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Glaube braucht Orte
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Glaube braucht Orte

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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Meine Großeltern hatten drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Dieser Sohn wurde mit neunzehn Jahren in den letzten Monaten vor Ende des Zweiten Weltkriegs eingezogen und an die Front nach Russland versetzt. Er kam nicht zurück. Wie viele andere Familien haben meine Großeltern versucht, über den Suchdienst des Roten Kreuzes etwas über das Schicksal ihres Kindes zu erfahren, alles vergeblich. Viel später ließ meine Großmutter auf dem Familiengrab einen kleinen Gedenkstein mit seinem Namen und seinem Geburtstag errichten. Als Kind fand ich das merkwürdig, weil niemand darunter begraben war. Viel später habe ich erst verstanden, warum dieser Stein für sie so wichtig war. Die Erinnerung an ihren in Russland vermissten Sohn brauchte einen konkreten Ort, wo sich sie sich anheften konnte. Vielleicht war es für sie eine Möglichkeit, mit der Vergangenheit abzuschließen.

Auf der Suche nach den Spuren Jesu

Nicht nur die Erinnerung, sondern auch der Glaube braucht solche Orte der Vergewisserung. Wallfahrten nach Santiago de Compostela oder Lourdes finden nach wie vor großen Zuspruch, auch bei Menschen, die sich nicht als besonders religiös einschätzen. Viele Menschen fahren in den Tagen vor Ostern, die jetzt auch bald vor uns liegen, nach Jerusalem. Sie schauen sich an, wo der Überlieferung nach Jesus gewirkt haben soll. Sie schreiten den Weg von der Stadt nach Golgatha ab, besuchen den Garten Gethsemane und gehen in die Kirche, wo nach alter Überlieferung das Grab Jesu verehrt wird. Es ist die besondere Atmosphäre, mit der diese Stätten aufgeladen sind, wenn man sich auf die Spurensuche begibt. Ich konnte mich ihr auch nicht ganz entziehen. Von der historischen Person Jesus gibt es keine Erinnerungsstücke, kein Wohnhaus, keine Locke, bezeichnender Weise auch keine Schriftstücke. Jesus hat nichts Schriftliches oder Persönliches hinterlassen. Selbst die engsten Vertrauten von Jesus mussten erst einmal über seinen Tod hinwegkommen und eine eigene Erinnerungskultur begründen. Und wenn die frühe Christenheit nach solchen Reliquien gesucht hat, ist das meist pures Wunschdenken geblieben.

Dreh- und Angelpunkt ist der Glaube an die Zukunft

Christen und Christinnen sind keine Antiquare. Sie stecken nicht in der Vergangenheit fest. Dreh- und Angelpunkt der Christenheit ist Glaube an die Zukunft, an ein Leben, das mit dem physischen Tod nicht endet und dass man seine Lieben auf irgendeine Weise einmal wieder erkennt. Darauf hat auch meine Großmutter vertraut. Der Gedenkstein ihres Sohnes war für sie dabei eine gefühlsmäßige Hilfe.

Ein Zeichen der Hoffnung, dass mit den Tod nicht alles endet

Über die Zukunft kann man natürlich nur spekulieren. Wer sich auf die Hoffnung auf ein unzerstörbares Leben einlässt, kann nichts verlieren, sondern nur gewinnen: Sie macht das Leben reicher, ob sie begründet ist oder nicht; wenn sie unbegründet ist, hat man auch nichts verloren. Wenn ich heute am Familiengrab stehe und den Gedenkstein sehe, dann verstehe ich: Orte sind wichtig für meine Erinnerungen. Und sie sind für mich ein Zeichen der Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist.

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