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Ziemlich beste Freunde
Bild: unsplash / Dim Hou

Ziemlich beste Freunde

Dr. Willi Temme
Ein Beitrag von Dr. Willi Temme, Evangelischer Pfarrer, Martinskirche Kassel
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Ziemlich beste Freunde – so lautet der Titel eines bekannten französischen Films, der vor kurzem mal wieder im Fernsehen lief. Und obwohl die Sendezeit – wie leider so oft bei guten Filmen – relativ spät war, entschloss ich mich, den Film zu schauen.

Ein Film über die Kraft der Freundschaft

Und ich habe es nicht bereut. Im Gegenteil. Meine Erinnerung hatte mich nicht betrogen. Schon vor elf Jahren, als der Film in den Kinos herauskam, war ich berührt von dem, was ich sah. Und genau dieses Gefühl stellte sich auch jetzt wieder ein.

Ziemlich beste Freunde – der Film thematisiert etwas, was für alle Menschen, ohne Ausnahme, wichtig ist. Die Kraft der Freundschaft. Und um die Kraft der Freundschaft soll es auch heute Morgen einmal gehen.

Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate für Cello und Klavier No. 4 C-Dur, op. 69, I.: Andante 

Vier Freunde aus einer Geschichte Jesu

Die vier Freunde, die ich Ihnen heute Morgen vorstellen möchte, begegnen uns in einer Geschichte aus dem Umfeld von Jesus. Alle vier Männer bringen eine Eigenschaft mit, um die es auch im Film Ziemlich beste Freunde geht. Sie sind wagemutig und unkonventionell. Es sind Freunde, von denen wir sagen würden: mit denen kann man Pferde stehlen. Man kann mit ihnen ungewöhnliche Sachen machen. Und wenn es drauf ankommt, lassen sie mich nicht im Stich.

Ich lese Ihnen die kurze Geschichte von den vier ziemlich verrückten Freunden vor. „Verrückt“ sage ich deshalb, weil die vier sich auf fast kriminelle Weise für ihren gemeinsamen fünften Freund ins Zeug legen. Die Geschichte steht in der Bibel im Markusevangelium im 2. Kapitel. Da heißt es:

Die Heilung des Gelähmten aus Markus 2

„Als Jesus nach einigen Tagen wieder nach Kapernaum hineinging, wurde bekannt, dass er im Hause war. 2 Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort.

3  Da brachte man einen Gelähmten zu ihm, er wurde von vier Männern getragen. 4  Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen die Decke durch und ließen den Ge-lähmten auf seiner Liege durch die Öffnung hinab. 5  Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn. …

11  Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Liege und geh nach Hause! 12  Und der Gelähmte stand sofort auf, nahm seine Liege und ging vor aller Augen weg. Da gerieten alle in Staunen; sie priesen Gott und sagten: So etwas haben wir noch nie gesehen.“

Ein außergewöhnlicher Freundschaftsdienst

Soweit die Geschichte aus der Bibel. Und wir alle könnten in den Chor der Leute damals einstimmen: So etwas haben wir noch nie gesehen! Das gilt ganz sicher für diese wundersame Heilung. Aber womöglich gilt es auch für das Verhalten der vier Männer, die den Gelähmten zu Jesus bringen. Diesen ungewöhnlichen Freundschaftsdienst schauen wir uns noch ein wenig genauer an.

Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate für Cello und Klavier No. 3 A-Dur op. 69, I.: Allegro ma non tanto

In der Geschichte von der Heilung des gelähmten Mannes spielen die Freunde des Kranken eine ganz entscheidende Rolle. Zoomen wir uns die Geschichte noch ein wenig näher heran.

Die biblische Geschichte genau betrachtet

Wir sehen Jesus, wie er in einem Haus sitzt und lehrt. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass er wieder in die Stadt Kapernaum am See Genezareth zurückgekommen ist. Und nun sind alle Leute begierig, ihn zu hören und vielleicht auch Heilung durch ihn zu erfahren. Ja, so viele Leute sind an diesem Tag gekommen, dass restlos alle Plätze belegt sind, sowohl drinnen in dem Haus wie auch draußen.

