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Die Stimme des guten Hirten
Bild: christian_craemer_pixabay

Die Stimme des guten Hirten

Simone Gerlitzki
Ein Beitrag von Simone Gerlitzki, Katholische Pastoralreferentin, Frankfurt
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Ich habe noch ein gutes Gehör. Aber kürzlich kam ich am Telefon ins Grübeln. Das Telefon klingelte, und es meldete sich eine Stimme im vertrauten Ton: „Na, wie geht’s? Wir haben lange nichts mehr voneinander gehört! Ich wollte dich mal wieder überraschen!“ Ich spitzte meine Ohren, aber ich konnte die Stimme, die so vertraulich sprach, nicht zuordnen. „Rate mal, wer am Telefon ist!“, sagte die Stimme.

Peinlich, dass ich ihn nicht an der Stimme erkannte

Eine peinliche Situation! Ich wollte ja niemanden enttäuschen. Als ich den Anrufer nach seinem Namen fragte, legte er auf. Anscheinend war das die Stimme eines Telefontricktäters, der auf einen Namen wartete, um mich in ein vertrauliches Gespräch zu verwickeln.

Die „Masche“ mit dem freundlichen Überraschungsanruf

Immer wieder passiert so etwas, obwohl die Polizei davor warnt. Die „Masche“ mit dem freundlichen Überraschungsanruf hat oft genug bei alten Menschen Erfolg. Das hat auch einen guten Grund: Ihre Ohren werden oft im Alter schwächer, und wer häufig alleine ist, freut sich umso mehr, am Telefon eine freundliche Stimme zu hören. Doch die freundliche Stimme kann unter Umständen viel Geld aus der Tasche ziehen.

Die Stimme von Freunden erkenne ich mit geschlossenen Augen

Die Stimme ist ja etwas ganz Individuelles. Jede ist anders. Viele Menschen, die ich seit Jahren kenne, würde ich mit geschlossenen Augen nur anhand ihrer Stimme erkennen. Genau deshalb war ich am Telefon ja auch so stutzig, weil mir im Grunde die Stimme nicht bekannt war.

Die vertraute Stimme der Mutter schenkt dem Kind Gewissheit

Welche Wirkung eine vertraute Stimme haben kann, lässt sich auch besonders gut bei Kindern beobachten: Es gibt Situationen, in denen ein Kind ganz verzweifelt ist, weil es die Eltern, und sei es nur für einen kurzen Moment, in einem Geschäft aus den Augen verloren hat. Sobald aber die vertraute Stimme der Mutter oder des Vaters das Kind beim Namen ruft, stellt sich die Erleichterung und Freude ein. Diese Stimmen schenkt dem Kind Gewissheit und lässt alle Angst und Sorge schwinden.

Musik 1: Johann Sebastian Bach, Motetten, BMV 229, Komm, Jesu, komm

Scheinbar warmherzige Stimmen können täuschen

Die Stimme ist ein einprägsames Merkmal eines jeden Menschen, und es ist nicht immer leicht, an der Stimme zu erkennen, ob ich jemandem vertrauen kann. Ich muss schon wachsam sein und meine Ohren gut spitzen. Auch freundliche, warmherzige Stimmen können die Freundlichkeit nur vortäuschen und ganz andere Hintergedanken haben.

Die Schafe hören auf die Stimme des guten Hirten

Die Stimme, und zwar die des guten Hirten, spielt in der Bibelstelle, welche heute in allen katholischen Gottesdiensten zu hören sein wird, eine entscheidende Rolle. Denn auf den guten Hirten hören die Schafe. Die Schafe kennen die Stimme des Hirten, der ihnen zum Leben verhilft. Die Schafe haben gute Ohren.

Einem Fremden werden sie nicht folgen

In der Bibel heißt es dazu: „Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen.“ (Johannes 10, 1a-5a)

Sie haben den sicheren Instinkt, wem sie vertrauen können

Ich finde es faszinierend, wie unbeirrt und zielsicher die Schafe der Stimme des Hirten folgen, der sie zur Weide führt, zum übervollen Leben. Das sind keine dummen Schafe! Es sind nicht untertänige, unselbständige Schafe mit stupidem Herdentrieb. Im Johannesevangelium kommt ein anderes Bild von den Schafen in den Blick. Sie haben den sicheren Instinkt, wem sie vertrauen können. Sie folgen dem, der ihnen gut tut. Und das, obwohl die Diebe in ihrer Nähe sind. Der unbekannten Stimme, den Fremden, folgen sie nicht, heißt es. Sie haben Ohren, um zu hören, und hören die Stimme, die sie hinausführt zur Weide, wo sie sich wohlfühlen.

Jesus ruft jeden und jede einzeln beim Namen

Das Bild vom guten Hirten und den Schafen bezieht Jesus auf sich und auf die Menschen, die ihn begleiten. Er ist es, der die Menschen ruft, ihm zu folgen.

