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Das Labyrinth des Lebens
Bild: Pixabay (von shaboo)

Das Labyrinth des Lebens

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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Das Labyrinth ist das Gegenmodell zum direkten Weg. Geradewegs kommt man dort nicht ans Ziel. Deswegen hat so ein Labyrinth für mich einen großen Reiz. Da läuft man viele Windungen und Kehren, der Weg ändert immer wieder die Richtung, bis man endlich in der Mitte, im Ziel des Labyrinths ankommt. Das ist manchmal eine Geduldsprobe.

Symbole der Menschheit

Das Labyrinth gehört mit zu den ältesten Symbolen der Menschheit. Es hat sich vom Mittelmeerraum überall hin verbreitet. Von den gotischen Kathedralen in Frankreich wie zum Beispiel in Chartres bis zu den Maislabyrinthen bei uns in der hessischen Wetterau.

Lebensweg des Menschen

Das Christentum hat das Labyrinth sehr früh als Symbol übernommen. Es sieht darin den Lebensweg des Menschen, der oft nicht geradlinig verläuft und manchmal ziellos erscheint. Bei christlichen Labyrinthen ist das Ziel in der Mitte oft ein Kreuz. In einem Labyrinth in Limburg ist die Mitte einmal so gestaltet worden: Dort stand eine zylindrische Röhre. Sie wurde unten mit einem verspiegelten Boden abgeschlossen. In den Spiegel waren die Umrisse eines Christuskopfes eingraviert. Wenn man in die Röhre hineingeguckt hat, hat man übereinander zugleich sein eigenes Gesicht und das von Jesus gesehen. Das ist erstmal nur eine Pointe, aber was für ein Anspruch!

Gott und andere lieben wie sich selbst

Im Markusevangelium (Markus 12,28-34) gibt es folgende Szene: Da kommt ein Pharisäer zu Jesus und fragt ihn: „Was ist das höchste Gebot von allen?“ Und Jesus antwortet: „Das höchste Gebot ist das: Du sollst Gott den Herren lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Der Schriftgelehrte verschmilzt Gottes- und Menschenliebe zu einem einzigen höchsten Gebot. Das ist ähnlich wie bei den beiden sich übereinander spiegelnden Gesichtern im Zentrum des Limburger Labyrinths. Und Jesus sagt ihm daraufhin zu: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ Er ist noch nicht ganz drin, aber ihm doch nahe.

Eine Herausforderung

Die Orientierung an diesem höchsten Gebot, das Jesus in den Mittelpunkt stellt, ist nicht immer leicht. Mir wird nicht gesagt, wie ich mich im konkreten Einzelfall verhalten soll. Ich muss mich immer selber fragen, ob ich mich daran wirklich orientiere, wenn ich diese oder jene Entscheidung treffe. Das ist manchmal eine große Herausforderung im Alltag. Die kann mir niemand abnehmen.

Immer auf dem Weg zur Mitte

Vor ein paar Wochen habe ich folgende Inschrift am Eingang zu einem Labyrinth gefunden. Sie wendet menschliche Suchbewegungen ins Positive:„Keiner ist der Mitte so nah, dass er nicht weit wegkommen kann; aber keiner ist so weit weg, dass er nicht wieder zur Mitte finden kann.“

Und plötzlich, unverhofft am Ziel

Diese Erfahrung mache ich auch. Man ist in der Mitte und plötzlich wieder weit weg, und man ist weit weg von ihr und plötzlich, unverhofft: wieder mittendrin und am Ziel.

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