Kennzeichen von Freunden

Und da kommen nun die vier Männer angeschleppt mit der Tragbahre, auf der ein Gelähmter liegt. Gewiss ist es ihr Freund, der da drauf liegt und sich nicht bewegen kann. Vielleicht ist es aber auch ihr Bruder oder ein anderer Verwandter. Fest steht jedenfalls: diese Vier sind richtig gute Freunde. Denn das zeichnet Freunde aus: sie sind Menschen, auf die man sich verlassen kann. Freunde stehen mir zur Seite, wo ich schwach bin und laufen nicht weg, wenn ich ihre Hilfe brauche. Und wenn es so richtig gute Freunde sind, dann tun sie alles, was sie können, damit es mir wieder gut geht.

Und solche richtig guten Freunde hat dieser Gelähmte. Zumindest in dieser Hinsicht muss er selbst als Kranker ein glücklicher Mann gewesen sein.

„Unmöglich“ gibt es für die Freunde nicht

Jetzt kommen sie also mit dem Gelähmten angeschleppt. Denn die vier Lastenträger wollen etwas von Jesus. Sie haben offensichtlich gehört, dass Jesus Kranke gesund machen kann. Und deswegen setzen sie alle Hoffnung auf ihn.

Jedoch: sie müssen erleben: da kommen wir ja gar nicht durch. Es ist ganz unmöglich, zu Jesus vorzudringen.

„Komm, wir steigen auf`s Dach“

Aber „unmöglich“ scheint es für diese vier Freunde nicht zu geben. Sie schmieden einen unerhörten Plan, und am Ende sind sie sich einig: kommt, wir steigen dem Nachbarn aufs Dach! Wenn wir nicht von der Seite zu Jesus vordringen können, dann doch sicher von oben her.

Und nun beginnt ihre spektakuläre Aktion. Es ist ein Einbruch, wie er nicht alle Tage vorkommt.

Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate für Cello und Klavier No. 4 C-Dur op. 102 No. 1, IV.: Allegro vivace

Um das wirklich Spektakuläre am Verhalten der vier Freunde richtig verstehen zu können, braucht es ein paar Informationen zur Architektur eines solchen Hauses damals in Kapernaum.

Die Architektur eines Hauses zur Zeit Jesu

Wir haben uns hier ein eingeschossiges Haus mit einem Flachdach vorzustellen. Das Dach selber bestand aus Holzbalken oder Knüppeln, über die Schilfgras oder Äste gelegt waren. Und das Ganze war dann noch mit festgetretenem Lehm zugedeckt.

Und auf dieses flache Dach wuchten die Vier nun ihren Freund und beginnen mit ihrem Hausfriedensbruch der besonderen Art.

Sie fangen an zu graben und zu hämmern und schlagen so lange auf das flache Dach ein, bis sie es gänzlich durchgeschlagen haben und ein großes Loch entsteht. Ja, so verrückt sind diese vier Freunde! Sie nehmen alle Beschimpfungen und allen Protest auf sich. Denn ihnen ist es allein um die Heilung ihres Freundes getan!

Die Freunde brechen das Dach auf

Mischen wir uns in der Fantasie einmal unter die Besucherinnen und Besucher in dem Haus. Da beginnt es mit einem Mal zu hämmern und zu klopfen. Was ist denn da los? Dann beginnt von oben her der Lehm herunterzurieseln: Bitte den Kopf einziehen, da kommt was von oben! Unruhe macht sich breit bei allen im Haus:

Da demolieren ja irgendwelche Idioten das schöne Haus! Eine Frechheit ist das! Holt diese Kriminellen da herunter!

Man kann sich gut vorstellen, welcher Tumult da entstanden ist. Und es würde mich nicht wundern, wenn der Hausbesitzer, von Zorn überwältigt, in Ohnmacht gefallen wäre.

Sie lassen auf einer Bahre den Kranken hinab zu Jesus

Und dann kommt da noch eine weitere Überraschung von oben: ein schwer kranker Mann auf seiner Liegebahre: von oben wird er heruntergelassen. Die schöne Versammlung ist komplett gesprengt.