Was mich berührt in diesem Gleichnis der Bibel: Jesus ruft jeden und jede einzeln beim Namen. Er kennt also die Menschen und weiß um sie. Für ihn bin ich demnach kein namenloses Herdentier, das in einer unüberschaubaren Menge unterwegs ist. Er meint mich. Ich bin ihm wichtig. Mich kennt er beim Namen. Und er möchte mich auf eine satte Weide und zu gutem Leben führen.

Musik 2: Albrecht Mayer, New Seasons, The arrival of the queen of Sheba

Jesus als der gute Hirte, auf dessen Stimme ich vertrauen kann. Davon erzählt die Bibelstelle, die heute im katholischen Gottesdienst gelesen wird.

Jesu Stimme immer wieder erklingen zu lassen, tut mir gut

Wenn ich auf Jesus und das, was er mir sagt, höre, seinen Worten in meinem Herzen Raum gebe, dann erklingt da für mich eine Grundmelodie in seiner Stimme.

Ich würde sie so umschreiben: bestimmt und klar, barmherzig und liebevoll, fürsorglich und wertschätzend. So hat Jesus gelebt, so hat er gewirkt, und so hat er gesprochen. Mir tut es gut, diese Stimme immer wieder erklingen und mich von ihr führen und formen zu lassen. Es ist die Stimme, die mir zum Beispiel im Innern zuruft: Lass dich nicht ärgern und bestimmen von dem, was andre von dir wollen. Tu das, was dir gut tut! Was dich lebendig macht!

Die Herde folgt dem Hirten vertrauensvoll

Wenn ich im Urlaub einer Schafherde und ihrem Hirten begegne und sie genau beobachte, weiß ich, wie vertraut sich Hirte und Herde sind. Der Hirte weiß, was er seinen Tieren zumuten darf, und die Herde geht ihm vertrauensvoll nach, denn er führt sie zu guter Nahrung und behütet sie.

Der gute Hirte nimmt mich ernst

Der Dienst des guten Hirten, wie ihn Jesus für sich verstanden hat, will mich aber keinesfalls entmündigen und zu einem „dummen“ Schaf machen, sondern er will mich in meinen persönlichen Lebenswirklichkeiten erreichen und sie ernst nehmen.

Selbstbestimmung und persönliche Freiheit sind hohe Werte

Einer Stimme, einem Hirten folgen – das ist natürlich heutzutage auch eine schwierige Vorstellung. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Selbstbestimmung und persönliche Freiheit hohe Werte sind. Die Demonstrationen während der Corona-Pandemie für Freiheit und Selbstbestimmtheit haben das deutlich gezeigt. Ich will mein Leben selbst gestalten und Entscheidungen treffen können. Andererseits ist auch gute Führung gefragt. Führungskräfte in Politik, Wirtschaft und Forschung gelten als wichtig. Nicht, dass von ihnen Befehle erwartet werden; aber doch so, dass von ihnen Impulse und Orientierung, Ermutigung und Stärkung ausgehen.

Die Spannung zwischen Freiheit und Führung

Auch in der Bibel entdecke ich diese Spannung zwischen Freiheit und Führung.

Die Bibel erzählt von der Erfahrung, dass der Mensch seine Freiheit verliert, wo er sich falscher Führung anvertraut, und dass er seine Freiheit findet, wo er sich der Führung seines guten Hirten, dem wahren und lebendigen Gott seines Lebens überlässt.

Musik 3: Johann Sebastian Bach, Motetten, BMV 227, Jesu, meine Freude

Selbstbestimmt in Freiheit zu leben, ist das kostbarste Gut, und dennoch erwarten Menschen von Führungskräften ein gewisses Maß an geführt werden im Alltag.

Mein Vater hat mich geführt, dabei aber meine Freiheit beachtet

Dass Selbstbestimmung und Geführt werden zusammengehören können, das kenne ich aus eigener Erfahrung. Wenn ich auf mein Leben zurückschaue, kann ich zum einen sagen, dass mein Weg bestimmt ist durch eine Reihe eigener, freier Entscheidungen. Gleichzeitig kann ich sagen: Ich bin dankbar für eine gute Führung meines Lebens. Mein verstorbener Vater zum Beispiel war für mich ein Lebenskompass. Er hat mich durch meine Kindheit und Jugend geführt, dabei aber meine Freiheit beachtet. Als es um den Schulabschluss ging, hat er mir die damaligen Möglichkeiten aufgezählt, die ich gehabt hätte, wenn ich nach der 10. Klasse von der Schule abgegangen wäre. Die Entscheidung lag letzten Endes bei mir, und ich traf sie in aller Freiheit, die Schule dann doch mit dem Abitur abzuschließen.

