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Fasten und sich am Leben freuen
Bild: congerdesign_pixabay

Fasten und sich am Leben freuen

Alexander Holzbach
Ein Beitrag von Alexander Holzbach, katholischer Pallottinerpater, Limburg
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In den katholischen Gottesdiensten wird heute weltweit ein Gebet gesprochen, das aus dem 8. Jahrhundert stammt. Ich bin immer wieder beeindruckt, in welch großer Tradition wir stehen. Seit über tausendzweihundert Jahren die gleichen Worte. Und jede Generation muss sie neu für sich interpretieren. Das Gebet lautet:     

„Allmächtiger Gott, du schenkst uns die heiligen vierzig Tage als eine Zeit der Umkehr und der Buße. Gib uns durch ihre Feier die Gnade, dass wir in der Erkenntnis Christi voranschreiten und die Kraft seiner Erlösungstat durch ein Leben aus dem Glauben sichtbar machen.“

Die „heiligen 40 Tage“ kommen mehrmals im Alten Testament vor

Zugegeben, ein etwas komplizierter Text, in dem von „heiligen vierzig Tagen“ die Rede ist. Gemeint ist die Fastenzeit, die am Aschermittwoch begonnen hat. Vierzig Tage lang bereiten sich Christinnen und Christen auf das Osterfest vor. Dieser Zeitraum ist nicht frei erfunden. In der Bibel heißt es: 40 Jahre zog das Volk Israel durch die Wüste von Ägypten in das Gelobte Land. Die 40 kommt noch mehrmals im Alten Testament vor. Im Neuen wird erzählt: Jesus hat 40 Tage in der Wüste gefastet. Also: Die junge Christenheit nahm die 40 als Zeitmaß für ihre Fastenzeit.

Gefastet wird in allen Religionen – und nicht nur da

Das Fasten selbst ist auch keine christliche Erfindung. Wir haben es vom Judentum übernommen. Die Muslime kennen ebenso das Fasten, im Ramadan. Und auch außerhalb der Religionen wird gerade im Frühjahr das Fasten geschätzt. In den Medien gibt es in dieser Zeit immer viele Tipps für ein sinnvolles Verzichten auf Essen oder Trinken, das dem Körper und der Seele gut tut. Leicht fällt vermutlich ein wirkliches Fasten niemandem. Deshalb hat das immer viel mit Selbstdisziplin zu tun.

Fasten braucht Selbstdisziplin

Das gilt auch für das vierzigtägige christliche Fasten. Die sieben Wochen bis Ostern unterscheiden sich ja nicht von den übrigen im Jahr. Da ruft die Arbeit und die Schule, die Verantwortung in der Familie, der Sport, der Verein. Und auch Einladungen zu Festen und Feiern. Christinnen und Christen müssen ein großes Quantum Selbstdisziplin aufbringen, um die Fastenzeit ernst zu nehmen. Manchmal helfen gemeinsame Initiativen in Pfarrgemeinden oder Gruppen. Oft auch das Verständnis der Umwelt, gleich, ob sie religiös tickt oder nicht, wenn man sagt: Ich trinke jetzt keinen Alkohol. Ich esse in dieser Zeit bewusst nichts Süßes.

Umkehr und Buße sind keine sympathischen Wörter

Das ist das übliche Fasten: Verzicht auf Speisen, als etwas, das man für den Körper, also letztlich für die Gesundheit tut. Es geht um Lebensqualität. Deshalb schätzen viele in dieser Zeit zum Beispiel auch Autofasten, Handyfasten, Fernsehfasten. Weniger ist oft mehr. Das alte Gebet, das ich eben vorlas, nennt noch einen interessanten Aspekt. Da war von diesen vierzig Tagen als einer Zeit der Umkehr und Buße die Rede. Umkehr und Buße. Keine sympathischen Wörter. Wann sprechen wir im Alltag von Umkehr? Wenn uns ein Weg zu lang vorkommt, oder wenn wir uns geirrt haben, dann kehren wir um, dann suchen wir nach einer neuen Möglichkeit, das Ziel zu erreichen. Das Wort Buße kennen wir vom Bußgeldbescheid. Den bekommt der Verkehrssünder zugeschickt, wenn er eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Zu schnell gefahren. Falsch geparkt.

