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Das Bild des Jahres - ein Stern wird geboren
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Das Bild des Jahres - ein Stern wird geboren

Dr. Marco Bonacker
Ein Beitrag von Dr. Marco Bonacker, Katholischer Leiter der Abteilung Bildung und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat Fulda
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Wenn ein Jahr vergangen ist, schauen wir gerne zurück und tauschen uns aus über Highlights, besondere Momente oder Bilder, die uns im Kopf geblieben sind. Mein Bild des vergangenen Jahres haben Sie vielleicht auch gesehen: Es wurde vom neuen James-Webb-Teleskop aufgenommen und zeigt die sogenannten "Säulen der Schöpfung" im Adlernebel. Tiefes Blau, im Hintergrund Millionen strahlender Sterne und eben die orangenen und an den Außenbereichen tiefroten Wolkensäulen, die sich ins All ausdehnen.

Die Ausmaße sind unvorstellbar – aber ein neuer Stern entsteht

Die 7.000 Lichtjahre entfernte Struktur zeigt einen Stern, der zu entstehen versucht. Bereits 1995 wurden die Säulen der Schöpfung das erste Mal aufgenommen - durch das Hubbel-Teleskop. Auch aus dem Jahr 2014 liegt eine Aufnahme vor. Es ist also möglich, die Entwicklung und Veränderung der Säulen zu vergleichen und die Zahlen, die die NASA-Astronomen vorlegen, sind einfach unvorstellbar: die winzigen Veränderungen eines Lichtstrahls zeigen, dass er sich mit 725.000 km pro Stunde fortbewegt. Das macht unvorstellbare 96 Milliarden Kilometer Ausdehnung in 15 Jahren. Man könnte kurz sagen: Diese Dimensionen sind nach menschlichen Maßstäben eigentlich unvorstellbar. Und wir sprechen hier über einen winzigen Ausschnitt des Universums.

Die Frage, die uns antreibt, wer sind wir in dieser unendlichen Weite?

Der Titel "Säulen der Schöpfung" bezieht sich also auf die Entstehung eines neuen Sterns. Wir schauen ihm sozusagen beim Wachsen zu. Aber der Titel transportiert natürlich auch ein fast religiöses Verständnis. Natürlich kann man in rein astro-physikalischen Worten über das sprechen, was wir sehen. Aber selbst erfahrene und hartgesottene NASA-Wissenschaftler schaffen einen fast lyrisch-religiösen Titel für dieses faszinierende Bild. Für mich wird hier deutlich, was der Blick in den Himmel bereits in Menschen bewegt hat, seitdem wir Aufzeichnungen davon haben: eine unfassbare Sehnsucht nach Wissen um unseren Standpunkt im All und dem Verstehen des Großen und Ganzen und das Verstehen des Menschen selbst. Nicht zuletzt der Fragen nach Endlichkeit, Ewigkeit und Sinn und ja, auch die Frage nach Gott.

Ein Zusammenspiel, das funktioniert: Wissenschaft und Religion

Es ist kein Zufall, dass gerade auch die Astronomie stark von Wissenschaftlern geprägt war, die zugleich Theologen und Astronomen waren. Beispiele dafür gibt es viele: Gerade die Jesuiten des 16. und 17. Jahrhunderts sind hier besonders hervorzuheben. Christof Scheiner etwa, 1573 in der Nähe von Mindelheim geboren, gilt als einer der Entdecker der Sonnenflecken. Auch der Jesuit Christof Grienberger, der mit Galilei korrespondierte und die Forschung der Planetensysteme mitentwickelte, kann man nennen. Oder der berühmte Matteo Ricci, der als Priester und Astronom in der China-Mission wirkte und am Hof der Ming-Dynastie zum Mandarin und zum Hof-Astronomen des Kaisers von China aufstieg: Sie alle sind Beispiele aus der frühen Neuzeit.

Gerade aber auch die moderne Astronomie und Astrophysik des 20. Jahrhunderts ist wesentlich von einem katholischen Priester geprägt: George Lemaitre. Der belgische Theologe und Astrophysiker gilt als der Begründer der Urknall-Theorie, mit der er schließlich auch Albert Einstein persönlich überzeugte.

Glaube und Wissenschaft schließen sich also in keiner Weise aus, auch heute nicht. Im Gegenteil. Der Glaube an Gott verändert offensichtlich den Blick auf die Wirklichkeit. Nicht mehr Zufall und Chaos sind die Denkmodelle dieser Weltsicht, sondern Ordnung und Naturgesetze - gerade, weil Gott dahintersteht. Diesen Gesetzen nachzuspüren, sie zu entdecken und damit Welt und Schöpfung besser zu verstehen, ist ein Antrieb der großen christlichen Astronomen. Die Möglichkeit zu glauben, dass wir als Menschen der Schöpfung und dem dahinterliegenden Sinn näherkommen können, der Wahrheit an sich, die Christen Gott nennen, wird durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse jedenfalls nicht geschmälert. Im Gegenteil: Die Ahnung dieser Möglichkeit erfüllt mich vielmehr gerade dann, wenn ich Bilder wie die "Säulen der Schöpfung" sehe.

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