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Marc Chagall und der Jude Jesus
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Marc Chagall und der Jude Jesus

Dr. Marco Bonacker
Ein Beitrag von Dr. Marco Bonacker, Katholischer Leiter der Abteilung Bildung und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat Fulda
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Gerade ist Frankfurt Schauplatz einiger kultureller Highlights. Neben der grandiosen Guido Reni-Ausstellung im Städel ist auch die Marc Chagall-Ausstellung in der Schirn ein absolutes Muss für jeden Kunstliebhaber.

60 Werke Chagalls vor allem der 30er und 40er Jahre werden gezeigt. Darunter nicht nur viele seiner bekanntesten Bilder, sondern auch Zeichnungen, Papierarbeiten oder Kostüme. "Die Welt in Aufruhr", so die Überschrift der Ausstellung, zeigt eine Schaffensperiode, in der der jüdische Künstler selbst existenziell von den politischen Vorgängen und der beginnenden Judenverfolgung der Nationalsozialisten betroffen war. Geboren 1887 in einem Stadtteil des heute weißrussischen Witebsk, verliert Chagall seine Heimat und arbeitet im Exil weiter: erst in Paris, dann in New York.

Gewalt, Verlust und Liebe, die alles hinnimmt

Verlust von Heimat, die Verarbeitung von Gewalt und das jüdische Leben in Osteuropa sind immer wiederkehrende Themen seiner Werke. Ebenso wie das Alte Testament, und natürlich die Liebe: besonders das Motiv der Hochzeit verdeutlicht ein Grundelement des Lebens, der Hoffnung und der Freude in den Werken von Marc Chagall. Dabei verweist er nicht selten auch auf seine eigene glückliche Ehe mit Bella, seiner Frau. Zugleich verarbeitet er damit ein wichtiges Motiv, das sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament häufig vorkommt. Gerade auch in der Predigt Jesu stellt die Ehe ein zentrales Element dar: Er spricht in seinen Gleichnissen immer wieder in Bildern von Braut und Bräutigam, dem Fest der Hochzeit und dem ewigen Festmahl, mit dem er den Himmel beschreibt. Und nicht zuletzt beginnt Jesu öffentliches Wirken auf der Hochzeit von Kanaa.

Christentum und Judentum: Jesus als Brücke in seinem Werk

Die Person Jesus selbst und ausgerechnet sein Kreuz sind mir in den ausgestellten Werken Chagalls besonders aufgefallen. Der Jesus Chagalls ist ganz der Gekreuzigte, der die Grundlage jeder christlichen Erlösungshoffnung ist. Aber zugleich auch ganz der Jude Jesus. Er trägt die Gebetsriemen an Arm und Kopf, die Tefillin, und zugleich einen Heiligenschein. In ihm, dem ultimativen Gerechten, der unschuldig umgebracht wurde, spiegelt sich auch das Schicksal der Juden in Europa wider. Ihr Leiden wird in den Werken Chagalls auch in ihm und seinem Leiden verkörpert. In ihm, der sich selbst und seine Botschaft ganz im Judentum seiner Zeit verortet sah, sieht Chagall eine bleibende Brücke zwischen Judentum und Christentum. Gerade in der Entstehungszeit dieser Gemälde in den 30er Jahren ist dies eine wichtige und nicht selbstverständliche Sicht auf die Gestalt Jesu. Nicht selten wurde das Trennende zwischen Juden und Christen betont und gegeneinander ausgespielt.

Juden und Christen und die eine besondere Gemeinsamkeit: das Warten auf die Erfüllung Gottes

Die Brücke in Jesus von Nazareth, aber auch im Alten Testament hat die Theologie der letzten Jahrzehnte zum Glück an vielen Stellen deutlich herausgearbeitet. Und damit veraltete Bilder und Vorstellungen abgelöst. Johannes Paul II. konnte 1980 die von Martin Buber geprägte Formulierung vom nie aufgekündigten Bund zwischen Gott und Israel bestätigend aufgreifen. Auch seinem Nachfolger Benedikt XVI. war der Dialog mit den Juden als den älteren Geschwistern in der Beziehung zum einen Gott sehr wichtig. "Jesus war Jude und ist Jude geblieben", so der verstorbene emeritierte Papst. Christen glauben, dass mit Jesus Christus das Reich Gottes schon angebrochen und erfüllt ist. Und doch vereint Christen und Juden, dass sie beide zu dieser Erfüllung noch unterwegs sind und das Heil erwarten. Gemeinsam dürfen Sie die Hoffnung auf Vollendung betonen.

Chagalls Werke erschließen auch vielen Christen die Person Jesu neu und auf ungewohnte Weise. Auch deswegen hat sich für mich die Ausstellung in Frankfurt mehr als gelohnt.

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