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Ich habe Durst
Bild: pixabay

Ich habe Durst

Stefan Buß
Ein Beitrag von Stefan Buß, Katholischer Pfarrer in der Innenstadtpfarrei St. Simplicius, Faustinus und Beatrix, Fulda
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Wer einmal in der Wüste war, weiß um die Gefahr des Lebens durch Wassermangel, durch Durst. Deshalb ist für den Bewohner der Wüste das Wasser Symbol des Lebens. Der Schriftsteller Saint-Exupery hatte in seinem Leben eine solche Erfahrung gemacht. Er war begeisterter Flieger. In seinem Buch "Wind, Sand und Sterne" hat er beschrieben, wie er 1935 über der libyschen Wüste abstürzte und verschollen war. Beduinen haben ihn im letzten Augenblick gerettet. In einer spannenden Schilderung berichtet er von seinem Durst, den er ertragen musste. Er schreibt: "Ich ahnte nicht, dass ich so an den Brunnen gebunden war, dass unsere Freiheit an einem so kurzen Faden hängt. Ich wähnte frei zu sein, und da hängt man an der Erde durch die Wasserader. Ein Schritt zu weit ab heißt: Tod." Auch das Volk Israel musste auf dem 40-jährigen Zug durch die Wüste diese Erfahrung machen.

Durst und Gottvertrauen

Immer wieder wird im Alten Testament erzählt, wie die Israeliten Durst leiden und sich gegen Mose und damit letztlich gegen Gott und seine Führung auflehnen. In der Unsicherheit der Wüste, in der sie sich allein auf Gott verlassen müssen, suchen sie nach der Sicherheit des wasserreichen und fruchtbaren Ägypten, schauen sie zurück nach einem Leben, das sie in der Knechtschaft gehalten hatte. Gott hat sie befreit, – und nun müssen sie erfahren, dass diese Freiheit Unsicherheit bedeutet, dass sie nur zu bestehen ist, wenn sie radikal auf Gott vertrauen. Der Durst der Israeliten wird zum Zeichen der Suche des Volkes. In dieser Situation schreit Mose zu Gott und bittet ihn um Hilfe. Und Gott gewährt Hilfe. Er lässt aus dem Felsen Wasser strömen, wie es in der heutigen Lesung aus dem Buch Exodus heißt. Das Volk kann trinken und ist von der Gefahr des Verdurstens befreit. Moses Vertrauen auf Gott hat Israel das Leben gerettet.

Musik: Charles Koechlin - Suite op. 19 – CD Claude Debssy / Charles Koechlin

Der leibliche Durst ist auch Ausgangspunkt für das Gespräch Jesu im heutigen Evangelium nach Johannes. Jesus begegnet der Samariterin am Jakobsbrunnen. Das Land Samaria lag zwischen Judäa und Galiläa am Westufer des Jordans und hatte einmal zum Nordreich Israels gehört. Dazu müssen wir noch einmal zurückgehen in die Geschichte. Als Israel im 8. Jahrhundert vor Christus unterging, verschleppten die Assyrer den größten Teil der jüdischen Bevölkerung und siedelten auf dem frei gewordenen Land Menschen aus anderen Ländern an. Diese neuen Siedler übernahmen den Gott des Landes, nämlich Jahwe, behielten aber daneben ihre alten Götter.

Die Samariter des 1. Jahrhunderts nach Christus waren Nachkommen dieser Siedler. Deshalb wurden sie von den "reinen" Juden entschieden abgelehnt, und manche Juden nahmen auf ihrem Weg nach Jerusalem lieber einen großen Umweg östlich von Samarien in Kauf, auf dem sie sogar zweimal den Jordan überqueren mussten, als durch Samarien zu reisen.

Jesus – gegen alle Vorurteile

Jesus tat das nicht. Ihn konnten überkommene Vorurteile nicht anfechten. Die Frau, die zum Jakobsbrunnen kam, war nicht nur eine Samariterin, sie war eine Frau. Allein deshalb reagierte sie höchst verwundert, dass Jesus sie ansprach und um Wasser bat. Es war für einen jüdischen Rabbiner ungewöhnlich, eine Frau anzureden. Ja, er sollte sie nicht einmal ansehen. Wir können uns also diese Begegnung gut vorstellen. Aus dem Bibeltext in Joh. 4 ist zu erkennen, dass die Frau allein zum Brunnen kam, und zwar gegen Mittag. Das sagt viel über ihre Beziehung zu den anderen Dorfbewohnern aus. Normalerweise gingen die Frauen frühmorgens gemeinsam zum Wasserschöpfen und besuchten sich auf dem Rückweg gegenseitig in ihren Häusern. Sie wollte auf keinen Fall von jemandem gesehen und angesprochen werden.

