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Risse und Licht
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Risse und Licht

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Einer der wichtigsten Gedanken in meinem Leben stammt aus einem Lied von Leonard Cohen, dem kanadischen Sänger und Dichter. Darin heißt es: „In allem sind Risse. Nur so kann Licht hereinkommen.” - “There is a crack in everything. That’s how the light gets in.”

Licht steht hier für alles, was das eigene Leben hell machen kann

Leonard Cohen sagt: nichts, was Menschen machen, ist perfekt. Und schlimmer noch, alles hat Risse. Zum Beispiel physische Objekte wie ein Tongefäß. Wenn ich ein vollkommen geschlossenes Gefäß habe, mir einen solchen Raum vorstelle, ist es da drinnen stockdunkel. Wenn das Gefäß aber Risse hat, dann kann Licht hinein scheinen. Was dieses Licht sein kann, ist ganz unterschiedlich. Es kann ein Hoffnungslicht sein. Ein göttliches Licht. Oder auch ein Freundschaftslicht. Ich glaube, Licht steht hier für alles, was das eigene Leben hell machen kann. 

Eine Metapher für das Leben

Für mich ist die Liedzeile eine Metapher für das Leben. Wenn ich mich ganz unangreifbar mache, eine perfekte, glatte Oberfläche, dann ist echte Nähe zu anderen nicht möglich. Erst, wenn ich zulasse, dass die Risse in meiner perfekten Fassade sichtbar werden, kann Licht hineinscheinen.

Die eigene Unsicherheit verbergen

Vermutlich kennen das viele, wenn sie ein gutes Bild von sich zeigen wollen – beim Gespräch mit einer alten Schulfreundin oder bei der Präsentation vor Kollegen. Ich selbst habe es erlebt, während ich meine Doktorarbeit schrieb. Oft hatte ich das Gefühl: ich bin nicht gut genug. Alle anderen wussten viel mehr, während ich damit kämpfte, überhaupt einen Überblick zu kriegen. Schneller schreiben konnten sie auch – eine Kollegin war gefühlt doppelt so schnell fertig wie ich. Und sie wirkten immer so selbstsicher! Ich dagegen war langsam und hinterfragte mich ständig selbst. Um nicht negativ aufzufallen, verbarg ich diese Unsicherheit. Bloß keine Risse sehen lassen!

Bei einem Treffen mit Kolleginnen und Kollegen traute ich mich, meine Unsicherheiten zuzugeben. Und da stellte sich heraus: Den meisten ging es ähnlich wie mir. Sie fingen an zu erzählen. Sie fürchteten, dass ihre Texte langweilig waren, dass ihre Forschung nichts Neues ergeben würde. Auch sie fühlten sich oft unzulänglich und hatten Angst vor gemeinen Rückfragen.

Sich gegenseitig Mut machen

Die Risse in der perfekten Oberfläche, die wir vorher versteckt hatten, kamen jetzt zum Vorschein. Und da war auf einmal ganz viel Licht. Wir machten uns gegenseitig Mut, überlegten, wie wir uns besser unterstützen konnten – und waren auch einfach erleichtert, dass wir nicht allein waren.

Durch Risse kann auch Licht nach außen fallen

Und das hat mir gezeigt: die Risse sorgen nicht nur dafür, dass das Licht in mein Herz hineinscheinen kann. Sie machen es auch möglich, dass mein Licht für andere leuchtet. So sagt es Paulus im Korintherbrief: Wir Menschen sind wie zerbrechliche Tongefäße. Und ausgerechnet in diese Gefäße gibt Gott seinen Schatz, sein Licht (vgl. 2 Kor 4,6f.). Ich denke: Durch die Risse, die wir Menschen haben – unsere Unsicherheiten, unsere Schwierigkeiten – gerade dadurch leuchtet unser Licht für andere.

„There is a crack in everything. That’s how the light gets in.” In allem sind Risse. Gerade so kann Licht hereinkommen.

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