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Wie einst Hiob
Bild: pexels / Marcus Aurelius

Wie einst Hiob

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Bertha schminkt sich, wenn sie das Haus verlässt. Genauer gesagt: Bertha lässt sich schminken. Sie kann nämlich ihre Hände nicht mehr bewegen. Bertha ist fast sechzig Jahre alt und leidet an Multipler Sklerose, einer Entzündung des Nervensystems. Die Krankheit kommt in Schüben und lähmte erst ihre Beine. Später gehorchten ihr auch die Arme nicht mehr.

Rund um die Uhr braucht Berta Helfer

Heute geht alleine nichts mehr. Rund um die Uhr hat sie Helfer: Ihren Mann, die beiden Söhne, die jedes Wochenende vom Studienort heim zur Mama kommen. Dazu Schwestern und Haushaltshilfen, die kochen und sauber machen, Bertha anziehen, sie in den Rollstuhl setzen und mit ihr spazieren gehen. Bevor Bertha aber ihr Haus verlässt, hat sie noch diese besondere Bitte: Ein wenig Puder auf die Wangen, etwas Lippenstift und Parfum. So viel Zeit muss sein. 

Schminken ist für Berta Ausdruck ihrer Würde

Ich bewundere Bertha. Sie ist sich das wert. Schminken ist Ausdruck ihrer Würde. Sie will nicht nur eine Kranke sein, sondern eine Frau, die etwas auf sich hält. Geduldig wartet Bertha, bis sie angezogen ist, Schuhe anhat, Strickjacke oder Regenmantel. Dann kommt der Moment, den sie besonders mag. Die Frau, die gerade bei ihr ist, kämmt Bertha die Haare, streicht mit dem Pinselchen Puder auf die Wangen und etwas Farbe auf ihre Lippen. Ganz zuletzt gibt‘s noch ein paar Spritzer Parfum auf Hände und Kleidung - und dann geht’s hinaus zum Spaziergang. 

Zeit für Würde muss sein

So viel Zeit muss sein. Zeit für Würde. Kranke sind nicht nur krank, sondern vor allem Menschen, die gut aussehen und gut riechen wollen. Als trotzten sie so ihrer Krankheit. Als sagten sie jeden Tag: Ich kann vieles nicht mehr, aber ich bleibe ein Mensch mit kleinen, feinen Wünschen. Bertha ist körperlich schwach, aber im Geist ist sie stark.

Was Berta bleibt

Das ist es, was Bertha bleibt: die Würde des Geistes. Damit steht sie auch Gott gegenüber, wie einst Hiob, und denkt: Ich weiß nicht, Gott, warum du mir das antust. Du kannst mir Gesundheit nehmen, aber meine Würde nimmst du mir nicht. Dafür, denkt sich Bertha, werde ich selber noch sorgen. Mit ein wenig Farbe auf Lippen und Wangen. Und einem Hauch Parfum.
 

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