Fasten bedeutet auch Kurskorrektur und Neuorientierung

Auch wenn die Menschen vor über tausend Jahren unter Umkehr und Buße wohl etwas anderes verstanden haben als wir heute – es geht letztlich um das gleiche: Wenn etwas schiefgelaufen ist, wenn etwas nicht glatt läuft, dann braucht es einen Neuanfang, dann braucht es neue Orientierung, eine Kurskorrektur. Also: Im christlichen Begriff „Fasten“ steckt der Gedanke der Neuorientierung. Aber so hoch will ich es gar nicht mal hängen. Es geht einfach darum, sich die Frage zu stellen: Habe ich überhaupt eine Orientierung im Leben? Bin ich auf dem richtigen Weg?                                             

Musik 1: Georg Philipp Telemann, Largo aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca)

Wie gut „pflegst“ du deine Beziehung zu Gott?

In dem alten Gebet zum 1. Sonntag der Fastenzeit ist nicht allein von Umkehr und Buße die Rede, sondern auch davon, wozu die Fastenzeit gut sein soll. Was ist das Ziel des Ganzen? Das Gebet nennt zwei miteinander verwobene Ziele. Wir sollen voranschreiten in der Erkenntnis Christi. Zugegeben, das ist eine uns etwas fremde Sprache, gehoben, aber nicht abgehoben, biblisch fundiert. Gemeint ist: Wir sollen auf dem Weg zu Ostern, dem Fest der Auferstehung Jesu Christi, unsere Beziehung zu Jesus Christus neu in den Blick nehmen, vielleicht vertiefen. In jeder normalen Freundschaft unter Menschen braucht es Beziehungspflege, um die Freundschaft lebendig zu halten. Da gilt es, Kontakt zu haben, gemeinsame Unternehmungen zu planen, im Gespräch zu bleiben. Was immer. Was unter Menschen gilt, gilt auch für die Beziehung des Menschen zu Gott. Deshalb fragt die Fastenzeit: Wie sieht es aus mit deiner Beziehung zu Gott? Was tust du dafür? Für mich bedeutet dieses etwas gestelzte Wort „In der Erkenntnis Christi voranschreiten“, dass ich mich wieder mehr mit ihm beschäftige. Konkret: ihm mehr Zeit widme. Und da sind wir wieder beim Begriff Selbstdisziplin.

Sich aus dem Alltag zurückziehen, nachdenken, Stille aushalten

Ich bewundere in diesem Zusammenhang immer wieder die Wüstenväter der Antike und die Mystikerinnen des Mittelalters. Diese Frauen und Männer verstanden es, sich ein Stückweit oder ganz aus dem Alltag zurück zu ziehen, sich Zeiten des Schweigens und der Stille zu gönnen, diese auszuhalten – das ist ja nicht immer leicht. In sich zu hören. Auch viel zu lesen, in der Bibel, in geistlichen Büchern. Über das Gelesene nachzudenken, zu meditieren, vielleicht zu schreiben. Die neuen Erkenntnisse mit in das Gebet zu nehmen, ihnen Worte zu geben, oder im wortlosen Schweigen etwa auf das Kreuz zu blicken. Voll innerer Ruhe. Auf diese Weise ist den Wüstenvätern und den Mystikerinnen eine neue Gottesbeziehung zugewachsen; die Freundschaft mit Jesus Christus vertiefte sich.

