, nichts mehr, wo es war.

Menschen die bereit sind, sich dafür zu öffnen

Der Pfarrer Lothar Zenetti war Seelsorger und Dichter, und er war mitten dabei, als die Aufbruchsstimmung der 68er in Frankfurt und anderen Orten die Kirche ergriffen hat. 1971 hat er diesen Ostertext geschrieben, 2019 ist er gestorben. Mit vielen anderen hat er sich eine Kirche erhofft, die aufbricht. Etwas von diesem Geist wünsche ich mir auch heute in unseren Kirchen wieder: Dazu braucht es Menschen, die nicht einfach fraglos alles so hinnehmen, wie es schon immer war und bereit sind sich dafür zu öffnen, dass Dinge nicht mehr an ihrem Platz sind. 

Auferstehung bedeutet: Sehen lernen!

„Seht, das Grab ist nicht mehr Grab, tot ist nicht mehr tot, Ende ist nicht Ende mehr,“ so heißt es in der zweiten Strophe von Lothar Zenettis Ostertext. Aber das neue Leben lässt sich nicht einfach mit einem Fingerschnips herbeikommandieren. Menschen, die vor einem Grab gestanden haben, wissen das. Tod und Trauer brauchen ihre Zeit. Eine Krankheit braucht Zeit, bis sie überwunden ist. Verknotete Beziehungen, Konflikte, Kriege sind nicht mit einem Mal vorbei. So braucht auch Gottes neues Leben Zeit, um zu wachsen, vielleicht nicht für Gott, aber für uns Menschen. Das wichtigste Wort in Lothar Zenettis Text ist deshalb „seht“. „Seht, der Stein ist weg gerückt!“ … „seht, das Grab ist nicht mehr Grab!“ Auferstehung bedeutet: Sehen lernen! Die Zeichen von Gottes neuem Leben zu entdecken, den Frühling in der Knospe, das erste Lächeln unter den Tränen der Trauer.

Der Stein von ihrem Herzen brauchte länger

Auch die Frauen am leeren Grab Jesu mussten sehen lernen. Im ersten Morgenlicht haben sie gesehen, dass der Stein weggerückt war. Der Stein von ihrem Herzen brauchte länger, um zu Boden zu fallen. Wenn nichts mehr am alten Platz ist, braucht man erst eine Zeit, bis man sich wieder zurecht findet. Die Frauen mussten zuerst sehen und konnten nur langsam begreifen, dass der weggewälzte Stein Jesus den Weg aus dem Grab freigemacht hat.

"Ende ist nicht mehr Ende"

„Seht, der Herr erstand vom Tod, sucht ihn nicht mehr hier, geht mit ihm in alle Welt, er geht euch voraus.“ So heißt es in der letzten Strophe von Lothar Zenetti. Das sind die Worte des Engels, die die Frauen im leeren Grab gehört haben. Gottes Leben macht den Weg aus dem Grab frei hinein in alle Welt. Mit den Frauen kann ich mich auf den Weg machen, der aus dem Grab herausführt. Vielleicht muss ich diesen Weg auch erst vorsichtig ertasten. In der Welt der Auferstehung ist eben nicht mehr alles an seinem alten und vertrauten Platz: „Tot ist nicht mehr Tot, Ende ist nicht Ende mehr“. Wahrscheinlich fehlt mir wie den Frauen am Ostermorgen zuerst die Orientierung. Aber der Weg ist frei. In aller Welt kann ich nach Gott und seinem Leben suchen.

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