Meine Glaubenserfahrung: in Freiheit gut geführt zu werden

Auch meine Glaubenserfahrung ist die: in Freiheit gut geführt zu werden. Und ich kenne die Erfahrung, dass allein die Chance der Selbstbestimmung noch nicht zu einem guten Lebensweg führt. Menschen können sich in ihrer Freiheit auch verirren. Sie können sich falscher Führung überlassen. Sehr deutlich spricht davon das deutsche Wort „verführen“. Darin steckt: Es gibt auch eine Führung, die dem Leben schadet.

Führung und „verführen“ können nahe beieinander liegen

Verführerisch sind zum Beispiel Stimmen, die - auch auf religiösem Gebiet - einfache und sichere Lösungen und Führung versprechen und Menschen dadurch abhängig machen, in Sekten oder fundamentalistischen Gruppen.

Er meint wirklich mich, er kennt meinen Namen

Schon die Bibel sagt: Lauft nicht den falschen Verführungen und Stimmen hinterher! Hört hin, ob es die richtige Stimme ist, der ihr folgen wollt! Im Gleichnis vom Guten Hirten in der Bibel steckt für mich die Botschaft: Ich soll genau hinhören. Und versuchen zu unterscheiden: Was sind gute, richtige Stimmen, was klingt nach einer göttlichen Stimme? Und wo will mich jemand vielleicht auf falsche Wege lotsen? Es ist gar nicht so leicht, das zu unterscheiden. Ein Kriterium bei Jesus ist: Er meint wirklich mich, er kennt meinen Namen. Wenn jemand nur verführerisch redet, ohne meinen Namen zu kennen – wie zum Beispiel der Trickbetrüger am Telefon -, dann meint er es in der Regel nicht gut mit mir, dann sollte ich dem besser nicht folgen

Der Dieb kommt, um das Leben des Menschen ärmer zu machen

Der Stimme Gottes soll ich trauen, nicht der Stimme des Diebes, so drückt es die Bibelstelle aus. Der Unterschied liegt auf der Hand: Der Dieb, wie Jesus ihn nennt, der kommt, um das Leben der Menschen ärmer zu machen, ja es vielleicht sogar zu vernichten, um des eigenen Vorteils willen. Jesus will nicht seinen persönlichen Vorteil. Er braucht nichts, er hat alles. Er will umgekehrt mich reicher machen, mir Fülle schenken

Jesus kümmert sich um mich wie ein Hirte um seine Schafe

Mir gefällt – trotz aller Schwierigkeiten – diese Rede vom Guten Hirten und den Schafen sehr. Weil darin steckt: Jesus kümmert sich um mich, es ist ihm an mir gelegen, wie einem Hirten an seinen Schafen. Wenn ich mich ihm anvertraue, dann finde ich den Weg, der für mich passt. Dann kann ich sicher weiden.

Musik 4: Ave Maria, Berühmte geistliche Arien, „Schafe können sicher weiden“, Georg Friedrich Händel

Er bleibt bei seinen Schafen

„Schafe können sicher weiden“, so heißt es in dieser Arie von Georg Friedrich Händel. Die Bibel vergleicht Gott und Jesus immer wieder mit einem Hirten, der die Schafe umsorgt und bei ihnen bleibt.

Derjenige, der mich auf meinem Weg nie verlässt

Für mich heißt das: Jesus, ist immer um mich besorgt, er ruft mich, auch, wenn ich mich verirre. Er ist der Führende, der mir vorausgeht, derjenige, der mich auf meinem Weg nicht verlässt – bis an das Ende meines Lebensweges. Und es bedeutet für mich, auch im Tod ist er noch auf meinem Weg, er geleitet mich bis an mein Ziel mit ihm zusammen, bei Gott, seinem Vater.

Mein Glaube an die Auferstehung vertraut dem Guten Hirten

Auch mein Glaube an die Auferstehung, an Ostern hat viel mit diesem Guten Hirten zu tun: Ich glaube an den Auferstandenen als einen Hirten, der vor mir und mit mir geht und dem ich mich anvertraue.

Die Osterbotschaft sagt mir nicht nur, Jesus lebt. Sie sagt mir auch: Er ist nun mit mir auf dem Weg, er ruft mich fortdauernd in mein Leben, er kümmert sich um mich.

Er ruft mich beim Namen, er ist da, er trägt

Auch wenn es Phasen und Momente im Leben gibt, in denen mir seine Stimme abgeht, ich sie kaum hören kann. Manchmal scheint Gott zu schweigen, ist er mir mehr fremd als vertraut. Aber ich weiß dann auch in diesen Zeiten: Der Gute Hirte ist trotzdem an meiner Seite. Manchmal trägt er die schwachen Schafe auch auf seinen Schultern. Drei Wochen nach Ostern darf ich auf die stärkende Botschaft hören, auf seine Stimme: Der Gute Hirte an meiner Seite lässt mich nicht im Stich. Er ruft meinen Namen, er ist da, er trägt.

Musik 5: Albrecht Mayer, New Seasons, Piagge serene, Concerto for Oboe, Basson, Harpsichord and B.c., Allegro

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