Auszeiten nehmen für gemeinsame Exerzitien

Das ist aber nicht allein eine Erfahrung früherer Zeiten. In die Stille gehen. Ein religiöses, ein spirituelles Buch lesen. Beten. Mit der Gemeinde Gottesdienst feiern. Das gibt es auch heute. Ich kenne Menschen, die sich ganz bewusst in der Fastenzeit in ein Kloster zurückziehen, dort mitbeten, dort die Stille suchen und finden. Es gibt Christinnen und Christen, die in der Fastenzeit oder auch sonst mal im Jahr sich Zeit nehmen für Exerzitien. Da gibt es ja viele Angebote. Wer nicht von zu Hause weg kann, macht vielleicht so genannte Exerzitien im Alltag. Man trifft sich online. Oder man liest und betet entsprechend verteilte Texte und weiß: Jetzt, wo ich an meinem Küchentisch das hier lese oder vor meiner brennenden Kerze das hier bete, tut das jemand anderes zur gleichen Zeit bei sich daheim auch. Solche Exerzitien – das Wort heißt übersetzt einfach „Übungen“ und meint natürlich „geistliche Übungen“ – solche Exerzitien lassen spüren: Ich bin nicht allein auf meinem Weg durch die Fastenzeit, auf meinem Weg mit Jesus Christus, in meiner Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens. Diese direkt oder indirekt erlebte Gemeinschaft hilft, auf dem Weg nicht müde zu werden. Fastenzeit bedeutet eben nicht selten: Selbstüberwindung, Selbstdisziplin aufbringen, egal ob ich in den nächsten Wochen weniger essen oder mehr in die Stille gehen will.      

Musik 2: Georg Philipp Telemann, Allegro aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca)

Der Dreiklang des Fastens

Für mich als Christ sind in der Fastenzeit drei Dinge wichtig: das körperliche Fasten. Meine Beziehung zu Gott. Und meine Beziehung zu den Mitmenschen. Diesen Dreiklang im Fasten kennen übrigens auch die Juden und die Muslime. Gerade von dem dritten Aspekt, der gelebten Nächstenliebe, spricht auch das alte Gebet, wenn es sagt, dass die Betenden die Kraft der Erlösungstat Christi durch ein Leben aus dem Glauben sichtbar machen sollen. Wieder eine etwas gehobene Gebetssprache.

Meine Beziehung zu Gott und meinen Mitmenschen stärken

Für mich hat dieser Satz die Botschaft: Der Glaube an Jesus Christus, besonders an seine Auferstehung – eben das große Geheimnis, das Christinnen und Christen an Ostern feiern – das ist zunächst einmal etwas ganz Persönliches. Aber christlicher Glaube bleibt nicht im Persönlichen, bleibt nicht in der Privatsphäre. Zum einen teilen andere ja auch meinen Glauben. Man spricht von der Gemeinschaft der Glaubenden, der Kirche, der Christenheit. Und zum anderen hat christlicher Glaube immer einen Blick für den Mitmenschen. Und dieser Aspekt bestimmt auch stark die Fastenzeit. Diese heiligen vierzig Tage verweisen also nicht allein auf mich und auf Gott, sondern eben auch auf den Mitmenschen, den Nächsten.

Fasten, Beten und Nächstenliebe

Jesus selbst hat das in einer seiner Reden ganz deutlich zum Ausdruck gebracht. In gut jüdischer Tradition sagt er, was Fastenzeit bedeutet (vgl. Mt 6,1-6.16-18). In der katholischen Kirche lesen wir diese Rede immer am Aschermittwoch: Es geht um diese Trias: Fasten, Beten und Almosen-geben. Alle drei Punkte gehören zusammen. Das ist Jesus wichtig. Da steht er ganz in der Tradition der Propheten. Und diese Tradition ist ja bis heute in den christlichen Kirchen lebendig. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die beiden großen kirchlichen Hilfswerke „Misereor“ und „Brot für die Welt“ in der Fastenzeit um Spenden bitten und damit seit Jahren unendlich viel Gutes in den Krisengebieten unserer Erde tun. Daneben laufen in den Gemeinden viele Aktionen in Sachen konkreter Nächstenliebe.

Die Fesseln des Unrechts lösen und den Armen helfen

Damit komme ich noch zu einem Text aus der Bibel, der in der Fastenzeit in allen christlichen Kirchen eine große Rolle spielt. Es handelt sich um einen Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja. Der Prophet kritisiert mit starken Worten die Frommen, die behaupten, sie fasten und wollen so vor Gott gut dastehen. Aber zur gleichen Zeit sind sie nur auf ihren Vorteil bedacht und beuten ihre Mägde und Knechte aus und gehen mit Fremden sehr unmenschlich um. Da legt der Prophet Gott folgenden Text in den Mund:

“Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, den Hungernden dein Brot zu brechen, obdachlose Arme in dein Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?” (Jes 58,6-9).                          

