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Ein Erdbeben und eine Glaubenskrise
Pixabay/Angelo Giordano

Ein Erdbeben und eine Glaubenskrise

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Es ist zwölf Jahre her, als mein Glauben in eine Krise kam. Zuerst dachte ich sogar, ich hätte ihn verloren. Es war der Tag nach dem schrecklichen Erdbeben in Japan, das die Atomkatastrophe von Fukushima auslöste.

Voller Angst und hilflos

Ich lebte damals gerade nördlich von Tokyo, rund dreihundert Kilometer vom Epizentrum entfernt. Während des Erdbebens war mir nichts Schlimmes passiert, zum Glück; aber die Nachrichten aus dem Atomkraftwerk Fukushima waren besorgniserregend. Ich hatte Angst, und ich war hilflos.

Gott war entweder abwesend oder unfair

In dieser Situation hätte ich gerne gebetet. Es sind doch gerade solche Momente der Bedrängnis, in denen Menschen der Bibel sich an Gott wenden! Ich wollte beten: Bitte, Gott, rette mich! Lass mich nicht verstrahlt werden! Hole mich gesund hier raus! Aber die Worte blieben mir im Halse stecken. An der Küste waren tausende Menschen gestorben. Ihnen hatte Gott nicht geholfen. Warum sollte er dann ausgerechnet mich retten? Und wäre das nicht zutiefst ungerecht? Gott war also entweder abwesend oder unfair, dachte ich. Zu so jemandem konnte ich nicht beten.

Beim Beten kann man auch klagen

Ich habe lange mit dieser Frage gerungen und fand keine Antwort. Bis ich Jahre später einer Studienkollegin von meiner Glaubenskrise erzählte. Was sie sagte, war wie eine Rettung für mich. Sie erinnerte mich: Es gibt mehr Arten von Gebet als nur Bitten und Danken. Man kann auch klagen – und sogar Gott anklagen. Die Psalmen machen es vor. Da klagen Betende Gott ihr Leid und fragen: Gott, wo bist du? Hast du mich verlassen?

Gott die eigene Wut entgegenschleudern

Das war es, was ich damals gebraucht hätte. Meine Angst hoch zu Gott rufen; ja, Gott sogar meine Wut hinschleudern – und wissen, dass Gott damit umgehen kann. Mehr noch – darauf vertrauen, dass Gott zuhört. Mir hat das den Weg zu meinem Glauben wieder geöffnet. Das heißt nicht, dass meine Fragen beantwortet wären. Gerade jetzt, beim Erdbeben in Syrien und der Türkei, denke ich wieder daran. So viele Menschen sind dort gestorben. Das macht mich wütend. Und traurig. Immerhin weiß ich: auch das kann ich Gott sagen.

Bei Gott ist Danken und Bitten und auch Klagen gut aufgehoben

Meine Gebete sind seitdem anders geworden. Danken und Bitten spielen immer noch eine wichtige Rolle, aber manchmal klage ich auch nur. Lege Gott meine Sorgen und Fragen hin und weiß: Gott kann damit umgehen. Egal wie tief das Leid ist, egal wie groß die Wut – bei Gott ist beides aufgehoben. Und ich hoffe darauf, dass Gott es verwandeln wird.

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