Jesus wendet sich der Frau zu und sagt ihr viele Einzelheiten aus ihrem persönlichen Leben: "Fünf Männer hast du gehabt, und der, mit dem zu jetzt zusammenlebst, ist nicht dein Mann.“ Wir können uns die Verblüffung der Frau gut vorstellen. Das hatte sie bestimmt nicht erlebt. In ihren Augen muss Jesus ein Prophet sein. Sie eilt zurück in ihr Dorf und erzählt allen, die es hören wollen: "Dieser Mann weiß alles, was ich getan habe."

Lebendiges Wasser

Wie hatte Jesus das Gespräch mit der Frau aufgebaut? Er war müde und durstig, also ist seine Bitte ganz natürlich. So brachte er das Gespräch in Gang. Mit seiner Bitte um Hilfe sprachen die beiden gleichsam auf gleicher Augenhöhe miteinander. Das ist sehr ungewöhnlich in damaliger Zeit. Und dann lenkt Jesus ihre Aufmerksamkeit auf das, was Gott geben will, nämlich "lebendiges Wasser", und gibt sich als Messias zu erkennen. "Lebendiges Wasser" bedeutete damals fließendes Wasser, etwa Wasser aus einem Fluss. Mit diesem damals vertrauten Bild vergleicht Jesus das Geschenk Gottes durch den Glauben an ihn von aller Schuld befreit zu werden.

Immer versucht Jesus die Menschen da abzuholen, wo sie leben und ihre Sorgen haben. Sie gehen zum Brunnen, schleppen Wasser, um ihren Durst zu stillen. Aber Jesus bleibt nicht bei dem irdischen Durst stehen, sondern führt das Gespräch in eine große Tiefe. Er weiß, dass der Mensch noch einen ganz anderen Durst hat: Durst nach einem erfüllten und geglückten Leben.

Musik: Gabriel Fauré - Cantique de Jean Racine Op. 11 – CD: Gabriel Fauré: Requiem Cantique de Jean Racine Messe Basse

Brunnen sind für den Menschen wichtig, nicht nur damals zur Zeit, als es keine Wasserleitungen gab und man zum Wasserholen losziehen musste. Aber auch die Familie, Beziehungen oder gar Durststrecken können wie ein Brunnen sein. Vor allem gibt es auch Brunnen-Menschen, von denen man sagen kann: Jede Begegnung mit ihnen ist ein Geschenk und eine Bereicherung. Wenn man ihnen begegnet ist oder mit ihnen spricht, erhält man neue Kraft. Glücklich sind alle, die einen Brunnen gefunden haben, aus dem sie schöpfen konnten. "„Es macht die Wüste so kostbar, weil in ihr eine Quelle verborgen ist", so hat Saint-Exupery an anderer Stelle einmal gesagt. Aber diese Quelle ist tief, sodass man einen Brunnen bohren muss. Immer holt er sein lebensspendendes Wasser aus der Tiefe. Wer an der Oberfläche gräbt, wird enttäuscht werden und muss verdursten. So verheißt Jesus der Samariterin lebendiges Wasser. Er stillt ihren Lebensdurst und ihr Suchen.

Quelle des Lebens

Er will Quelle sein für ihr Leben, damit sie neue Hoffnung schöpfen kann. Eine Quelle spendet frisches Wasser, Wasser, ohne das auf der Erde kein Leben möglich wäre. Ohne das nichts wachsen und gedeihen könnte, ohne dass auch der Mensch verdursten müsste. Doch Wasser gehört in unseren Breiten noch zur Selbstverständlichkeit. Jeder Haushalt bei uns hat fließendes Wasser. Doch wir müssen uns auch immer wieder bewusst machen, es gibt auch Gegenden auf unserer Erde, da ist Wasser rar. Dort gibt es schon jahrelange Dürreperioden, das Land trocknet aus und Mensch und Tier drohen zu verdursten. Aber auch in unseren Breiten ist man durch die Umweltdiskussion in den letzten Jahren aufmerksamer und nachdenklicher geworden. Und denken wir nur an den letzten ziemlich trockenen und heißen Sommer im Jahr 2022. Auch hier bei uns muss den Menschen langsam bewusstwerden, welch kostbares Element das Wasser ist. Ich habe es einmal am eigenen Leib erfahren, als ich auf dem Jakobsweg unterwegs war. Ab Burgos führt der Weg durch die karge Hochebene Meseta. Laut Wanderführer eine gefährliche Etappe, bei der man im Sommer in der kahlen Landschaft gnadenlos der Hitze ausgesetzt ist und sich die zu Fuß zurückgelegten Kilometer endlos dahinziehen. Und es ist wirklich so. Weit und breit kein Schattenplatz und vor allem keine Quelle und kein Zapfbrunnen. Ich hatte mich verkalkuliert bei der Wasserration und nach einer ganzen Tagesroute kam ich völlig durstig an der Übernachtungsstelle an. Ein Schluck Wasser hat noch nie so gut geschmeckt.

