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Die Familienbibel
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Die Familienbibel

Claudia Biester
Ein Beitrag von Claudia Biester, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg
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Sie sammelt alte Dinge in ihrem Haus. Gerne zeigt sie einzelne Stücke und erzählt von den Menschen, von denen sie die Sachen bekommen hat.

Eine Familienbibel mit Gebrauchsspuren

„Ich will Ihnen etwas Besonderes zeigen“, sagt die Frau. Sie holt eine Familienbibel hervor. Ein handliches schwarzes Buch mit einem geprägten Kreuz. Ganz offensichtlich wurde es einmal viel benutzt. Es ist schon ein bisschen angestoßen, an den Ecken schimmert hell die Pappe hervor und ein paar Seiten sind verknickt.

Sie pustet über den Schnitt des Buches, als sie es aus dem Regal zieht - es ist ein wenig verstaubt -,  und erzählt: Ihre Urgroßeltern haben diese Bibel zur Hochzeit geschenkt bekommen. Das war im Jahr 1883. „Seitdem ist dieses Buch wirklich durch viele Hände gegangen“, sagt sie und blättert darin.

Große und kleine Erlebnisse wurden der Bibel buchstäblich anvertraut

Der Pfarrer hat damals die Familienbibel geschenkt und eine Zeile aus einem Kirchenlied hinein geschrieben: „Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte.“ Seitdem haben viele von Generation zu Generation Einträge in der Familienbibel vorgenommen. Sie haben auf dem freien Seitenrand die Namen von Kindern notiert, die geboren wurden. Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Todesfälle sind festgehalten und ein Gebet für einen Kranken. Einmal, so steht da, im August, gab es ein großes Gewitter, das das ganze Feld verhagelt hat. Große und kleine Erlebnisse wurden der Bibel buchstäblich anvertraut.

Fotoalbum statt Bibeleinträge

Irgendwann, in den späten 1960er Jahren hören die Notizen und Einträge auf. Die Kinder der Frau und ihre Enkel sind in der Familienbibel nicht mehr verzeichnet. Sie sagt: „Wir sind dann eher aufs Fotoalbum umgestiegen. Und jetzt ist natürlich alles auf dem Handy, das ist ja auch praktisch. Ich sehe auf diese Weise viel von meinen Enkeln und Urenkelchen, obwohl sie weit weg wohnen.“

Dann stellt sie die alte Bibel zurück. „Ich schaue immer mal wieder da rein“, sagt sie dabei. „Es ist mir wichtig und ich erinnere Menschen und Ereignisse und auch die Geschichten, die hier drinstehen. Auch wenn ich nichts mehr hineinschreibe.“

"Aber bei all dem sind wir immer noch in Gottes Hand."

Ich frage: „Was, denken Sie, ist denn gleich geblieben, über all die Jahre?“ Sie überlegt und lächelt: „Ich lebe hier, das ist gleich. Ich glaube auch, dass manche Herausforderungen gleich geblieben sind. Wir brauchen etwas zum Essen, wir wohnen und müssen uns darum kümmern, wir haben mit Familie zu tun, mit Krankheiten und damit, dass wir sterben werden. Und manchmal sind wir ein wenig ratlos, wie es weitergehen wird. Aber bei all dem sind wir immer noch in Gottes Hand.“ Und die Frau bekräftigt: „So möge es bleiben!“ 

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