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Ich bereue nichts
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Ich bereue nichts

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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„Bist du zufrieden mit deinem Leben?“, frage ich die Frau, die mir gegenübersteht. Sie strahlt mich an. Ich habe sie vor dreißig Jahren das letzte Mal gesehen. Schwester Jacoba ist Diakonisse. Eine Frau, die verbindlich in einer evangelischen Schwesternschaft lebt, im Einsatz für kranke Menschen. Nach dem Abitur habe ich sieben Monate lang in dem Diakonissenhaus gelebt, in dem sie bis heute ist. Damals war ich 20, Schwester Jacoba war etwa 40. Sie trug und trägt bis heute ein blaues Gewand und einen weißen Schleier auf den Haaren. Sie ist eine attraktive Frau mit viel Ausstrahlung, auch jetzt noch, mit 70 Jahren. Und sie lacht gern.

"Bist du zufrieden mit deinem Leben?"

Ich habe Schwester Jacoba beim Wiedersehen gefragt: „Bist du zufrieden mit deinem Leben?“ Dabei denke ich zurück an schöne Gottesdienste und gute Gemeinschaft, aber auch an die strengen Regeln in diesem Diakonissenhaus: fünf Gebetszeiten täglich, nur ein freier Tag, Schweigen beim Essen.

Keine Entscheidung ist perfekt

Schwester Jacoba sagt: „Ich bereue nichts.“ Was soll das heißen?“, frage ich mich. Sie wird doch nicht ernsthaft denken: „Es war immer alles gut, und ich habe nie Fehler gemacht?“ Schwester Jacoba erklärt: „Ich habe bestimmt nicht immer alles richtiggemacht. Und ja, manchmal wäre es besser gewesen, sich anders zu entscheiden. Aber es gibt nicht die perfekte Entscheidung. Und es lohnt sich nicht, dem nachzutrauern, was anders hätte sein können.“

„Gott hat mich gesucht und gefunden“

Dann erzählt sie: „Gott hat mich immer wieder gesucht und gefunden. Gott hat mir die richtigen Begegnungen geschenkt.“ Schwester Jacoba hatte lange nichts mit Gott zu tun. Sie will als junge Frau Krankenschwester werden, um jeden Preis. Wegen ihrer extrem kaputten Hüfte nimmt sie kein Krankenhaus zur Ausbildung auf. Nur das Krankenhaus der Diakonissen. Hier kann sie die ersehnte Ausbildung machen.

Zwei verletzte Seelen

Hier trifft sie Schwester Susanne. Die beiden werden Freundinnen: Beide sind verletzte Seelen. Schwester Susanne leidet unter dem Tod ihres Vaters, Schwester Jacoba unter einer unglücklichen Liebe. Schwester Jacoba begreift allmählich: Das Leben hat eine Tiefendimension. Hinter allem, was man sieht, gibt es ein inneres Leben. Diese innere Dimension wird erleuchtet von Gott, der den Dingen den wahren Sinn gibt. Da ist manches im Leben, was äußerlich nicht großartig aussieht. Auch mancher Beruf oder Lebensumstände. Sie sind nicht immer schön, aber im Ganzen erfüllt und sinnvoll. Schwester Jacoba sagt am Ende: „Ich habe gelebt, geliebt, gelitten, aber ich bereue nichts.“

Im Rückblick auf das Leben sagen können: Ich bereue nichts

Ich bereue nichts. Das möchte ich auch mal sagen können, wenn ich auf mein Leben zurückblicke. Es muss nicht immer alles glatt laufen. Ich muss nicht immer erfolgreich sein. Ich muss mich auch nicht immer gut fühlen. Aber ich will das Grundgefühl nicht verlieren: Gott ist an meiner Seite. Und ich will mir ein offenes Herz bewahren für diese Tiefendimension des Lebens.

Das Leben und den Moment genießen

Am Ende unseres Wiedersehens zieht mich Schwester Jacoba in ein nettes Café und bestellt sich einen heißen Kakao mit sehr viel Sahne. Mit dem Kellner plaudert sie fröhlich. Die beiden kennen sich offensichtlich schon länger. Ich merke: Sie kann das Leben und den Moment genießen.

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