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Nun sei doch mal vernünftig
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Nun sei doch mal vernünftig

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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„Nun sei doch mal vernünftig!“ Als Kind habe ich das immer wieder gehört. Mein Vater sagte es, wenn ich mit den Füßen in der Pfütze herumsprang, dass es nur so spritzte. Vernünftig sein zu müssen, fand ich damals gar nicht gut. Aber dass nützte nichts. Auch später hat mich der Apell durch das Leben begleitet. Immer dann, wenn ich etwas will, was in den Augen meiner Mitmenschen nicht so gut ist, bemühen sie die Vernunft als Argument. Und da gibt es sehr viel, was in meinem Leben gar nicht vernünftig ist, jedenfalls in den Augen der Mitmenschen.

Vernunft: Das große Ideal

Gar nicht vernünftig ist es, mehr zu essen, als der Körper braucht, nur weil es eben so gut schmeckt. Oder mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, wenn ich doch das Fahrrad nehmen könnte, das ist sogar aus mehreren Gründen äußerst unvernünftig. Aber entscheidend ist: Es bleibt nicht bei solchen Lappalien. Die Vernunft schwebt mir zwar ständig vor als das große Ideal, aber immer wenn es wirklich wichtig wird, höre ich nicht auf sie. Jedenfalls nicht nur und nicht vorrangig.

Zum Beispiel bei der Wahl des Berufs. Als ich Pfarrer wurde, war das kein Entschluss, der aus vernünftigen Gründe getroffen wurde, sondern ich folgte dem Glauben, sonst wäre ich vielleicht Arzt geworden. Und dann, als ich meine Frau kennenlernte, war das jedenfalls keine Vernunft-Ehe, als wir heirateten. Wir folgten vielmehr unserer Liebe.

Wenn nur die Vernunft regiert, sind Herz und Gefühle ausgeschlossen

Mit der Vernunft ist das eben so eine Sache: Mitunter hilft sie ja, aber ganz allein ist sie eher hinderlich. Und zwar, weil sie zu Vieles ausschließt: Die Vernunft bemüht der Kopf mit dem Verstand, aber wenn sie allein regieren will, unterdrückt sie das Herz und die Gefühle. Wohl überlegt soll alles sein, und damit wird das Spontane ausgeschlossen. Allgemeingültig sollen Regeln meiner Handlungen sein, und nur das gilt als richtig, was nachprüfbar oder gar messbar ist. Aber das, was mir wirklich wichtig ist, kann weder gemessen noch nachgeprüft werden. Es gehört nicht viel dazu, die Grenzen der Vernunft auszumalen. Und deshalb ist es auch wichtig, auf das hinzuweisen, was bei einem ausschließlich vernunftgeleiteten Leben auf der Strecke bleibt.

Ohne Vernunft geht es nicht ...

„Sei doch vernünftig!“ Dieser Apell wirkte auch, als ich mit meinem Studium begann. Es bleibt wichtig, den Glauben sozusagen mit Mitteln der Vernunft zu überprüfen. Die Theologie ist ja durchaus eine Wissenschaft, und ohne Vernunft geht es da eben nicht. Inzwischen finde ich das zwar noch immer interessant, aber es steht nicht mehr im Vordergrund.

... aber man kann auch mal unvernünftig sein

Ein religiöses Leben bietet für mich die Möglichkeit, das Herz höher zu stellen als den Verstand. Das Fühlen wird wichtiger als das Wissen, die Sehnsucht wertvoller als die Gewissheit. Kurz gesagt: In der Welt meines Glaubens kann ich mal unvernünftig sein, und das wollte ich auch schon als Kind immer wieder.

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