Musik: Claude Debussy - Petite Suite – CD: Claude Debssy / Charles Koechlin

Wenn wir auch bei uns noch nicht die Wassernot so krass erfahren habe und fruchtbares Ackerland völlig austrocknet ist und Ernten ausbleiben, gibt es doch noch einen ganz anderen Durst. Leben nicht auch viele Menschen wie in der trockenen Wüste? Menschen erfahren Tag täglich an verschiedenen Orten der Welt ein ungesichertes Dasein. Sie dürsten nach dem wahren Leben, nach Sinn und Orientierung. Sie sind sozusagen auf der Suche nach Quellen für ihr Leben. Eine Quelle, die ihrem Leben einen Sinn gibt. Es gibt Menschen, die leben ein Leben, das zur Wüste geworden ist. In diesem Zusammenhang kam mir das Bild des Schiffbrüchigen in den Sinn. Der Schiffbrüchige, der im Meer treibt, von großen Wassermassen umgeben, der jedoch zum Überleben Trinkwasser braucht.

So kann ein Mensch auch mitten im Leben nach dem wirklichen Leben dürsten. Somit ist auch die Begegnung Jesu im Evangelium heute mit der Samariterin keine ganz so normale Begegnung, wie es auf den ersten Blick erscheint. Jesus geht es vordergründig nämlich nicht um das Wasser, das aus dem Brunnen zu holen ist. Wasser ist auch für ihn mehr als ein Durstlöscher. So wie er an anderer Stelle davon spricht, dass er das Brot des Lebens ist, ist er auch das Wasser des Lebens, das die Menschen aus der persönlichen Not und Dürre des Lebens rettet. Die persönliche Not der Samariterin äußert sich in den gescheiterten Beziehungen ihres Lebens. Doch Jesus geht darauf nur bedingt ein, darin liegt vielleicht auch der Hinweis, dass ihre persönliche Not einen ganz anderen Grund hat. Im tiefsten geht es im Gespräch zwischen Jesus und der Frau um die Frage, wo ich Gott begegnen kann.

Gottesbegegnungen finden nicht nur an heiligen Orten statt

Jesus macht deutlich Gottesbegegnung ereignet sich nicht nur an heiligen Orten, in diesem Falle für Juden im Tempel in Jerusalem und für die Samariter auf dem Berg Garizim. Begegnung mit Gott kann sich auch an diesem Brunnen, an dem die beiden stehen, passieren. Sprich: Begegnung mit Gott ereignet sich im Alltag. Und Jesus bietet sich ihr in diesem Gespräch an, ihren Lebensdurst zu stillen. Und die Begegnung mit Jesus verändert den Menschen. Die Samariterin, die voller Angst über ihre Lebenssituation in der größten Mittagshitze zum Brunnen kommt, damit sie nicht gesehen wird. Sie lässt nachher ihren Krug stehen, eilt zurück ins Dorf und berichtet den Menschen von dieser Begegnung. Sie ist von ihrer Angst und Scham befreit. Der Grund dafür liegt jedoch nicht darin, dass Jesus ihr eine eindringliche Moralpredigt gehalten hat oder sie kleingemacht hat, sondern er offenbart sich ihr als der, der er ist. Jesus wird für sie zur Lebensquelle, woraus sie neue Kraft schöpft für ihren Alltag. Jesus gibt sich dazu, ihr zu erkennen und wandelt so ihre Angst in neue Lebensfreude und Zuversicht. Sie hat in ihm den Sinn ihres Lebens gefunden. Die Samariterin machte ihre Erfahrungen im Leben. Statt Glück, das sie suchte, kamen Enttäuschungen. Jesus aber nimmt sie an. Sie findet bei Jesus Erbarmen und Zuwendung. Sie wird erfüllt von seinem Geist, sie trinkt Wasser des barmherzigen Gottes. Menschen dürsten immer wieder nach Liebe und Anerkennung. Es ist eine Gnade, wenn sie dann erkennen und sich danach ausrichten, dass wahre Liebe sich verschenkt und zuerst das Glück des andern sucht. Ein Mensch, der diesen Quell der Liebe und des Lebens entdeckt, trinkt bereits aus Gottes Huld und Erbarmen. Die Samariterin lief in die Stadt und erkannte Jesus als Messias. Und sie bezeugte es ihren Landsleuten. Möge auch bei den Menschen heute die Begegnung mit den wahren Tiefen der Liebe zur Gottesbegegnung werden, die sie weiter verkünden.

Musik: Yuri Simonov / Yuzuko Horigome - Adagio cantabile – CD: The Royal Philharmonic Orchestra / B R U C H

Musikauswahl: Regionalkantor Ulrich Moormann, Fulda

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