Themen, die uns auch heute nach wie vor beschäftigen

Starker Tobak! Fasten wird also schon 500 Jahre vor Christus in seiner sozialen Dimension gesehen. Da geht es um Unrecht, Unterdrückung, Hunger, Obdachlosigkeit, Armut. Themen, die wir bis heute gut kennen. Herausforderungen, denen sich bis heute viele Menschen stellen, gerade auch, wenn sie aus der christlichen Tradition leben oder der jüdischen oder der muslimischen. In dem alten Propheten-Wort aus dem Buch Jesaja lässt mich der letzte Satz immer neu aufhorchen: „...und dich deiner Verwandtschaft nicht entziehen”. Auch das ist also auch fasten, meint der Prophet.

Auch Kranke und „schwarze Schafe“ miteinbeziehen

Was heißt das heute? Es könnte bedeuten: Ich soll mich kranken Verwandten nicht entziehen, vielleicht auch den „schwarzen Schafen“ oder denen, mit denen niemand gerne zu tun hat. Ich selbst lebe ja in einer klösterlichen Gemeinschaft und frage mich oft: Was heißt das für mich im Hinblick auf meine alten und zuweilen auch einsamen Mitbrüder, von denen einige immer die gleichen Geschichten erzählen. Was heißt das mit Blick auf diejenigen in leichter Demenz, auf jene, die mir nicht so sympathisch sind wie andere?

Den Nächsten helfen: in der Familie, vor der Haustür und weltweit

Damit bin ich wieder beim Zusammenhang von Fasten und Selbstdisziplin. Diese Tugend gehört zu allen drei Aspekten christlichen Fastens, dem körperlichen, dem geistlichen, also dem Gebet, der Hinwendung zu Gott, und der Hinwendung zu den Menschen, also der konkret gelebten Nächstenliebe – in der Familie, vor der eigenen Haustüre und weltweit.       

Musik 3: Georg Philipp Telemann, Andante aus dem Violakonzert G-Dur Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca)

Das Gebet will das Schöne der Fastenzeit zum Ausdruck bringen

All das, was ich bisher zur Fastenzeit gesagt habe, klingt eher anstrengend. Zugegeben, die heiligen vierzig Tage laden nicht zur Bequemlichkeit ein. Aber auch nicht zur Tristesse. Das uralte Gebet, das heute in den katholischen Gottesdiensten gesprochen wird, nennt ein interessantes Wort. Da ist von der „Feier“ der heiligen vierzig Tage die Rede. Beim Wort Feier stutze ich. Ich vermute mal, dieser Begriff bzw. das ganze Gebet will das Schöne der Fastenzeit zum Ausdruck bringen und einladend wirken. Denn es geht ja nicht darum, dass man sich einen Verzicht auferlegt um des Verzichtes willen. Oder dass man durch – wenn auch freiwilliges – Hungern mürrisch und abweisend wird. Das ist nicht Sinn der Sache.

In der Fastenzeit die Freude am Leben und am Glauben feiern

Sinn der Fastenzeit ist es letztlich, neue Freude am Leben und am Glauben zu gewinnen. Und in dieser neuen Freude dann das Osterfest als Fest des Lebens zu feiern. Deshalb soll ich und will ich mich im Essen und Trinken zurücknehmen, damit der Körper sich erholen und erneuern kann. Deshalb will ich über meine Maßstäbe und meine Orientierung nachdenken und sie unter Umständen neu ausrichten. Deshalb in die Stille und in das Gebet gehen oder sich gute Lektüre gönnen, um die Freundschaft mit Gott zu beleben. Deshalb den Blick auf den Mitmenschen richten, gerade den in meiner nächsten Umgebung, den ich gerne mal übersehe, und gerade den in Not, damit ein gutes Miteinander in Frieden und Gerechtigkeit entstehen kann. Wenn all das zusammenkommt, dann wächst neue Lebensfreude und neue Lebensqualität. Und neue Freude am Glauben. Dann gelingt Fastenzeit. 

Musik 4: Georg Philipp Telemann, Presto aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca)

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