Zu allem Unglück mit dem Dach nun auch noch das Unglück mit diesem Kranken!

Alle Anwesenden werden entsetzt gewesen sein. Nur einer nicht. Jesus. Er behält die Ruhe und den Überblick. Ja, ihn scheint das doch alles sehr zu beeindrucken. Denn über ihn heißt es im Evangelium:

Als er den Glauben der Männer sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause! (Markus 2;11)

Und so geschieht es dann auch.

Gleich zwei Wunder

Durch Jesus geschieht hier ein Wunder. Aber nicht nur durch Jesus geschieht hier dieses Wunder. Es ist auch der Glaube und die feste Zuversicht dieser Freunde, die da-zu beitragen. Nur durch ihre radikale Freundschaft wird dieses Wunder möglich.

Die vier Freunde brennen vor Liebe zu ihrem Freund, dem Gelähmten. Für ihn tun sie alles. Sie nehmen Zorn und Schande auf sich. Für einen, muss man bedenken, der für seine Krankheit – wie zu vermuten steht - sonst nur schief angeschaut wird und überall Ablehnung erfährt.

Das Kraftfeld der Freundschaft

Und dieses Kraftfeld der Freundesliebe ist so stark, dass einer wie Jesus, der selber vor Liebe brennt, unwillkürlich hineingezogen wird und gewissermaßen gar nicht anders kann: Natürlich macht er diesen Kranken gesund. Er vollendet das an dem Gelähmten, was durch den Freundschaftsdienst der Freunde schon seinen Anfang genommen hatte. Er führt den Kranken wieder in das pralle Leben zurück.

Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate für Cello und Klavier No. 3 A-Dur op. 69, II.: Scherzo. Allegro molto 

Wer wünscht sich nicht solche Freunde?

Freundinnen und Freunde, mit denen man Pferde stehlen kann - wer wünscht sich das nicht. Freundinnen und Freunde, die mich raushauen, wenn ich irgendwo oder irgendwie gefangen bin – die wäre es gut zu haben. Dahin geht unsere Sehnsucht. Und hin und wieder scheint das auch vorzukommen.

Enttäuschungen in Freundschaften

Aber ich denke, viele von uns haben auch schon oft das Gegenteil erlebt. Enttäuschungen mit Freundinnen und Freunden kommen öfter vor, als uns lieb ist. Wir dachten, diese Freundschaft sei unverbrüchlich – und siehe da: ganz unverhofft und unvermittelt müssen wir feststellen: ich habe mich getäuscht. Es war doch kein Verlass auf ihn; es war doch kein Verlass auf sie. Enttäuschte Freundschaft kann bitter sein.

Diese Geschichte vertreibt die Bitterkeit

Aber gegen solche Bitterkeit gibt es Geschichten wie die von den vier verrückten Freunden oder auch die von den ziemlich guten Freunden in dem französischen Film, der übrigens auch auf einer wahren Geschichte beruht. Hier wie da helfen Freunde, neue Wege zu gehen. Hier wie da sind sie risikofreudig und wagemutig. Sie trauen sich etwas, was dem Leben eine neue Wendung gibt.

Selbst eine gute Freundin / ein guter Freund sein

Gott gebe, dass wir selber bereit sind, so eine Freundin oder so ein Freund zu sein. Dass wir mutig sind, eigene Grenzen zu überwinden. Und dass wir auf diese Weise dem anderen helfen, das gleiche zu tun.

So gibt Freundschaft dem Leben neuen Schwung. Wagen wir es und sind nicht zu-rückhaltend. Und auch ein bisschen Verrücktheit in der Freundschaft kann mitunter nicht schaden. Das haben uns die vier Einbrecher mit ihrem Hausfriedensbruch gezeigt. Ein Freund, mit dem man Pferde stehlen kann, muss seine Zurückhaltung aufgeben. Seien wir dazu bereit.

Musik:  Ludwig van Beethoven, Sonate für Cello und Klavier No. 3 A-Dur op. 69, IV.: Allegro vivace 

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