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Die Schrift an der Wand
Bild: Pixabay / Eugen Visan

Die Schrift an der Wand

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Auf einmal hält mein Zug. Auf freier Strecke. Überrascht schaue ich aus dem Fenster. Wir stehen an einem Bahnhof, an dem wohl sonst nichts mehr hält. Unkraut wächst aus den Gleisen. Ein Haus aus Brettern ist längst verwittert. Jemand hat aber etwas ans Haus geschrieben. In großen und roten Buchstaben. Da steht:

Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein.

Ich lese das und verstehe erst nicht. Dann lese ich den roten Satz noch einmal:

Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein.

Das ist mehr als ein Witz. Es ist wohl bissig gemeint und heißt: Du musst doch sterben.

„Denk‘ daran, am Ende von allem ist der Friedhof“

Was rennst du dich ab im Leben … mehr als ein großer Grabstein ist aber auch für dich nicht drin.

Da ist jemand, vermute ich, in dämmriger Nacht mit Farbe und Pinsel zum alten Bahnhof gegangen und hat das geschrieben. Wer vorbeikommt, kann es lesen. Nein, soll es lesen. Denk‘ daran, am Ende von allem ist der Friedhof. 

Nüchternheit tut auch mal gut 

Es kann nicht verkehrt sein, immer mal wieder daran zu denken: am Ende wartet der Friedhof. Nüchternheit tut gut. Es gibt viele so Pläne, Wünsche und Sorgen. Es gibt viel Kampf um den richtigen Platz in der Welt, manchmal ums Berühmt sein. Ums Beliebt sein natürlich auch. Ist auch alles richtig.

Manchmal muss das sein. Man ist ja wer. Am Ende aber wartet doch immer der Friedhof.

Vergiss nicht, wie und wo alles endet

Klug ist, wer das nicht vergisst. Oder sich erinnern lässt durch rote Buchstaben an einem alten Haus. Der Zug steht immer noch. Ein rotes Signal und rote Buchstaben. Meine Augen sehen das Unkraut in den Gleisen, die Schneereste und die Schrift am Haus. Draußen sieht es eher ungemütlich aus. Im Zug ist aber ist es warm und gemütlich. Wenn nur die Schrift an der Wand nicht wäre: Gewonnen hat der mit dem größten Grabstein. Wie ein Zeichen ist das. Von weither. Vergiss nicht, wie und wo alles endet. 

Eine wohltuende Erinnerung

Als der Zug schon längst wieder fährt, bleibt mir die Schrift im Sinn. Manchmal ist Gott einfach so da, denke ich. Tippt mich leicht an: Mit roten Buchstaben und einem roten Signal. Ein Wink von weither. Der mir leise sagt: Denk dran; du bist nicht der Herr deines Lebens.
 

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